Teil XVII


Die Schlach­ten waren geschla­gen. Das »Unge­heu­er« Napo­lé­on Bona­par­te saß auf der Insel St. Hele­na – fünf­ein­halb Jah­re auf sei­nen Tod am 5. Mai 1821 war­tend – fest ver­bannt im »Longwood House«, unter stän­di­ger stren­ger Bewa­chung des Insel­gou­ver­neurs Hud­son Lowe (*1769; †1844)

Napo­lé­on auf St. Hele­na Quel­le: spec​trum​.de

Wie aber war die Lage für die preu­ßi­schen Juden in der Zeit nach den Befrei­ungs­krie­gen? Bereits frü­her ver­wie­sen wir auf den Arti­kel in der Zeit­schrift »Sula­mith«, erschie­nen kurz nach­dem die Waf­fen schwie­gen. In die­sem wur­de auf das Recht der Juden gedrängt. Nun Bür­ger gewor­den, waren auch die Rech­te der Bür­ger nicht län­ger aus­zu­schlie­ßen. Bezug­neh­mend auf die damals geheg­te Hoff­nung müs­sen wir nach 1815 zur Kennt­nis nehmen:

»(…) In Wirk­lich­keit erleb­te die nun auch durch die Teil­nah­me an der Ver­tei­di­gung des Vater­lan­des mög­li­che Inte­gra­ti­on und bür­ger­li­che Gleich­stel­lung in der Zeit nach 1815, nach der end­gül­ti­gen Nie­der­la­ge Napo­lé­ons, einen Rückschlag. (…)«
(Vergl. »Eiser­nes Kreuz und David­stern«, Die Geschich­te Jüdi­scher Sol­da­ten in Deut­schen Armeen, Hg. M. Ber­ger, tra­fo ver­lag, 2006, S. 68)

Wir hat­ten bereits gese­hen, dass der im Zuge des Wie­ner Kon­gres­ses gegrün­de­te Deut­sche Bund gestat­te­te, dass Staa­ten mit »fran­zö­si­scher Ver­fas­sung« (Rhein­bund­staa­ten, Han­se­städ­te, nord­deut­sche Staa­ten) die den Juden bereits zuge­stan­de­nen Rech­te wie­der ent­zie­hen konn­ten. Der Preu­ßen­kö­nig, der Feld­zug­teil­neh­mern, die sich bewährt hat­ten, sogar Staats­an­stel­lun­gen ver­sprach, brach sein Versprechen

»(…) Die bei­den Ver­ord­nun­gen vom 3. und 9. Febru­ar 1813 gaben den Juden in grö­ße­rer Zahl die Mög­lich­keit, in das preu­ßi­sche Heer ein­zu­tre­ten. Sie stell­ten allen Frei­wil­li­gen eine vor­züg­li­che Berück­sich­ti­gung bei der spä­te­ren Zivil­an­stel­lung durch den Staat in Aus­sicht, soweit sie hier­für qua­li­fi­ziert waren. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 53)

Da in den Jah­ren 1813 bis 1815 etli­che Land­wehr­sol­da­ten und Frei­wil­li­ge sogar zu Offi­zie­ren avan­cier­ten, war die­ser Wort­bruch des Sou­ve­räns von beson­de­rer Trag­wei­te. In ver­schie­de­nen Aus­schluss­ver­fah­ren vom Staats­dienst oder Ver­sor­gung von Inva­li­den und bedürf­ti­gen Juden revi­dier­ten Har­den­berg und nach­fol­gen­de Minis­te­ri­en in den Fol­ge­jah­ren bald gege­be­ne Zusa­gen. Sogar Kriegs­mi­nis­ter von Boy­en, Kampf­ge­fähr­te Clau­se­witz´, ent­schied sich 1818 zur Revi­si­on zuge­sag­ter Wert­schät­zun­gen. Selbst ein­mal zuge­si­cher­te Pen­sio­nen und Son­der­zu­la­gen ver­wehr­te Kriegs­mi­nis­ter von Boy­en ab die­sem Zeitpunkt.

