»Moral und Ethik« im Krieg ….. und Clausewitz?
»Das Meer, das Meer …«
Xenophon (*zwischen 430 und 425 v. Chr.; †ca. 354 v. Chr.), ein Schüler Sokrates´, griechischer Politiker, Schriftsteller und Heerführer, schilderte in seinem Werk »Anabasis« den persischen Feldzug des jüngeren Kyros (*580 v. Chr.; †530 v. Chr.) gegen Artaxerxes II. (*etwa 453 v. Chr.; †359/58 v. Chr.).
Der Privatmann Xenophon übernahm in einer schwierigen und nahezu aussichtslosen Situation die Führung der griechischen Soldaten. Später ging dieses Ereignis als »Zug der Zehntausend« in die Geschichte ein. Seine umsichtige Führung in Gefechten, sein Verständnis für die Sorgen und Nöte der Soldaten trugen zum Gelingen dieses legendären Rückzuges bei, der sich unter Bedrängnis der persischen Reiterei vollzog.
Das Beispiel dieses Zuges zeigt, wie wichtig das Zusammenwirken von Führung und Moral der Truppen für das Gelingen eines Unternehmens in scheinbar aussichtsloser Lage sein kann. Den Soldaten war das Ziel ihrer Anstrengungen bekannt und sie ließen – angesichts des Erreichens ihres Bestimmungsortes – ihren Emotionen freien Lauf. Ähnliche Erscheinungen spiegeln sich in der Militärgeschichte von der Antike bis in die Neuzeit nicht selten wider.
Nachfolgender Textteil aus »Anabasis« wird auch als »Jubelruf der Rettung: θάλαττα θάλαττα« in der Literatur geführt.
»(…) 21. Am fünften Tag kamen sie bei dem heiligen Berg an, der den Namen Techs führte. Als die ersten den Berg erstiegen hatten und das Meer erblickten, erhob sich ein lautes Geschrei. […]
22. Als es Xenophon hörte, glaubte er und die Soldaten der Nachhut, dass von vorn her andere Feinde angegriffen; […]
24. Er schwang sich also aufs Ross und sprengte mit Lykios und der Reiterei zu Hilfe. Da hörten sie denn bald den aufmunternden Ruf der Soldaten: das Meer, das Meer! Nun lief alles, selbst die Soldaten der Nachhut; auch das Zugvieh und die Pferde wurden hingetrieben. […]
25. Als nun alle auf dem Berg angelangt waren, da fielen Heerführer und Hauptleute einander unter Tränen in die Arme. Und auf der Stelle trugen die Soldaten wie auf einen Befehl Steine zusammen und errichteten einen großen Hügel. (…)«
(Vergl. »Xenophon Anabasis Der Zug der Zehntausend«, Phillipp Reclam, 1958, S. 136 bis 137)
Zug der Zehntausend Quelle : Wikipedia. org
Die Untersuchung der Frage nach dem Zusammenwirken von Truppenführung sowie dem Geist und der Moral bewaffneter Formationen in Bewährungssituationen – nicht nur im Krieg – ist [aus Sicht des Autors] vorrangig eine soziologische Frage. Diese Betrachtungsweise lässt sich mit der Erkenntnis untermauern, dass bereits in der Mitte des 18. Jhd. durch den schottischen Moralphilosophen Adam Smith (∗1723; †1790) – dem Begründer der klassischen Nationalökonomie – der Zusammenhang militärischer Fragen und sozialer Fragen untersucht wurde.
»(…) Die Befassung der Sozialwissenschaften mit der Organisation Militär reicht bis weit in die Zeit vor der Etablierung etwa von Soziologie oder Politikwissenschaft als eigenständigen Disziplinen zurück. So verweist bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts Adam Smith (1723–1790) auf die engen Beziehungen zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung eines Staates und dem Militär. (…)«
(Vergl. »Handbuch Militär und Sozialwissenschaft«, Hg. Gareis, Klein, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, S. 9)
Seit dieser Zeit wurde und wird diese Frage – bis in die Gegenwart hinein – wiederholt analysiert und weiter entwickelt. Die Termini Krieg, Genius der Truppenführer, [Kampf]Moral, Kampfkraft, militärische Tugenden sind nicht von ethischen Fragen zu trennen, da alle von der jeweiligen Politik determiniert werden.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit Carl von Clausewitz (∗1. Juli 1780; †16. November 1831) sich diesen Fragen in ihrer Gesamtheit widmete. Krieg war bis in die Gegenwart hinein immer eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Clausewitz betrachtete den Krieg – in seinem Hauptwerk »Vom Kriege« – als einen erweiterten Zweikampf, in dem die Kontrahenten versuchen, ihren Gegner niederzuwerfen und somit kampfunfähig zu machen. Der dialektische Zusammenhang von Mittel und Zweck des Krieges wird hier überzeugend dargestellt.
»(…) Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. […] d. h., die physische Gewalt [denn eine moralische gibt es außer dem Begriffe des Staates und Gesetzes nicht], ist also das Mittel, dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. (…)«
(Vergl. Carl von Clausewitz »Vom Kriege«, Hg. Engelberg, Korfes, Verlag MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, 1. Kapitel, S. 17)
Dabei muss der organisierte bewaffnete Kampf – der kriegerische Akt nach Clausewitz – immer als Hauptform betrachtet werden. Wobei er hier abweichende Varianten einräumt.
»(…) Ist nun das Ziel des kriegerischen Aktes ein Äquivalent für den politischen Zweck, so wird er im allgemeinen mit diesem heruntergehen, und zwar um so mehr, je mehr dieser Zweck vorherrscht; und so erklärt es sich, wie ohne inneren Widerspruch es Kriege mit allen Graden von Wichtigkeit und Energie geben kann, von dem Vernichtungskriege hinab bis zur bloßen bewaffneten Beobachtung.(…)«
(Vergl. Carl von Clausewitz »Vom Kriege«, Hg. Engelberg, Korfes, Verlag MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, 1. Kapitel, S. 26)
Im Falle eines »Vernichtungskrieges« war also das Ziel, das gegnerische Territorium zu besetzen, die gegnerischen bewaffneten Kräfte zu vernichten – d. h. töten, verwunden – oder gefangen zu nehmen. Wehrlos machen war das Ziel
»(…) Wir haben gesagt: Den Feind wehrlos zu machen sei das Ziel des kriegerischen Aktes, […] Hieraus folgt: daß die Entwaffnung oder das Niederwerfen des Feindes, wie man es nennen will, immer das Ziel des kriegerischen Aktes sein muß. (…)«
(Vergl. Carl von Clausewitz »Vom Kriege«, Hg. Engelberg, Korfes, Verlag MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, 1. Kapitel, S. 19 bis 20)
Die Verwirklichung möglicher Kriegsziele in Abhängigkeit der Methoden kriegerischer Akte war also von einer Reihe elementarer Faktoren abhängig, zu der aber auch die Kriegskultur gehört. Im Hauptwerk Clausewitz´stoßen wir konkret wenigstens an 52 Stellen [Quelle des Autors] auf den Begriff »Moralische Kräfte, Wirkungen und Größen im Kriege«. Den Oberbegriff »Ethik« finden wir indes nicht. Das ist erstaunlich, da sich zum Beispiel Kant – der Clausewitz nicht unbekannt war – prinzipiell mit ethischen Fragen auseinander gesetzt hatte. Ob Clausewitz Kants ethische Schriften, besonders aber die »Metaphysik der Sitten« – erschienen 1797 – jemals gelesen hat, wissen wir nicht. Gleichwohl spiegeln sich Kants »Moralphilosophie und die Tugendlehre« in seinen Werken wider.
Peter Paret formuliert dahingehend:
»(…) Clausewitz selbst war jedenfalls kein gelernter Philosoph. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob er die Kritiken Kants […] gelesen hat. (…)«
(Vergl. »Clausewitz und der Staat«, Hg. Peter Paret, Dümmler, 1993, S. 188)
Clausewitz selber wird also mitnichten ein »Kantianer« gewesen sein, aber er war geprägt durch seinen Lehrer Kiesewetter, bei dem er an der Kriegsschule in Berlin über die Kantsche Philosophie hörte. Dass er Kants Metaphysik, hier den »kategorischen Imperativ« mit seiner Grundaussage …
»(…) handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. (…)«
(Vergl. Kant: AAA IV, Grundlagen zur Metaphysik der Sitten, S. 421)
… eventuell kannte und verstanden haben dürfte, sehen wir anhand seines Politikverständnisses als gegeben an. Die Suche nach sittlichen Lösungen in militärischen Konflikten ist auch zu bemerken, wenn es um Leben und Tod – also um den Krieg – geht. So lesen wir in »Vom Kriege« Folgendes zur Anwendung äußerster Gewalt:
»(…) Sind Kriege gebildeter Völker viel weniger grausam und zerstörend als die der ungebildeten, so liegt das in dem gesellschaftlichen Zustande sowohl der Staaten in sich als unter sich. […] Finden wir also, daß gebildete Völker den Gefangenen nicht den Tod geben, Stadt und Land nicht zerstören, so ist es, weil die Intelligenz in ihrer Kriegsführung mehr mischt und ihnen wirksamere Mittel zur Anwendung der Gewalt gelehrt hat als diese rohen Äußerungen des Instinkts. (…)«
(Vergl. Carl von Clausewitz »Vom Kriege«, Hg. Engelberg, Korfes, Verlag MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, 1. Kapitel, S. 18 bis 19)
Aber auch in der Korrespondenz mit seiner Frau Marie ist sittliches Politikverständnis zu erkennen. So schrieb Clausewitz am 12. Juli 1815 aus Fontainbleau – nachdem Napoléon endgültig geschlagen war – über seine Befürchtungen des unehrenhaften Umganges mit dem unterlegenen Gegner. Er hatte von unangemessenen Kontributionen erfahren. Für Blüchers Forderung, die »Brücke von Jena« in Paris zu sprengen, hatte er keinerlei Verständnis. Diese Brücke wurde nach dem Sieg Bonapartes bei Jena und Auerstedt 1806 so benannt. F. W. III. konnte das verhindern. Clausewitz hatte einen Präliminarfrieden mit Frankreich im Sinn, der keinen neuen Krieg im Keim haben würde.
»(…) Mein sehnlichster Wunsch ist […], schreibt er an Marie, […] daβ dieses Nachspiel ein baldiges Ende nehmen möge; denn eine Stellung mit dem Fuβe auf dem Nacken eines anderen ist meinen Empfindungen zuwider und der unendliche Konflikt von Interessen und Parteiungen meinem Verstande. Geschichtlich werden die Engländer die schönste Rolle in dieser Katastrophe spielen; denn sie scheinen nicht wie wir hergekommen zu sein mit der Leidenschaft der Rache und Wiedervergeltung, sondern wie ein züchtigender Meister mit stolzer Kälte und tadelloser Reinheit – kurz, vornehmer als wir. (…)«
(Vergl. Carl und Marie von Clausewitz – Briefe, Ein Leben im Kampf für Freiheit und Reich, von Otto Heuschele, S. 246 bis 248)
Für Clausewitz war also die Vernunft im Kriege – frei nach Kant – von fundamentaler Bedeutung. Das Lavieren der siegreichen Monarchen nach Waterloo, die sich wie 1814 nicht unbedingt einig waren, wie mit dem »Ungeheuer« [nach E. M. Arndt] und Frankreich zu verfahren war, betrachtete Clausewitz mehr als skeptisch. Alles war seiner Erkenntnis nach abhängig vom Verhältnis zwischen Zweck und Mittel, also vom »Kriegsplan«. So formuliert in »Vom Kriege«:
»(…) Der Kriegsplan faßt den ganzen Akt zusammen, […] Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel. (…)«
(Vergl. Carl von Clausewitz »Vom Kriege«, Hg. Engelberg, Korfes, Verlag MfNV, Berlin 1957, Skizzen zum achten Buch Kriegsplan, 2. Kapitel, S. 694)
An dieser Stelle sei ein kurzer Blick in die Gegenwart gestattet. Die Welt war unlängst Zeuge, wie die NATO-Truppen nach rund zwei Jahrzehnten kopflos aus Afghanistan abzogen, ohne irgendeinen nachhaltigen Erfolg ihres Krieges verzeichnen zu können. Damit endete auch der verlustreichste und teuerste Einsatz der Bundeswehr in ihrer Geschichte. Insgesamt starben seit 2001 über 3.500 Soldatinnen und Soldaten der NATO und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Davon leider auch 59 Soldaten der Bundeswehr. Seit 2009 sind über 39.000 Menschen aus der Zivilbevölkerung getötet und über 73.500 verletzt worden.
(Vergl. Bundeszentrale für politische Bildung, 7.6. 2021, Politik, Hintergrund aktuell)
Wenn die Politiker der NATO-Staaten 2001 Clausewitz gekannt und verinnerlicht hätten, wäre dieser Krieg – wie viele andere auch – in dieser Form nie geführt worden. Zu einem Parallelereignis liegt eine seltene offene Kritik eines Truppenkommandeurs an der Politik vor. Bereits 2006 hatte der britische General Sir Richard Dannatt – damaliger Heereschef im Irak – u. a. die Invasion im Irak und ihre »armselige« Planung kritisiert. Die Briten waren seit der Invasion im März 2003 der wichtigste ausländische Verbündete der Vereinigten Staaten im Irak. Insgesamt waren etwa 7.000 Soldaten im Einsatz.
»(…) Die Geschichte werde vermutlich zeigen, daß die Planung für die Nachkriegsphase armselig gewesen sei und mehr auf Optimismus beruht habe. „Die ursprüngliche Absicht war, eine freiheitliche Demokratie einzusetzen, die ein Vorbild für die Region und pro-westlich sein und vielleicht einen positiven Effekt auf das Gleichgewicht im Nahen Osten haben würde“, sagte Dannatt. „Ich glaube nicht, daß wir das erreichen werden.“ (…)«
(Vergl. faz.net, 2006)
Alles deutet auf ein elementares Fehlen einer politischen Ethik im Clausewitz`schen Sinne hin. Betrachtet man also die Moralphilosophie Kants mit Clausewitz´ Augen, so stößt der Leser auf folgende Fakten. Die Moral wirkt unter bestimmten Gesetzmäßigkeiten: der Vernunft, der Sittengesetze und der Befolgung von für den Menschen allgemein gültigen Rechtsnormen. Hier wirkt also Kants kategorischer Imperativ, wie bereits weiter vorn dargestellt.
Kehren wir zum Ausgangspunkt der Betrachtung zurück und beurteilen das Wesen des Handelns Xenophons und seiner Getreuen, so erkennen wir das Wechselspiel von Moral und Ethik im Handeln der Soldaten. Die Geschichte des »Zuges der Zehntausend« spiegelt in vielen einzelnen Episoden den Kampf der Griechen um moralisch und ethisch gutes Handeln wider.
(Vergl. »Xenophon Anabasis Der Zug der Zehntausend«, Phillipp Reclam, 1958)
Was letztendlich in der Methapher »Das Meer, das Meer …« widergespiegelt wird. Wobei auch zu erkennen ist, dass gerade moralisches und ethisches Handeln im Kampf nicht immer der Theorie folgt oder folgen kann.
Zu allen Zeiten, wie auch in der Clausewitz`schen – der des frühen 19. Jhd. – galten und gelten die jeweiligen temporären Moralauffassungen der einzelnen Völker. Allgemeingültig und zeitlos kann jedoch folgende Sicht für Soldaten z. B. angenommen werden.
»(…) Es gibt geschichtlich eine Moral der Tapferkeit, eine Moral des Gehorsams, eine Moral des Stolzes, desgleichen der Demut, der Macht, der Schönheit, der Willensstärke, der Mannestreue, des Mitleids. Von aller positiven Moral zu unterscheiden ist aber die Ethik als solche mit ihrer allgemeinen, idealen Forderung des Guten, wie sie in jeder speziellen Moral schon gemeint und vorausgesetzt ist.
Ihre Sache ist es zu zeigen, was überhaupt „gut“ ist. (…)«
(Vergl. Ethik, Hg. Nicolai Hartmann, De Gruyter & Co, 1962, S. 37)
Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, wie Clausewitz die Rolle des menschlichen [soldatischen] Geistes in seinem Hauptwerk »Vom Kriege« später ins Spiel bringt und den Menschen als Subjekt des Kampfes sieht.
»(…) Die Kriegskunst hat es mit lebendigen und moralischen Kräften zu tun, daraus folgt, daß sie nirgends das Absolute und Gewisse erreichen kann; es bleibt also überall dem Ungefähr ein Spielraum, und zwar ebenso groß bei den Größten wie bei den Kleinsten. Wie dieses Ungefähr auf der einen Seite steht, muß Mut und Selbstvertrauen auf die andere treten und die Lücke ausfüllen. So groß wie diese sind, so groß darf der Spielraum für jenes werden. Mut und Selbstvertrauen sind also dem Krieger ganz wesentliche Prinzipe. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 1, S. 32)
Clausewitz, ein Schüler Scharnhorsts, rezipierte hier auch offensichtlich dessen Schrift »Entwicklung der allgemeinen Ursachen des Glücks der Franzosen in dem Revolutionskriege und insbesondere in dem Feldzuge von 1794«. In diesem Werk analysierte Scharnhorst seine Erlebnisse aus der Teilnahme am Krieg gegen Frankreich von 1793 bis 1795. Neben der Quelle des Kriegsglücks der Franzosen stellt er vor allem den Ursprung der eigenen Niederlagen dar.