»(…) Die­se Zula­ge lehn­te nun aber Boy­en im Febru­ar 1818 ent­schie­den ab. Sei­ne Argu­men­ta­ti­on zeigt eine völ­li­ge Abkehr von den im Vor­jahr ver­tre­te­nen Grund­sät­zen. […] Es ist unbe­kannt, was Boy­en inner­halb von drei Mona­ten bewog, sei­ne frü­he­re Posi­ti­on der­art zu des­avou­ie­ren. Offen­bar ließ er sich vom könig­li­chen Wil­len über­zeu­gen, der von Anfang an auf den Aus­schluß der Juden gerich­tet war. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 58)

Gleich­wohl kam es zu son­der­ba­ren Erschei­nun­gen, die heu­te sehr schwer zu ver­ste­hen sind:

»(…) Immer­hin zog man es trotz ange­spann­tes­ter Finan­zen vor, einem jüdi­schen Inva­li­den Pen­si­on zu gewäh­ren, als ihn für sei­ne Arbeit im Staats­dienst zu ent­loh­nen. Die Abnei­gung gegen jüdi­sche Beam­te muß groß gewe­sen sein, wenn sie sogar über die Not­wen­dig­keit, Geld­ge­schen­ke machen zu müs­sen, triumphierte. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 59)

Kriegs­in­va­li­de um das Jahr 1813 Quel­le: IMAGO

Wir kön­nen uns vor­stel­len, was für eine Ver­un­si­che­rung in den Minis­te­ri­en herrsch­te, wenn die füh­ren­den Minis­ter prak­tisch über Nacht bis­her gül­ti­ge Grund­sät­ze der preu­ßi­schen Juden­po­li­tik wider­rie­fen und regel­wid­rig auslegten.

Die Fra­ge, die uns nun bewegt, lau­tet: War unse­rem Carl von Clau­se­witz die­ser offen­sicht­li­che Wort­bruch bekannt, und wie rezi­pier­te er dann die­se Ent­wick­lung? Immer­hin war er nun­mehr seit dem 09.05.1818 Direk­tor der All­ge­mei­nen Kriegs­schu­le in Ber­lin. Ohne Ein­fluss auf die vor­he­ri­gen Ereig­nis­se zwar, aber nahe dran, weil sich der Restau­ra­ti­ons­pro­zess noch über eini­ge Jah­re hin neben ihm voll­zog. Dort in Ber­lin wird es Clau­se­witz nicht ent­gan­gen sein, wie sich die alte kon­ser­va­ti­ve Hof­par­tei gegen sei­nen alten Kampf­ge­fähr­ten und ande­re noch ver­blie­be­ne Refor­mer sammelte.

Bereits im Jahr 1817 infor­mier­te Gnei­se­nau sei­nen jun­gen Freund Clau­se­witz am 6. April in einem Brief aus Ber­lin über Intri­gen gegen Har­den­berg, die sich auch gegen ihn selbst rich­te­ten. Gnei­se­nau, unglück­lich über sei­ne Beru­fung in den Preu­ßi­schen Staats­rat, die sei­ne Fami­li­en­ru­he stör­te, schrieb:

»(…) Ich war so glück­lich mit mei­nen Kin­dern! Jetzt ruft man mich und ich kann nicht ver­wei­gern zu kom­men. All das ver­ächt­li­che Gere­de von mei­ner der Regie­rung feind­se­li­gen miß­ver­gnüg­ten Stim­mung wür­de neu­en Schwung erhal­ten haben. Dem woll­te ich mich nicht fer­ner preis­ge­ben und somit gehorch­te ich. (…)«

Wei­ter schil­dert Gnei­se­nau die Nie­der­träch­tig­kei­ten um Staats­kanz­ler Har­den­berg, der zu die­ser Zeit auch nicht gut auf Gnei­se­nau sel­ber zu spre­chen war, was er die­sem jedoch nicht übel nahm.