»(…) aber wenn 5 bis 6 Armeen in 5 Jahren 10 Feldzüge fast immer unglücklich endigen; […] dann können nicht bloß zufällige Ereignisse und nicht bloß einzelne durch Bestechung, Uneinigkeit, Kabalen oder Unwissenheit entstandene Fehler die Ursache des Unglücks sein; dann muß ihre Quelle in allgemeinern Übeln liegen. (…)«
(Vergl. »Scharnhorst Ausgewählte militärische Schriften«, Hg. Usczek und Gudzent, MV, 1986, S. 98)
Als eine der Ursachen stellte Scharnhorst die Wirkungsweise der völlig veränderten Fechtweise der revolutionären Franzosen dar. Die frei nach der Idee des Grafen Lazare Nicolas Marguerite Carnot (∗1753; †1823) mit dem Leitsatz »Levée en masse« das Schlachtfeld betraten und mit der Idee – »Agir toujours en masse« – »in Massen handeln, keine Manöver mehr, keine Kriegskunst, sondern Feuer, Stahl und Vaterlandsliebe«, von Sieg zu Sieg eilten.
(Vergl. M. Howard »Krieg in der europäischen Geschichte: vom Mittelalter bis …«, S. 114)
Scharnhorst sah die Ursachen für die Sieghaftigkeit der Revolutionstruppen nicht nur in deren neuen Fechtweise, sondern vor allem durch deren moralische Überlegenheit, durch den Soldaten neuen Typs. Da Clausewitz als junger Gefreiten-Corporal mit seinen Kameraden am 6. Juni 1793 das Dorf Zahlbach vor Mainz stürmte – also Teilnehmer dieser Kriege war – kannte er diese Erscheinungen aus eigenem Erleben und konnte somit Scharnhorsts Darlegungen durchaus verstehen und verarbeiten.
Clausewitz hatte bereits in einer Reihe seiner früheren Schriften wie »Strategie aus dem Jahr 1804 mit Zusätzen von 1808 und 1809», »Bekenntnisschrift von 1812« sowie »Preussen in seiner großen Katastrophe« aus den Jahren 1823/24 die Bedeutung und Verknüpfungen der Auffassungen von Zweck, Ziel und Mittel, Strategie und Taktik sowie von Angriff und Verteidigung dargelegt.
Den Faktoren von Geist und Moral und deren Wirkungsweisen in den unterschiedlichen Ebenen der Truppen und in der Theorie allgemein, räumte Clausewitz dabei einen herausragenden Platz ein. Noch bevor Fichte seine Schrift über Machiavelli im Jahr 1807 niederlegte und Clausewitz anonym – als ein ungenannter Militär mit Sendschreiben an Fichte – im Jahr 1809 darauf reagierte, bezog er sich in seiner »Strategie aus dem Jahr 1804« auf den italienischen Philosophen. Clausewitz anonym an Fichte:
»(…) Machiavelli, der ein sehr gesundes Urteil in Kriegssachen hat, behauptet, daß es schwerer sei, eine Armee mit frischen Truppen zu schlagen, die eben gesiegt hat, als sie vorher zu schlagen. Er belegt dies mit mehreren Beispielen und behauptet ganz richtig, der errungene moralische Vorteil ersetze den Verlust reichlich. (…)«
(Vergl. »Clausewitz Strategie«, Hg. E. Kessel, Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg, 1937, S. 41)
Die Begriff vom »moralischen Vorteil« sowie »Geist der Truppen« – explizit in Clausewitz´»Preussen in seiner großen Katastrophe« erwähnt – begleiteten Clausewitz auch in seiner Kritik an Bülow (von 1805) bis hin in sein Hauptwerk »Vom Kriege«. Die kriegerische Tugend der kämpfenden Truppen, die von ihm als »moralische Potenz∗«
∗(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 5, S. 171) bezeichnet wurde, war letztendlich der Garant der siegreichen Kriege Preußens gegen Napoléon in den Jahren 1813 bis 1815.
Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (*1469; †1527) (Quelle: Wikipedia)
Die »Befreiungskriege« boten eine Reihe von überzeugenden Beispielen, die die moralische Kraft der neu geschaffenen Landwehr demonstrierten. Gneisenau berichtete Clausewitz darüber aus Goldberg unter dem 28. August 1813:
»(…) Mein teurer Freund. Wir haben vorgestern eine schöne Schlacht gewonnen; entscheidend, wie die Franzosen noch nie entscheidend eine verloren haben. […] Diese Schlacht ist der Triumph unserer neugeschaffenen Infanterie. […] Ein Landwehrbataillon v. Thiele ward von feindlicher Reiterei umringt und aufgefordert, sich zu ergeben. Es feuerte; nur ein Gewehr ging los. Dennoch ergaben die Landwehrmänner sich nicht; Nein! Nein! schrien sie, und stießen mit den Bajonetten. […] Nur das Geschrei der Streitenden erfüllte die Luft; die blanke Waffe entschied. (…)«
(Vergl. »Gneisenau Ein Leben in Briefen«, Hg. Dr. Karl Griwank, Koehler & Amelang/Leipzig, S. 246 bis 248)
Wobei der geniale Feldherr Gneisenau durchaus auch die Mängel dieser neuen Infanterie postulierte und auf teilweises fehlendes Stehvermögen der Landwehr hinwies. Die Reformer um Scharnhorst, Gneisenau u. a. – zu denen auch Clausewitz im erweiterten Sinne gehörte – konnten Rückschläge in der Präsenz der Landwehr im Kampf nie ganz ausschließen. Hier wirkten die Clausewitz´schen Friktionen, dargelegt in »Vom Kriege«, im 1. Buch, Kapitel 7 »Friktionen im Krieg«.
»(…) Sie [die Landwehr, Anm. Autor] stellte ein organisiertes Volksaufgebot dar, mit ungleichmäßiger, oft ganz mangelnder militärischen Ausbildung. Der natürliche Fehler einer solchen Truppe ist der Mangel an Zuverlässigkeit. Unmittelbar neben den Taten der höchsten Tapferkeit in Momenten einer glücklichen Anregung oder unter einem ungewöhnlich kräftigen Führer ist es vorgekommen, daß die Landwehrbataillone beim ersten Kanonenschuß die Waffen wegwerfend auseinanderstäubten. (…)«
(Vergl. Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau, Hans Delbrück, in Bd. 2, Verlag Stilke, Berlin, 1908, S. 352)
Im Verlaufe der Kampfhandlungen gelang es aber, durch kluge Führung der Truppen eine einzigartige kriegerische Tugend zu entwickeln, die das preußische Heer erfolgreich erscheinen ließ.
Gneisenau berichtete in einem Brief an die Gattin vom 18. Oktober 1813 [während der Schlacht bei Leipzig] aus Wetterwitz bei Leipzig, des Morgens 5 Uhr:
»(…) Schon vorgestern hat die Blüchersche Armee abermals einen herrlichen Sieg erfochten. … Die Tapferkeit der Truppen unterstützte auf das herrlichste unsere Anordnungen. Wir hatten uns in Bataillonsmassen aufgestellt. Das feindliche Geschütz wütete darin sehr. Unsere Landwehrbataillone taten herrlich. Wenn eine feindliche Kugel 10 bis 15 Mann darniederriß, riefen sie: Es lebe der König! und schlossen sich wieder in den Lücken über die Getöteten zusammen. (…)«
(Vergl. »Gneisenau ein Leben in Briefen«, HG Karl Griewank, Verlag Köhler & Amelang, S. 260)
Auf die Rolle und Bedeutung der Tugenden und des Enthusiasmus der Soldaten wird hier noch zurückzukommen sein. Wesentlich dabei muss die Rolle des Talentes des Feldherren gewürdigt werden, wie eingangs anhand Xenophons geschildert. Dabei ist nicht nur die Fähigkeit der Feldführung von Bedeutung, sondern auch – nicht minder wichtig – die Begabung zur Ausbildung der Truppen. Ausbildung und Führung der Truppen räumte Clausewitz wie Scharnhorst und Boyen einen herausragenden Platz ein. Beide Aspekte wurden als Grundvoraussetzung für die freie Entfaltung notwendiger kriegerischer Tugenden betrachtet.
»(…) Wie sorgfältig man sich also auch den Bürger neben dem Krieger in einem und demselben Individuum ausgebildet denken, wie sehr man sich die Kriege nationalisieren und wie weit man sie sich in einer Richtung hinaus denken möge, entsprechend den ehemaligen Kondottieris; niemals wird man die Individualität des Geschäftsganges aufheben können, und wenn man das nicht kann, so werden auch immer diejenigen, welche es treiben und solange sie es treiben, sich als eine Art Innung ansehen, in deren Ordnungen, Gesetzen und Gewohnheiten sich die Geister des Krieges vorzugsweise fixieren. (…)
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 5, S. 169 bis 170)
Den Begriff »Innung« wählte Clausewitz bewusst als Metapher für einen anderen, den des »esprit de corps«, denn er war in diesem Sinne erzogen worden und nahm diesen für sich durchaus in Anspruch. Davon zeugt u. a. ein Brief an Marie vom 13. Dezember 1806, aus der Gefangenschaft geschrieben.
»(…) Wir drei jüngsten Brüder sahen uns also als Edelleute in der Armee angestellt, und zwar mein dritter Bruder nebst mir in einem Regimente [Prinz Ferdinand], in welchem nur Edelleute dienen konnten. (…)«.
(Vergl. »Carl und Marie von Clausewitz – Briefe – Ein Leben im Kampf für Freiheit und Reich«, Hg. Otto Heuschele, S. 57)
Mit seinem väterlichen Freund Scharnhorst tauschte sich Clausewitz in der Zeit der Reformarbeit rege über den Geist des neuen preußischen Heeres aus. Scharnhorst an Clausewitz, Memel, den 27. November 1807:
»(…) so wird das neue Militär, so klein und unbedeutend es auch sein mag, in einem anderen Geiste sich seiner Bestimmung nähern und mit den Bürgern des Staates in ein näheres und innigeres Bündnis treten. (…)«
(Vergl. »Scharnhorsts Briefe«, Hg. Linnebach, Kraus Rprint, S. 333 bis 336)
Ausdruck der ungeheuren Anstrengungen der Reformer um Scharnhorst, zu denen sich Clausewitz zählen konnte, waren die Arbeiten an den Reformen der Taktik und der Ausbildung des Heeres. Herausgehoben hier als Beispiele das »Exerzier-Reglement für die Infanterie der königliche Preußischen Armee von 1812«, das »Exerzier-Reglement für die Artillerie der königlich Preußischen Armee von 1812« sowie die Vorschrift »Allgemeine Regeln zur Befolgung in den Übungen von 1810«. Ebenso wurde auch der Preußischen Kavallerie ein neues Reglement vorangestellt.
Alle Arbeiten, die teilweise mit Mühen dem König von Preußen vorgelegt und durch diesen bestätigt wurden, dienten dem schnellen Umsetzen der Schlussfolgerungen aus der Niederlage von 1806 und der kommenden bewaffneten Auseinandersetzungen mit Napoléon Bonaparte. Im Mittelpunkt der Ausbildung damals stand die Vorbereitung auf den Kampf der verbundenen Waffen mit Infanterie, Artillerie und Kavallerie. Die Truppe sollte gefechtsnah ausgebildet und die Offiziere an neue Anforderungen mit höherer Verantwortung gewöhnt werden.
(Vergl. »Scharnhorst Ausgewählte militärische Schriften«, Hg. Usczek und Gudzent, MV, 1986, S. 280 bis 299)
Clausewitz beschreibt diese Intentionen in »Vom Kriege« folgendermaßen:
»(…) Die Kriegskunst im eigentlichen Sinne wird also die Kunst sein, sich der gegebenen Mittel im Kampf zu bedienen, und wir können sie nicht besser als mit Namen Kriegsführung bezeichnen. Dagegen werden allerdings zur Kriegskunst im weiteren Sinne auch alle Tätigkeiten gehören, die um des Krieges willen da sind, also die ganze Schöpfung der Streitkräfte, d. i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 2. Buch, Kap. 1, S. 88)
Militärische Tugenden, die Moral der Kämpfer, gepaart mit Enthusiasmus der Truppe – vom Heerführer bis in das letzte Glied der Linie und die Ausbildung – waren, so Clausewitz – Grundlagen des Sieges im Gefecht und der Schlacht. Streng wies er jedoch darauf hin, dass auch im Kampf Regeln und Gesetze galten und zu berücksichtigen waren.
»(…) Grundsätze, Regeln, Vorschriften und Methoden aber sind für die Theorie der Kriegsführung unentbehrliche Begriffe, insoweit sie zu positiven Lehren führt, weil in diesen die Wahrheit nur in solchen Kristallisationsformen anschießen kann. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 2. Buch, Kap. 4, S. 120)
Hier spiegelt sich offensichtlich Kants Auffassung über Gesetze, wie bereits dargestellt, zweifellos wider. Neben den »technischen« Voraussetzungen sieht Clausewitz noch einen weiteren wichtigen Komplex von Wirkungsfaktoren im Krieg.
Das sind Tapferkeit, Gewandtheit, Abhärtung, Enthusiasmus, Kühnheit, Beharrlichkeit, Überraschung sowie List. Diese allgemeingültigen Faktoren, die die moralische Potenz der gesamten Truppe determinieren, gliedert Clausewitz jedoch weiter auf. Als »unverkennbare Wahlverwandtschaften« charakterisiert er das Zusammenwirken von Regeln, Gehorsam und Ordnung, gepaart mit dem Talent des Feldherren und dem Volksgeist des Heeres unter verschiedenen Bedingungen der jeweiligen Kriegstheater. (Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 5, S. 169 bis 172)
Als bedeutsam kann die zuverlässige »Taktung« aller genannten Faktoren betrachtet werden. Clausewitz weist hier auf einen sehr wichtigen Zusammenhang zwischen Geist und Stimmung der Truppe hin. Dabei muss unterschieden werden zwischen Ausbildung im Frieden und Einsatz im Krieg. Wenn die Truppe im Frieden nicht annähernd das Bild eines Krieges vermittelt bekam, so wie Clausewitz das verlangte, kann die Truppe scheitern.
»(…) Besonders verwandelt sich die beste Stimmung von der Welt beim ersten Unfall nur zu leicht in Kleinmut und, man möchte sagen, in eine Art von Großsprecherei der Angst: das französische Sauve qui peut [rette sich, wer kann – Bem. Autor] Ein solches Heer vermag nur durch seinen Feldherr etwas, nichts durch sich selbst. Es muß mit doppelter Vorsicht geführt werden, bis nach und nach in Sieg und Anstrengung die Kraft in die schwere Rüstung hineinwächst. Man hüte sich also, Geist des Heeres mit Stimmung desselben zu verwechseln. [Hervorhebung durch Autor] (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 5, S. 172)
Der Autor gestattet sich an dieser Stelle, ein Beispiel aus der eigenen Dienstzeit als Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons aus dem Jahr 1984 anzuführen.
Im Verlaufe einer taktischen Luftlandung während einer Übung erhielt eine Fallschirmjägergruppe während des Fluges über die »Frontlinie« die Einlage »Hubschrauber durch Beschuss getroffen«. Die Besatzung des Hubschraubers simulierte eine Notlandung in unbekanntem Gelände und die Gruppe war zum Interagieren gezwungen. Fünf weitere Hubschrauber des Verbandes mit der handelnden Fallschirmjägerkompanie erreichten jedoch den Einsatzort, und die Kompanie – ohne eine Gruppe – erfüllte ihren Auftrag.
Die »unglückliche« Gruppe, voran ihr Gruppenführer, war von dieser Lage völlig überrascht worden und de facto handlungsunfähig. Obwohl der Platz der Notlandung nur rund 10 km vom eigentlichen Einsatzort entfernt war und die Distanz zur eigenen Truppe im Eilmarsch/Laufschritt in 1,5 bis 2 Stunden zu überwinden gewesen wäre, fiel diese Gruppe für den weiteren Verlauf dieser Übungsetappe aus. Vom Zeitfond der Lage her war diese Verzögerung eingerechnet worden, und die notgelandete Gruppe hätte an der Erfüllung des Kampfauftrages – Einnahme eines wichtigen Objektes – teilnehmen können und müssen.
Damals stießen wir auf die Problematik der Dissonanz zwischen Geist und Stimmung. Wenngleich diese Gruppe gut vorbereitet war und »in bester Stimmung« den Hubschrauber im Ausgangsraum der Luftlandung zusammen mit den anderen Kameraden bestieg, führte diese neue Lage zum völligen Ausfall der Truppe. Der Gruppenführer war nicht mehr in der Lage, seine Männer, die nun demotiviert waren, an die anderen Gruppen seiner Kompanie heranzuführen.
»(…) Hier versuchte ich damals, reale Ereignisse aus der deutschen Militärgeschichte in die Ausbildung einzuflechten. Ohne meine Quelle preiszugeben, was eine Katastrophe gewesen wäre, bezog ich mich auf ein Ereignis bei der Einnahme der belgischen Festung »Fort Eben-Emael« durch deutsche Fallschirmjäger 1940. Während dieser Operation musste ein deutscher Lastensegler weit vor dem Zielgebiet durch Beschuss notlanden. Die Fallschirmjäger erfüllten jedoch ihren Auftrag und kämpften sich im Eilmarsch mit erbeutetem Kfz an ihre Einheiten heran und nahmen am Sturm des Forts teil [Claus Bekker, »Angriffshöhe 4000«, Heyne -Buch, 1973, S. 89/90] (…)«
(Vergl. Tarnname »Lötzinn 750« Das Fallschirmjägerbataillon/Luftsturmregiment-40, Hg. K.-D. Krug, Eigenverlag, 2018, S. 213 bis 214 )
Clausewitz bezog sich in seinem Hauptwerk im 1. Buch, 7. Kapitel auf die sehr bedeutsame Erscheinung der Friktionen im Krieg, die die vorangegangenen Schilderungen vielleicht unterstreichen könnten.