»(…) Im Publi­kum spricht man, er habe gegen mei­ne Hier­her­be­ru­fung gear­bei­tet, eine ande­re Par­tei hat, wie ich weiß, das­sel­be getan. Möch­te es doch bei­den gelun­gen sein! Auch gegen den Kriegs­mi­nis­ter will man mich miß­trau­isch machen. Man redet davon, daß die­ser sei­ne Stel­le ver­lie­ren wer­de, und Kne­se­beck ihn erset­zen. Die zeit­he­ri­gen Armee­grund­sät­ze sind ihrem Unter­gang nahe, man kämpft von vie­len Sei­ten gegen sie. (…)«
(Vergl. »Gnei­se­nau ein Leben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Amelang/​Leipzig, S. 351)

Ob die drei Män­ner Boy­en, Gnei­se­nau und Clau­se­witz sich im Zusam­men­hang mit den Ver­wir­be­lun­gen am Hofe und in der Regie­rung über Fra­gen der Gleich­be­hand­lung der Juden mit der preu­ßi­schen Bür­ger­schaft aus­ge­tauscht haben, ist nicht über­lie­fert, aber mög­lich. Dabei nah­men alle drei Män­ner in die­ser Zeit einen unter­schied­li­chen Sta­tus ein. Gnei­se­nau, nach sei­nem über­ra­schen­den Rück­tritt vom Kom­man­do in Koblenz, zog sich vor­über­ge­hend pri­vat zurück. Beru­fen in den Staats­rat, war er im Grun­de ohne nen­nens­wer­te Wir­kung auf das Mili­tär­we­sen. Clau­se­witz, zum Direk­tor der Kriegs­schu­le in Ber­lin beru­fen, war prak­tisch – ohne Ein­fluss auf Leh­re und Aus­bil­dung jun­ger Offi­zie­re des Hee­res – auf ein »Abstell­ge­leis« geschoben.

Wäh­rend Clau­se­witz in die­sen Jah­ren von 1818 bis 1830 an sei­ner Kriegs­theo­rie arbei­te­te, war er wahr­schein­lich auch kaum in Staats­an­ge­le­gen­hei­ten gefragt. Boy­en hin­ge­gen, der sich immer wie­der auch mit der soge­nann­te Pol­ni­schen Fra­ge beschäf­tig­te, trug in der Zeit als Kriegs­mi­nis­ter die Haupt­last der Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der kon­ser­va­ti­ven Hof­par­tei. Rol­le und Wir­ken Boy­ens wur­de jedoch in der Geschichts­schrei­bung viel­fach unter Wert dargestellt.

»(…) Es ist ein selt­sa­mes Bild, das sich bis­her über Boy­en bie­tet. In unse­rer Zeit wird er gele­gent­lich hoch geprie­sen. Franz Schna­bel nann­te 1955 sei­ne Hee­res­re­form eine „welt­ge­schicht­li­che Tat“. Kürz­lich wur­de gesagt, neben Scharn­horst und Clau­se­witz sei Boy­en der „bedeu­tends­te preu­ßi­sche Hee­res­re­for­mer“ gewe­sen, er habe das preu­ßi­sche Heer „mit Kan­ti­schem Geist erfüllt“. Was wir von ihm in der Lite­ra­tur erfah­ren kön­nen, ist aller­dings lücken­haft und einseitig. (…)«
(Vergl. »Her­mann von Boy­en und die pol­ni­sche Fra­ge«, Denk­schrif­ten von 1794 bis 1846, Hg. H. Rothe, Böhlau, 2010, S. 9)

Ermü­det von den fort­wäh­ren­den Que­re­len am Hofe des Königs von Preu­ßen, reich­te Boy­en am 8. Dezem­ber 1819 sei­nen Abschied ein. Eine der Ursa­chen dafür war wohl die Absicht des Königs, die Orga­ni­sa­ti­on der bes­tens bewähr­ten Land­wehr zu ändern. Die Hof­par­tei mit einer star­ken Grup­pe um den Her­zog von Meck­len­burg (*1785; †1837) wen­de­te sich gegen die libe­ra­len Bestre­bun­gen der Refor­mer um Boy­en, die die Rol­le des Bür­ger­tums im Heer stär­ken woll­ten und unter­stell­te immer wie­der »Jako­bi­ner­tum«.