»(…) Solange man selbst den Krieg nicht kennt, begreift man nicht, wo die Schwierigkeiten der Sache liegen, von denen immer die Rede ist, […] Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig. Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen eine Friktion hervor, die sich niemand richtig vorstellt, der den Krieg nicht gesehen hat. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 7, S. 79)
Nach Clausewitz sind die realen Friktionen das, was den wirklichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet. Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke (*1800; †1891), ein Zeitgenosse und formal Schüler Clausewitz´, wird später in einem Aufsatz aus dem Jahr 1871 »Über Strategie« schreiben:
»(…) Die materiellen und moralischen Folgen jedes größeren Gefechtes sind aber so weitgreifender Art, daß durch dieselben meist eine völlig veränderte Situation geschaffen wird, eine neue Basis für neue Maßregeln.
Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus. [Hervorhebung durch Autor] Nur der Laie glaubt in dem Verlauf eines Feldzuges die konsequente Durchführung eines im voraus gefassten, in allen Einzelheiten überlegten und bis ans Ende festgehaltenen, ursprünglichen Gedanke zu erblicken. (…)«
(Vergl. Moltke Militärische Werke, Hg. vom großen Generalstab, 1892 – 1912, Band II, Teilband 2, S. 291 – 293)
Ganz im Sinne Clausewitz´ betrachtete Moltke selbst die Strategie auf Grund der nicht vorhersehbaren Friktionen als ein System von Aushilfen.
(Vergl. Moltke MW, Band IV, Teilband 3, S. 1)
Moltke besuchte von 1823 bis 1826 die Allgemeine Kriegsschule, dessen Direktor zu dieser Zeit Carl von Clausewitz war. Inwieweit jedoch Clausewitz selber auf Moltke in dieser Zeit einwirken konnte, ist unklar. Clausewitz hatte als Direktor keinen Einfluss auf die Lehre an der Kriegsschule.
Helmuth Graf von Moltke
(*1800; †1891) Quelle Wikipedia
Der Genius, also der Geist eines Feldherren, zeichnet sich – so Clausewitz – durch die Einsicht in die Notwendigkeit aus,
»(…) daß ein jeder Krieg von Hause aus als Ganzes aufgefasst werde und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, Skizzen zum 8. Buch, Kap. 3, S. 699)
Es wäre notwendig, hier an dieser Stelle auf das Verdienst Moltkes hinzuweisen, der maßgeblich dafür sorgte, dass Clausewitz´ Theorie vom Krieg, besonders aber auch den Aspekt der moralischen Fragen betreffend, im Europa spätestens nach 1871 deutlicher rezipiert wurde. Nach den erfolgreichen Einigungskriegen …
»(…) wollte die Welt sein Geheimnis erfahren, und als Molke erklärte, das Buch, das ihn außer der Bibel und Homer am meisten beeinflußt habe, sei »Vom Kriege« gewesen, (…)«
(Vergl. »Die Kultur des Krieges«, Hg. John Keegan, Rowolt, 1997, S. 46)
Damit war der Nachruhm Clausewitz´ zunächst in Europa gesichert.
Das Wechselspiel von moralischen Größen und den physischen Kräften erscheint – so Clausewitz – am deutlichsten im Gefecht.
»(…) Das Gefecht ist die eigentliche kriegerische Tätigkeit, alles übrige sind nur Träger derselben. (…)
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 4. Buch, Kap. 3, S. 222)
Sehr deutlich charakterisiert Clausewitz die eigentliche Bedeutung eines Gefechts in seiner Wirkungszeit. Dieses Charakteristikum, zeitlos in der Militärgeschichte bis in unsere Tage, drückt der General und Philosoph wie folgt aus:
»(…) Jedes Gefecht ist also die blutige und zerstörende Abgleichung der Kräfte, der physischen und der moralischen. Wer am Schluß die größte Summe von beiden übrig hat, ist Sieger. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 4. Buch, Kap. 3, S. 229)
Es kann also gesagt werden, dass Carl von Clausewitz die Fragen der kriegerischen Tugenden wie Tapferkeit, Gewandtheit, Kühnheit, Beharrlichkeit, Härte und Enthusiasmus als die Grundlagen für »moralische Potenz« betrachtete. Gepaart mit den notwendigen technischen Möglichkeiten (Bewaffnung und Ausrüstung), schafft diese »Potenz« die notwendige Kampfkraft, um einen potentiellen Gegner vernichtend zu schlagen. Oder anders ausgedrückt, die Mittel zum Zweck erfolgreich einzusetzen. Hier schließt sich der Kreis zum eingangs geschilderten historischen Ereignis »Zug der Zehntausend« unter Xenophon.
Trotz scheinbar auswegloser Lage kann es gelingen, durch kluge Führung der Truppen eine hohe Einsatzmotivation zu erreichen. Ethik und Moral als philosophische Kategorien bilden so wie bei Clausewitz dafür die Grundlagen. In der Kriegsgeschichte finden sich sehr viele beachtenswerte Beispiele, die vor allem vom »Erleben« – als psychologische Kategorie – einzelner Gefechte und Schlachten zeugen. Militärhistoriker wie Keegan (»Antlitz des Krieges«) oder auch der Schriftsteller Tolstoi (»Krieg und Frieden«) zeigen – wie einige andere Schriftsteller über die Zeiten hinweg – in ihren Werken die militärische Wirklichkeit in ihrer Dramatik zu unterschiedlichen Zeiten. Bemerkenswert auch die Sicht Friedrich Engels´ zu den Fragen der Moral im bewaffneten Kampf, die er in »Die deutsche Reichsverfassungskampagne 1848/1849« 1850 darlegte.
John Keegan (*1934; †2012) schildert u. a. die physischen Umstände, denen die Soldaten aller Ebenen auf Märschen, Rasten, bei Tag und Nacht, in Gefechten und in der Schlacht ausgesetzt waren. Hier nennt er mehrere Faktoren, die auf die Psyche der Männer wirkten. Zuerst nennt er die Müdigkeit.
»(…) Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich allgemein feststellen, daß die Soldaten der meisten Heere – jedenfalls vor der Zeit des motorisierten Transports – müde in die Schlacht gegangen waren, sei es auch nur, weil sie unter der Last von Waffen und Gepäck aufs Schlachtfeld marschieren mussten.[…] Dasselbe galt für die beiden Armeen am Morgen von Waterloo. (…)«
(Vergl. »Das Antlitz des Krieges« Hg. John Keegan, Econ Verlag, 1978, S. 155)
Beide Heere, Napoléons Franzosen, aber auch die alliierten britischen und preußischen Truppen, begegneten sich am 18. Juni 1815 nach vorangegangenen Gefechten – am 16. Juni die Preußen bei Ligny, die Briten bei Quatre-Bras – auf dem Feld von Waterloo. Die Heere erreichten ihre Positionen nach Tag- und Nachtmärschen unter strömendem Regen im Zustand völliger Erschöpfung, gezeichnet von Hunger und Durst sowie im Bewusstsein, schreckliche Verluste erlitten zu haben. Dort, wo Halt eingelegt wurde, fielen die Männer – Soldat und Offizier – buchstäblich in den Schlamm und schliefen ein. Selbst die üblicherweise bei solchen Ereignissen abgehaltenen Andachten entfielen vor Erschöpfung weitestgehend, wie Keegan berichtet. Woher also die Kraft, am 18. Juni in die Linie zu treten und den Kampf erneut aufzunehmen?
»(…) Diesen Soldaten kam die Entscheidung zur Schlacht schließlich wie eine Befreiung vor, […] Will man ihre Kampfbereitschaft bewerten, dann muß man sich vor Augen halten, daß sie zum größten Teil erfahrene Krieger waren. In der Regel ist es so, daß fast jeder alte Frontsoldat lieber heute als morgen kämpfen möchte, wenn die nächste Nacht wieder kalt und feucht zu werden verspricht und die Schlacht letztlich ohnehin unvermeidlich ist. (…)«
(Vergl. »Das Antlitz des Krieges« Hg. John Keegan, Econ Verlag, 1978, S. 160 bis 161)
Weitere Faktoren, die Keegan benannte, waren der Lärm und die Sichtbeschränkung durch die Waffenwirkung der Artillerie und das unaufhörlichen Kleingewehrfeuer, dessen Schwarzpulverschwaden das Gefechtsfeld eindeckten. Zu all dem kamen noch die Schreie der Verwundeten, denen damals kaum zu helfen war. Die Dauer des Kampfgeschehens führte auch dazu, dass die Soldaten da, wo sie standen oder kämpften, in Quarees oder Kolonnen, die sie nicht verlassen durften, ihre Notdurft verbringen mussten. Letzteres waren Umstände, die sich dem Soldaten einprägten.
»(…) Zutiefst im Gedächtnis der Überlebenden hat sich der Kampf selbst eingeprägt, ihr Verhalten und das ihrer Kameraden, die Unternehmungen des Feindes und die Wirkung der Waffen, denen sie ausgesetzt waren. (…)«
(Vergl. »Das Antlitz des Krieges« Hg. John Keegan, Econ Verlag, 1978, S. 166)
Clausewitz äußerte sich zu derartigen Wirkungsfaktoren in »Vom Kriege« folgendermaßen:
»(…) Jedes Gefecht ist also die blutige und zerstörende Abgleichung der Kräfte, der physischen und der moralischen. Wer am Schluß die größte Summe von beiden übrig hat, ist der Sieger. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 4. Buch, Kap. 4, S. 229)
Im fünften Buch seines Hauptwerkes kommt der Kriegsphilosoph zu dem Schluss:
»(…) Der Mut und der Geist des Heeres haben zu allen Zeiten die physischen Kräfte multipliziert und werden es auch ferner tun; (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 5. Buch, Kap. 3, S. 295)
In seinen Skizzen zum siebenten Buch (ebenda S. 687) prägt Clausewitz den Begriff »Körperwelt«, die bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt und letztendlich die Kraft zum »Durchhalten« gewährleisten kann.
Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (*1828; †1910) nahm in seinem monumentalen Kriegsepos direkten Bezug auf Clausewitz, der als preußischer Offizier 1812 in der russischen Armee diente und Teilnehmer an der Schlacht von Borodino (26. August jul. / 7. September greg. 1812) war.
Tolstoi, Quelle: wikipedia
In der Handlung stellt Tolstoi einen Dialog dar, der sich – am Abend vor der Schlacht – zwischen Ludwig Freiherr von Wolzogen (*1773; †1845) und Carl von Clausewitz entspann.
»(…) Fürst Andrej sah sich um und erkannte Wolzogen, Clausewitz und einen Kosaken. Sie kamen ziemlich nahe an den beiden vorübergeritten, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen, und Pierre und Fürst Andrej hörten unwillkürlich folgende Sätze:
«Der Krieg muss im Raum verlegt werden. Der Ansicht kann ich nicht genug Preis geben», sagte der eine.
«O ja» sagte der andere, «da der Zweck ist, nur den Feind zu schwächen, so kann man gewiss nicht den Verlust der Privatpersonen in Achtung nehmen.»
«O ja» stimmt der erste zu. (…)«
(Vergl. »Krieg und Frieden«, Tolstoi, Hg. W. Bergengruen, D. Buch-Gemeinshaft Berlin, S. 1012)
Tolstoi, der offensichtlich Clausewitz gelesen hatte, bringt so dessen Ansicht über eine zweckmäßige Führung des Krieges gegen Napoléon in Russland zur Geltung. Clausewitz hatte sich in »Vom Kriege« dezidiert über die Rolle des Raumes im Krieg geäußert.
»(…) 450. Die Raumbestimmung beantwortet die Frage, wo gefochten werden soll, sowohl für das Ganze als die Teile. 451 Der Ort des Gefechts für das Ganze ist eine Strategische Bestimmung, […] 518. Die Kenntnis des Terrains wohnt vorzugsweise dem Verteidiger bei, denn nur er weiß genau und vorher, in welcher Gegend das Gefecht sein wird, und hat also Zeit, diese Gegend gehörig zu untersuchen. Hier schlägt die ganze Theorie der Stellungen, insofern sie in die Taktik gehört, Wurzel. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, Skizzen eines Planes zur Taktik oder Gefechtslehre, S. 882 und 890)
Im Weiteren lässt Tolstoi den Fürst Andrej* dessen Unverständnis über den Inhalt des Gespräches ausdrücken. Nicht ohne dessen Abneigung gegen die Deutschen im russischen Heer darzustellen, die wohl weit verbreitet war. Andrejs Familie war Opfer des Raumes geworden, der den Franzosen eingeräumt wurde.
* Andrej – Fürst Andrej Nikolajewitsch Bolkónski; (Андре́й Николаевич Болко́нский)
Obwohl Pierre** aber auch wahrscheinlich Andrej bis zum Beginn des Russlandfeldzuges Napoléon Bonaparte – wie viele junge russische Offiziere – aufgeschlossen gegenüberstanden.
**Pierre -Besúchow, Graf Pjotr Kirillowitsch – Freund des Fürsten Andrej; (Пётр Кириллович (Пьер) Безу́хов)
Gleich anschließend lässt Tolstoi Fürst Andrejs grundlegende Ansichten über den Krieg gegen die Franzosen sichtbar werden. Er lässt ihn zu Pierre Folgendes sagen:
»(…) »Weisst du, was ich tun würde, wenn ich zu bestimmen hätte?»[…]«Ich würde verbieten Gefangene zu machen. Wozu Gefangene? Das soll Ritterlichkeit sein. Die Franzosen haben mein Haus verwüstet und sind auf dem Weg nach Moskau, um Moskau zu verwüsten.»[…]«Sie sind meine Feinde, sie sind für mich ohne Ausnahme Verbrecher.»[…] «Keine «Gefangenen machen» fuhr Fürst Andrej fort, «das wäre das einzige, was dem ganzen Kriege ein anderes Gesicht und ihm einen Teil seiner Grausamkeit nehmen könnte.» (…)«
(Vergl. »Krieg und Frieden«, Tolstoi, Hg. W. Bergengruen, D. Buch-Gemeinshaft Berlin, S. 1012 bis 1013)
An dieser Stelle berührt Tolstoi über seinen Romanhelden Fürst Andrej die Clausewitz’sche Auffassung über den Krieg an sich. Diese war so definiert wie bereits weiter vorne dargestellt, »Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.« Allerdings schloss Clausewitz eine Enthegung des Kampfes definitiv – bei aller Härte – aus.
Die bereits weiter vorn erwähnten Gedanken des Kriegsphilosophen sollen nun noch einmal mit den nachfolgenden bedeutungsvollen Worten wiederholt werden. Clausewitz selber postulierte diese mehrfach in seinem Hauptwerk:
»(…) Ist der Krieg ein Akt der Gewalt, […] Finden wir also, daß gebildete Völker den Gefangenen nicht den Tod geben, [Hervorhebung durch Autor] Stadt und Land nicht zerstören, so ist es, weil sich die Intelligenz in ihrer Kriegsführung mehr mischt und ihnen wirksamere Mittel zur Anwendung der Gewalt gelehrt hat als die rohen Äußerungen des Instinkts. (…)«
An dieser Stelle verweist jedoch Clausewitz dringend auf eine erste Wechselwirkung im Umgang der Kriegsparteien miteinander.
»(…) Wir wiederholen also unseren Satz: Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, [Hervorhebung durch Autor], die dem Begriff nach zum Äußersten führen muß. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 1, S. 18 bis 19)
Hier schließt sich indes ein weiterer Kreis zu den hier dargestellten Fragen der »Ethik und Moral in der Kriegsführung« sowie der Kantischen Metaphysik über Gesetzmäßigkeiten, denen Clausewitz in seinem Schrifttum ein bedeutendes Gewicht beigemessen hatte.
Friedrich Engels (*1820; †1895), gedienter Einjährigfreiwilliger (1841 bis 1842) in der 12. Kompanie Garde-Feldartillerie-Brigade zu Berlin, befasste sich insbesondere seit 1851 außerordentlich gründlich mit der Militärwissenschaft. Er analysierte dann nach dem Scheitern der bewaffneten Erhebungen – 1848/49 – in den Deutschen Ländern strategische, taktische und auch soziologisch-moralische Fragen diese Bewegungen. In einem Brief an Josef Weydemeyer (*1818; †1866) vom 19. Juni 1851 schreibt Engels, dass er begonnen habe, «Militaria zu ochsen» und betonte die enorme Wichtigkeit der «partie militaire» (die militärische Seite) für die Zukunft. Dabei sah er »Revolutionen als Fortsetzung des Krieges«, denen er eine sozialtechnische Möglichkeit des Krieges beimaß [nach Schössler]. Zwangsläufig stieß Engels dabei auf die Werke Clausewitz´.