«(…) Die Reak­ti­on benutz­te mili­tär­tech­ni­sche Ein­wän­de – der Aus­bil­dungs­stand der Land­wehr und ihre orga­ni­sa­to­ri­sche Ver­klam­me­rung mit der „Linie“ war man­gel­haft – und gewann den König, gegen den Kriegs­mi­nis­ter und General. (…)«
(Vergl. »Deut­sche Geschich­te 1800 – 1866«, Hg. Th. Nip­per­day, Ver­lag C. H. Beck, 1983, S. 278)

Die Ände­run­gen, die der König anstreb­te, sahen vor, dass die Land­wehr zukünf­tig in die Linie ein­ge­glie­dert wer­den soll­te und somit ihre Selbst­stän­dig­keit ver­lie­ren wür­de. Boy­ens Ver­such, ein »Landwehr-​Gesetz« auf den Weg zu brin­gen, war damit geschei­tert. Die Landwehr-​Frage war aber offen­sicht­lich für Boy­en ein Vor­wand, um eine für ihn weit­aus wich­ti­ge­re Fra­ge nicht mit ver­ant­wor­ten zu müssen.

»(…) Die Landwehr-​Frage war tat­säch­lich nur ein äuße­rer, eigent­lich gerin­ger Anlass für Boy­ens Rück­tritt, unmit­tel­bar aus sei­ner dienst­li­chen Zustän­dig­keit. Viel wich­ti­ger waren die bei­den poli­ti­schen Haupt­grün­de, die aus den Karls­ba­der Beschlüs­sen her­rühr­ten: die Fra­ge der Sou­ve­rä­ni­tät des Preu­ßi­schen Staa­tes, […] und sodann die Verfassungsfrage. (…)«
(Vergl. »Her­mann von Boy­en und die pol­ni­sche Fra­ge« Denk­schrif­ten von 1794 bis 1846, Hg. H. Rothe, Böhlau, 2010, S. 150)

Der Refor­mer und Staats­mann Boy­en sah also nicht nur die mili­tä­ri­schen Pro­ble­me sei­ner Zeit, son­dern sorg­te sich um die Sou­ve­rä­ni­tät des Staa­tes gegen­über mög­li­cher Fein­de, aber auch um den Kreis zeit­li­cher Ver­bün­de­ter sowie die Ver­fas­sungs­fra­ge. (Vergl. Denk­schrift Boy­ens von 1817, betr. eine Ver­fas­sung für Preu­ßen) Bei­des als Garant für die inne­re Sicher­heit Preu­ßens. Am 25. Dezem­ber erhielt er sei­ne Ent­las­sung mit Kabi­netts­or­der. Der König kürz­te Boy­ens Pen­si­on um die Hälf­te. Mit Boy­en ver­lie­ßen nahe­zu zeit­gleich Hum­boldt, Bey­me und Kampf­ge­fähr­te Grol­mann den preu­ßi­schen Dienst.

»(…) Das war ein Sieg Har­den­bergs, aber ein Pyr­rhus­sieg, denn jetzt hat­ten die Verfassungs- und Reform­geg­ner in der Regie­rung end­gül­tig die Mehr­heit. Die Ent­las­sung Hum­boldts mar­kiert das Ende der Reform­ära in Preu­ßen. (…)«
(Vergl. »Deut­sche Geschich­te 1800 – 1866«, Hg. Th. Nip­per­day, Ver­lag C. H. Beck, 1983, S. 278)

Der jüdi­sche Fahneneid

Noch in der Dienst­zeit Boy­ens als Kriegs­mi­nis­ter voll­zog sich eine bedeu­ten­de Novel­le des Fah­nen­ei­des für jüdi­sche Sol­da­ten. Das Grund­mus­ter des hier in unse­rer Betrach­tung im Zusam­men­hang mit der Cau­sa Meno Burg zitier­ten Fah­nen­ei­des wird auch nach 1815 bei­be­hal­ten. Die Beson­der­heit, dass in den Befrei­ungs­krie­gen für jüdi­sche Sol­da­ten kaum rechts­ver­bind­li­che Eides­for­meln vor­ka­men, rief nun aber Wider­spruch hervor.

»(…) Bei der Ein­stel­lung vor und wäh­rend der Befrei­ungs­krie­ge leg­te man auf die For­ma­li­tä­ten des Eides nur gerin­gen Wert. Jeden­falls wuß­te man nach 1815 nicht mehr, ob die jüdi­schen Sol­da­ten über­haupt ver­ei­digt wor­den waren. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 105)

Hin­zu kamen die Pro­ble­me bei der Bewäl­ti­gung viel­schich­ti­ger Schwie­rig­kei­ten, die sich aus dem Gebiets­zu­wachs für Preu­ßen nach 1815 erga­ben. Im Ergeb­nis des Wie­ner Kon­gres­ses erhielt das preu­ßi­sche König­reich die Pro­vinz Schwedisch-​Pommern, den nörd­li­chen Teil des säch­si­schen König­rei­ches, die Pro­vinz West­fa­len, die Rhein­pro­vinz und die ehe­ma­li­ge Pro­vinz Posen.

In allen Neu­zu­gän­gen herrsch­ten unter­schied­li­che Geset­ze, die sich auch im Ver­hält­nis zu den Juden wider­spie­gel­ten. Das betraf auch Eides­for­meln für Sol­da­ten all­ge­mein und für jüdi­sche im Beson­de­ren. Zu beach­ten ist hier der Umstand, dass in den neu­en Gebie­ten die Regeln des Edikts von 1812 ent­ge­gen ursprüng­li­chen Absich­ten nicht ein­ge­führt wor­den sind.
(Vergl. »Betrach­tun­gen über die Ver­hält­nis­se der jüdi­schen Untertha­nen der preu­ßi­schen Mon­ar­chie«, Hg. G. Ries­ser, Alto­na, 1834)

In den Pro­vin­zen Bran­den­burg, Pom­mern, Schle­si­en sowie in Ost- und West­preu­ßen galt das alte Edikt. Die preu­ßi­sche Regie­rung tat sich daher vie­le Jah­re schwer in dem Bemü­hen, die unkla­re Rechts­la­ge zu lösen. Wie wir im Ver­lau­fe unse­rer Dar­stel­lung bereits fest­ge­stellt haben, brach die in den Befrei­ungs­krie­gen gewach­se­ne Ein­heit zwi­schen Mon­ar­chie und Volk nach 1815 sehr schnell wie­der aus­ein­an­der. In den Stru­del der Kon­flik­te geriet auch der Fah­nen­eid, der

»(…) damit zum Sym­bol der Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den libe­ra­len und restau­ra­ti­ven Kräf­ten um die Grund­ent­schei­dung über das Ver­hält­nis von poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Verfassung. (…)«

wur­de.
(Vergl. »Der Fah­nen­eid« Die Geschich­te der Schwur­ver­pflich­tung im deut­schen Mili­tär, Sven Lan­ge, Edi­ti­on Tem­me, 2002, S. 48 und Schie­der, Der Fah­nen­eid als poli­ti­sches Pro­blem, S. 23)