»(…) Unter anderem entdeckte Engels die Werke des Generals Carl von Clausewitz, dem er die Prädikate eines »Naturgenies« und »Stern erster Größe« erteilte. So schrieb er am 7. Januar 1858 an Karl Marx:
»… Ich lese jetzt u. a. Clausewitz ›Vom Kriege‹. Sonderbare Art zu philosophieren, der Sache nach aber sehr gut. Auf die Frage, ob es Kriegskunst oder Kriegswissenschaft heißen müsse, lautet die Antwort, daß der Krieg am meisten dem Handel gleiche. Das Gefecht ist im Kriege, was die bare Zahlung im Handel ist, so selten sie in Wirklichkeit vorkommen braucht, so zielt doch alles darauf hin, und am Ende muß sie doch erfolgen und entscheidet.« (…)«
(Vergl. »Die Kriegslehre von Friedrich Engels« von Jehuda L. Walach, Hg. F. Fischer, EU Verlagsanstalt, S. 10 bis 13)
Friedrich Engels (Quelle: Wikipedia)
Engels demonstriert hier hier die Rezeption der Clausewitz´schen Kriegstheorie zu den Fragen des Gefechts. So wie in »Vom Kriege« dargelegt. Gleichzeitig zeigt er als »gelernter Ökonom« sein Verständnis für die Nähe der Theorien Clausewitz´ zur Politik an sich und dem gesellschaftlichen Leben.
»(…) Der Krieg ist ein Akt des menschlichen Verkehrs […] Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 2. Buch, Kap. 3, S. 117)
An dieser Stelle muss auch Engels Kritik an Eugen Dühring, »Anti-Dühring« – erschienen 1877 – angemerkt werden. Dort schreibt Engels, dass die Gewalt … [Krieg/Revolution, Anm. Autor] »(…) das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte abgestorbene politische Formen zerbricht (…)«
(Vergl. »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (»Anti – Dühring«), F. Engels, Dietz Verlag Berlin, 1973, S. 171)
Engels, der selber an verschiedenen Plätzen der revolutionären Erhebungen in Rheinpreußen, Karlsruhe und in der Pfalz Augenzeuge und Teilnehmer war, untersuchte die Gründe des Scheiterns der Erhebungen. Ein wesentliches Augenmerk legte er dabei neben den militärtechnischen [Bewaffnung und Ausrüstung] Fragen auf die Untersuchung der Wirkungsweise der Moral als soziologische Kategorie. Mit Clausewitz kommt Engels offensichtlich zu der Erkenntnis, dass der Aufstand Regeln unterworfen sei, deren Vernachlässigung zum Verderben führt.
»(…) Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werte sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Übermacht entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. (…)«
(Vergl. ME, Ausgewählte Werke, Dietz Verlag , 1974, Bd. II, S. 283)
Engels hatte bei diesen Sätzen wahrscheinlich auf Clausewitz reflektiert, der die »Friktionen« im Krieg untersuchte.
»(…) Es ist alles im Krieg sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig. Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen eine Friktion hervor, die sich niemand richtig vorstellt, der den Krieg nicht gesehen hat. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 7, S. 79)
Engels unterstreicht des Weiteren:
»(…) Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstandes beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstandes; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feinde gemessen hat. (…)
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 7, S. 79)
Clausewitz charakterisiert den von Engels verwendeten Begriff »Entschlossenheit« durch den Zusammenhang von Mut und Verantwortung in der Wechselwirkung mit der Seelengefahr, der »courage d´esprit«, dem »Mut des Geistes«.
»(…) Die Entschlossenheit ist ein Akt des Mutes in dem einzelnen Fall, und wenn sie zum Charakterzug wird, eine Gewohnheit der Seele. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 3, S. 57)
Obwohl Engels der »Offensive« das Wort redete, sah er ähnlich wie Clausewitz die Verteidigung als das stärkere Element im Kampf an. Die Begriffe »Offensive und Defensive« sind hier mehr als Reaktionsparameter zu betrachten, nicht als Ausdruck militärischen Handelns. Engels schreibt:
»(…) Machen wir uns keine Illusionen darüber: Ein wirklicher Sieg des Aufstandes über das Militär im Straßenkampf, ein Sieg wie zwischen zwei Armeen, gehört zu den großen Seltenheiten. […] Es handelt sich nur darum, die Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse, […] Damit ist die passive Verteidigung die vorwiegende Kampfform; […] Selbst in der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte also die Barrikade mehr moralisch als materiell. (…)«
(Vergl. ME, Ausgewählte Werke, Dietz Verlag , 1974, Bd. VI, S. 465 bis 466)
Der Ruf »Auf die Barrikaden« mit seinem »Zauber«, wie Engels das nannte, hielt trotz der Niederlagen knapp siebzehn Monate vom März 1848 bis zur Kapitulation der Bundesfestung Rastatt am 23. Juli 1849 an.
Engels Schrift »Die Deutsche Reichsverfassungskampagne«, in den Jahren 1849 bis 1850 geschrieben und in der »Neuen Rheinischen Zeitung« 185o publiziert, schildert in vier Kapiteln die Ereignisse dieser Zeit. Im IV. Kapitel »Für die Republik sterben« erfahren wir, welche Dramen sich im asymetrischen Kampf der badischen Revolutionsarmee gegen preußische Truppen abspielten.
Verbittert stellt Engels fest:
»(…) Die ganze „Revolution“ löste sich in eine wahre Komödie auf, und es war nur der Trost dabei, daß der sechsmal stärkere Gegner selbst noch sechsmal weniger Mut hatte. (…)«
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 88)
In der Pfalz und in Baden kämpften rund 600 bis 800 Freischärler, zu denen auch Engels zählte. Zur Niederschlagung der Aufständischen rückten zwei preußische Armeekorps und ein Bundeskorps heran. Das Kommando über die Truppen hatte der »Prinz von Preußen«, der spätere Kaiser Wilhelm I. Den insgesamt rund 10.000 Männern der »Badischen Armee« und 12.000 Freiwilligen standen rund 36.000 reguläre preußische und Bundestruppen – teilweise auf freiem Feld – gegenüber. Nach hinhaltendem Kampf zogen sich dann die Reste der aufständischen Armee über die Schweizer Grenze zurück. Engels selber nahm an diesen Kämpfen als Adjutant des Kommandierenden, Oberst Johann August Ernst von Willich (*1810; †1878), teil.
(Vergl. »Die Kunst des Aufstandes« Studien zu Revolution, Guerilla und Weltkrieg bei Friedrich Engels und Karl Marx, Hg. W. Metsch, mandelbaum kritik und utopie, 2020, S. 44 bis 45)
Es ist hier daran zu erinnern, dass der damalige »Prinz von Preußen« mit seinen Brüdern in Fragen des Militärwesens von Carl von Clausewitz unterrichtet wurde.
Woran war diese «Revolution» gescheitert? Engels dazu:
»(…) Die Reichsverfassungskampagne ging zugrunde an ihrer Halbheit und innern Misere. (…)«
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 87)
Engels selbst schildert in allen Kapiteln, so wie im IV. seiner Schrift, worin diese Halbheiten lagen. Dabei ist unschwer zu erkennen, dass es sich vornehmlich um Organisationsfragen der militärischen Handlungen einerseits, anderererseits um moralische Fragen handelte, die zum negativen Resultat führte.
Schlecht geführt, schlecht bewaffnet, undiszipliniert und bis auf wenige Ausnahmen kaum militärisch standhaft, kam es zu blutigen Aktionen ohne einen bedeutenden Erfolg. Engels schildert auffällig genau, wie die immer wieder unsichere Nachrichtenlage verhängnisvolle Friktionen nach sich zogen.
Ohne sich in seiner Schrift auf Clausewitz zu beziehen, ist jedoch zu erkennen, dass sich seine Analyse auf die Clausewitz´sche Theorie des Krieges stützt. Die teilweise völlig übersichtslose Führung der Revolutionstruppen sorgte für Chaos und Desertion in erschreckenden Maßstäben.
»(…) Die Bataillone kamen aus Mangel an Waffen nicht zustande; die Soldaten, die nichts zu tun hatten, verbummelten alle Disziplin und kriegerische Haltung und liefen großenteils auseinander.
[…] es entstand eine grenzenlose Verwirrung, und ein großer Teil der Rekruten lief auseinander. Ein junger Offizier der schleswig-holsteinischen Freischaren von 1848, Rakow, ging mit 30 Mann aus , die Deserteure wieder zu sammeln, und brachte in zweimal vierundzwanzig Stunden ihrer 1400 zusammen,
[…] In Breiten kam eine Deputation der Studenten zu uns mit der Erklärung, das ewige Marschieren vor dem Feinde gefalle ihnen nicht und sie bäten um Entlassung. […] Überhaupt zeigten sich die Studenten während des ganzen Feldzuges als malkontente, ängstliche junge Herren, die immer […] über wunde Füße klagten und murrten,
[…] Die Straße nach Raststatt bot das Bild der schönsten Unordnung dar. Eine Menge der verschiedensten Korps marschierte oder lagerte bunt durcheinander, und nur mit Mühe hielten wir unter der glühenden Sonnenhitze und der allgemeinen Verwirrung unsere Leute zusammen. (…)«
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 56/57/73/74)
Engels schildert grobe Disziplinlosigkeiten, so z. B., dass sich Soldaten eigenmächtig aus der Marschordnung entfernten, um in Wirtshäusern, die an der Marschstraße lagen, einzukehren.