In den preu­ßi­schen Behör­den, nament­lich im Kriegs­mi­nis­te­ri­um, scheu­te man sich, eine ent­spre­chen­de For­mel für einen Fah­nen­eid vor­zu­le­gen, der die Beson­der­hei­ten des Juden­tums berück­sich­tig­te. Der kar­di­na­le Streit­punkt waren die reli­giö­sen Fra­gen. Die christ­li­chen Sol­da­ten schwo­ren auf die Bibel mit dem Zusatz am Ende des Eides »So wahr mir Gott hel­fe durch Jesum Christum.« 

Wie aber soll­te das für den jüdi­schen Sol­da­ten klin­gen? Soll­te der jüdi­sche Sol­dat die Hand auf die hebräi­sche Bibel legen? Fra­gen, die die preu­ßi­schen Behör­den beweg­te, aber auch die jüdi­sche Geist­lich­keit. Regeln waren zwin­gend not­wen­dig, da in ver­schie­de­nen jüdi­schen Gemein­den selt­sa­me Ver­fah­rens­wei­sen üblich waren.

»(…) In Ost­preu­ßen rich­te­te aber wei­ter­hin ein jüdi­scher Beam­ter eine beson­de­re Ermah­nung an den Schwö­ren­den, in der er ihm androh­te, er wer­de im Fal­le des Eid­bru­ches »vom Teu­fel geholt« und ste­hen­den Fußes vom »Don­ner­wet­ter erschla­gen werden«. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 105)

Das rief den Wider­stand des Vor­kämp­fers der jüdi­schen Eman­zi­pa­ti­on, David Fried­län­der (*1750, †1834), her­vor, der eine ein­fa­che Eides­for­mel vorschlug.

»(…) In einem umfang­rei­chen Gut­ach­ten übte David Fried­län­der an die­ser Pra­xis schar­fe Kri­tik. Er ver­warf schlecht­hin alle bis­her beob­ach­te­ten Zere­mo­nien und Kautelen [Ableis­tung des Eides in der Syn­ago­ge, Anwe­sen­heit von Gelehr­ten und Zeu­gen, das Hän­de­wa­schen und die Eidesformel]. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 105 bis 106)

Die Vor­schlä­ge Fried­län­ders fan­den jedoch in der preu­ßi­schen Büro­kra­tie kei­nen wirk­li­chen Wider­hall. Schlim­mer noch:

»(…) Es wur­de im Gegen­teil neu ein­ge­führt, dem Schwö­ren­den eine Tafel mit den hebräi­schen Buch­sta­ben des Wor­tes „Jawe“ vorzuhalten. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 106)

Boy­en lehn­te die­se Art des Eides ab und schlug vor, ledig­lich die Wor­te »durch Jesum Chris­tum« zu strei­chen. Hier hat­te Boy­en erstaun­li­cher­wei­se gera­de bei nam­haf­ten Juden Ver­bün­de­te. Im Jahr 1818 reich­te der Ber­li­ner Rab­bi­ner Mey­er Simon Weil (*1744; †1826) ein Gut­ach­ten ein, das sich mit Inhalt und Form des Eides jüdi­scher Sol­da­ten befasste.

»(…) Auch er hielt im Grun­de einen ein­fa­chen Eid ohne jede For­ma­li­tät und ohne Tho­ra nach dem Gesetz für aus­rei­chend, gestand aber die Bei­be­hal­tung der bis­he­ri­gen Übung (das Anfas­sen der Tho­ra bzw. Tphi­lim) zu. Als eine Vor­sor­ge­maß­nah­me für den »gemei­nen Hau­fen« schlug er vor, der Schwurf­or­mel eine spe­zi­el­le Ermah­nung durch den Rab­bi­ner vor­aus­ge­hen zu las­sen, deren Text er eben­falls einreichte. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 108 bis 109)