»(…) Die Wege waren bedeckt mit Nachzüglern der Armee; alle Wirtshäuser lagen voll; die ganze Herrlichkeit schien in Wohlgefallen aufgelöst. Offiziere ohne Soldaten hier, Soldaten ohne Offiziere dort, (…)
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 63)
Berichte über hartnäckigen Widerstand gehen jedoch im Kontext des Desasters unter. So zum Beispiel:
»(…) Die Mainzer Schützen verteidigten den Schloßgarten mit großer Hartnäckigkeit und trotz bedeutender Verluste. Sie wurden umgangen und zogen sich zurück. Ihrer siebzehn fielen den Preußen in die Hände. Sie wurden sogleich an die Bäume gestellt und von schnapstrunkenen Heroen des „herrlichen Kriegsheeres“ ohne weiteres erschossen. (…)«
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 58)
Engels stellt auch dar, dass die Aktionen der Preußen und der Truppen der Bundesländer relativ zaghaft waren, was er auf die hohe Zahl der Landwehrtruppen zurückführte, die widerstrebend gegen die Bürger vorgingen.
Der König von Preußen, F. W. IV., hatte angesichts der Unruhen die Landwehr einberufen, sah sich aber bald gezwungen, gegen selbige Maßregelungen zu ergreifen. So ließ der »Oberpräsident der Provinz Sachsen«, Gustav von Bonin (*1797; †1878), in Magdeburg am 18. November 1848 öffentlich bekanntmachen:
»(…) Die meuterischen Offiziere und Soldaten der Landwehr, welche die öffentliche Aufforderung zum Treubruch an ihren Kameraden zu erlassen gewagt haben, sind zur Haft gebracht und vor ein Kriegsgericht gestellt. (…) «
(Vergl. Originalplakat vom 18.Novwember 1848/Magdeburg, Privatbesitz Autor)
Engels berichtet von Verrat durch Offiziere und Politiker und mangelnden taktischen Fähigkeiten durch einzelne militärische und politische Führer. So wurden aber auch notwendigen Vorbereitungen für Gefechte nicht realisiert, wie nachfolgendes Beispiel zeigt:
»(…) Aber weder Rekognoszierungen wurden vorgenommen noch die Höhen zu beiden Seiten des Defilees besetzt, […] Willich kam an, rekognoszierte die Position, gab einige Befehle zur Besetzung der Höhen und ließ die ganzen nutzlosen Barrikaden wieder forträumen. (…)«
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 60)
Engels – lakonisch und offensichtlich schockiert – dazu im Resultat der »revolutionären« Ereignisse:
»(…) Politisch betrachtet, war die Reichsverfassungskampagne von vornherein verfehlt. Militärisch betrachtet, war sie es ebenfalls. (…)
(Vergl. »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«, F. Engels, Hg. K.-M. Guth, Hofenberg, 2013, S. 88)
Die hier dargestellte schonungslose Reminiszenz Engels´ über die Ereignisse der »Reichsverfassungskampagne« erschien zusammenfassend, nachdem »der General« [So wurde Engels genannt] Clausewitz gelesen hatte. Seine tapfere Teilnahme an dieser lag vor dem Studium der Theorien des Militärphilosophen. Möglicherweise kann davon ausgegangen werden, dass diese Kampagne anders verlaufen wäre, wenn anstatt der Rufe »Auf die Barrikaden« eine nüchterne Lageanalyse nach Clausewitz …
»(…) Der Kriegsplan faßt den ganzen Akt zusammen, […] Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel. (…)«
… erfolgt wäre, wie weiter vorn bereits dargestellt.
Wozu auch eine klare Lageanalyse aller Kräfte und Mittel notwendig gewesen wäre. Später wird Engels – aus dieser Erfahrung heraus – eine »Konzeption des Revolutionskrieges« sowie klare »Fragen der Militärorganisation« erarbeitet haben.
(Vergl. »Die Kriegslehre von Friedrich Engels« von Jehuda L. Walach, Hg. F. Fischer, EU Verlagsanstalt, S. 33 bis 49)
Engels übernahm Schritt für Schritt die Denkmethode Clausewitz´, nachdem er zunächst Jomini favorisierte. Er entdeckte diese »Passform« im Zuge seines Studiums der Militärwissenschaften.
»(…) Jedenfalls wurden sich jetzt Engels und Marx „der dialektischen Qualität des Denkens und der Methode Clausewitz´bewußt“ [Anacona] (…)«
(Vergl. »Clausewitz – Engels – Mahan: Grundriss einer Ideengeschichte militärischen Denkens«, Hg- D. Schössler, LIT, S. 326 bis 327)
Fazit:
Clausewitz war also in der Lage, zu seiner Zeit Grundlagen für eine »Militär-Psychologie« nach heutigem Verständnis zu formulieren. Das Verdienst des Militärphilosophen besteht zweifellos darin, dass seine Gedanken und Begriffe – Genius der militärischen Führer, Moral, Mut, Tugend und Geist der Truppen – heute einen bedeutenden historischen Platz in der Wissenschaft einnehmen.
Clausewitz wurde Soldat, als der Mensch lediglich stumpfe Masse für die militärischen Operationen war. Es bedurfte der persönlichen Erfahrungen der preußischen Niederlage von 1806, der Rezeption von Ursachen und Wirkungen der französischen Revolution, der Militärreformen an der Seite Scharnhorsts, seiner Erfahrungen in der russischen Armee 1812 sowie der Kampagnen von 1813 bis 1815, um letzendlich zu einer wesentlichen Erkenntnis zu gelangen.
»(…) Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengungen nach seiner Widerstandskraft abmessen; diese drückt sich durch ein Produkt aus, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich:
die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft. [Hervorhebung durch Autor] (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 1. Buch, Kap. 1, S. 20)
Demnach, so Clausewitz, können sich die Mittel durch Zahlen darstellen lassen, die Willenskraft jedoch lediglich »nach der Stärke der Motive« (Vergl. ebenda). Im modernen Militärwesen spiegeln sich diese Worte in einer umfassenden Lagebeurteilung wider, in der das formale Kräfteverhältnis in Gegenüberstellung der Mittel – mit so genannten Einsatzkoeffizienten – der eigenen und der gegnerischen Kräften zu einer möglichen Handlungsvariante (Angriff oder Verteidigung) führen kann. Ausschlaggebend für einen Entschluss am Ende war und ist der moralische Zustand der Truppen. Willenskraft und Motivation in seiner Wirkungsweise stellt Clausewitz wie folgt dar:
»(…) Gesetzt, wir bekämen auf diese Weise eine erträgliche Wahrscheinlichkeit für die Widerstandskraft des Gegners, so können wir danach unsere Anstrengungen abmessen[…] Aber dasselbe tut der Gegner; (…)«
(Vergl. Ebenda S. 20 bis 21)
In der Clausewitz´schen Sicht über die »Äußere Anwendung der Gewalt nach Ziel und Mittel« ist die Gegenüberstellung der »Widerstandskräfte« die dritte Wechselwirkung in diesem Zusammenhang, die zu beachten war. Weiter vorne wurden bereits die dazu gehörenden kriegerische Tugenden der kämpfenden Truppen von Clausewitz als »moralische Potenz« definiert.
∗(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 5, S. 171)
Hier noch einmal Clausewitz zur Rolle moralischer Größen:
»(…) Noch einmal müssen wir auf diesen Gegenstand zurückkommen, den wir im dritten Kapitel des zweiten Buches berührt haben, weil die moralischen Größen zu den wichtigsten Gegenständen des Krieges gehören. Es sind die Geister, welche das ganze Element des Krieges durchdringen, und die sich an den Willen, der die ganze Masse der Kräfte in Bewegung setzt und leitet, früher und mit stärkerer Affinität anschließen, gleichsam mit ihm in eins zusammenrinnen, weil er selbst eine moralische Größe ist. Leider suchen sie sich aller Bücherweisheit zu entziehen, weil sie sich weder in Zahlen noch in Klassen bringen lassen und gesehen oder empfunden sein wollen. (…)«
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag des MfNV, Berlin 1957, 3. Buch, Kap. 3, S. 165)
Die hier dargestellten Sichtweisen Clausewitz´ spiegeln eine Reihe von Teildisziplinen der Psychologie wider, die auch im heutigen Militärwesen in der Ausbildung der Soldaten wirken. Die angeführten Beispiele sollten die Vielfältigkeit möglicher historischer Beispiele andeuten, die zur Verständlichkeit der Wirkungsweise der von Clausewitz formulierten »moralischen Potenz« dienen können.
Anlage:
»Zusammenhang zwischen kriegerischer Tugend und Volksgeist«
(Vergl. »Clausewitz-Kolloquium – Theorie des Krieges als Sozialwissenschaft«, Hg. G. Vomwinckel, Duncker & Humblot, S. 135