Jüdi­scher Gebets­rie­men Quel­le: kul​tur​er​be​.nie​der​sach​sen​.de

Der Rab­bi­ner Weil räum­te in sei­nem Gut­ach­ten ein, dass wegen der Wah­rung der Moral und des Geset­zes zu beach­ten sei, dass der »gemei­ne Hau­fen« von Pflicht, Gesetz und Reli­gi­on nicht immer die wah­ren Begrif­fe hat. Weil schlug daher unter dem 1. August 1818 eine Ermah­nungs­for­mel vor, die wir im Fah­nen­eid für jüdi­sche Sol­da­ten wie­der­fin­den. Der König von Preu­ßen erließ dar­auf­hin am 30. Okto­ber 1819 – nach einem Jahr der Begut­ach­tung – die dem­entspre­chen­de Kabi­netts­or­der an den Kriegs­mi­nis­ter Boyen.

In der K. O. lesen wir fol­gen­de vor­an­ge­stell­te Prä­am­bel für den all­ge­mei­nen Fahneneid:

»(…) Ich N. N. schwö­re, ohne die min­des­te Hin­ter­list und Neben­ge­dan­ken, auch nicht nach mei­nem etwa­igen dar­in lie­gen­den Sinn und Aus­le­gung der Wor­te, son­dern nach dem Sinn des All­mäch­ti­gen und des­sen Gesalb­ten, unsers theu­ren Königs, bei dem Namen des hei­li­gen all­mäch­ti­gen Got­tes, daß ich Sr. Majes­tät dem Köni­ge von Preu­ßen etc. etc. (…)«
(Vergl. »Die frü­he­ren und gegen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­se der Juden in den sämt­li­chen Lan­des­tei­len des Preu­ßi­schen Staa­tes«, Hg. Rön­ne & Simon, Bres­lau, G. P. Ader­holz, 1843, S. 102)

Der nach­fol­gen­de Teil des Eides war im glei­chen Wort­laut zu schwö­ren wie durch alle ande­ren Sol­da­ten christ­li­chen Glau­bens. Ledig­lich »Jesum Chris­tum«, wie von Boy­en vor­ge­schla­gen, ent­fiel und schloss mit »So wahr mir Gott helfe«. 

Eid 1813 Quel­le: imags​el​ect​.de

Noch kurz vor sei­ner Ent­las­sung setz­te Kriegs­mi­nis­ter Boy­en die Eides­for­mel am 1. Dezem­ber 1819 in Kraft. Mit den vor­an­ge­stell­ten Sät­zen des Schwu­res wur­den das gan­ze Miss­trau­en und die Zwei­fel an der mora­li­schen Zuver­läs­sig­keit jüdi­scher Sol­da­ten durch den preu­ßi­schen Staat und sei­ne Mili­tär­be­hör­de – hier auch durch den Refor­mer von Boy­en – offen­sicht­lich. Wir erken­nen hier eine gewis­se Kon­ne­xi­on zwi­schen jüdi­schen Geist­li­chen und preu­ßi­scher Regie­rung. Das ist schwer ver­ständ­lich, wenn wir vor­an­ge­gan­ge­ne Schil­de­run­gen des Betra­gens jüdi­scher Sol­da­ten in den Befrei­ungs­krie­gen rekapitulieren.

Dar­über hin­aus ord­ne­te F. W. III. an, dass der »Staats­mi­nis­ter des Kul­tus« vor der eigent­li­chen Ver­ei­di­gung eine Vor­be­rei­tung zur Ableis­tung des Eides in einer got­tes­dienst­li­chen Ver­samm­lung zu ver­an­las­sen hät­te. Hier ein Aus­zug des Tex­tes der genann­ten Vorbereitung:

»(…) Das For­mu­lar zur Vor­be­rei­tung zum Eide, wel­che in Ver­folg vor­ste­hen­den Cir­cu­lairs sämt­li­chen Trup­pen­t­hei­len mit­get­heilt wor­den, lau­tet: „Wis­se daß die­ser Eid nach den Aus­sa­gen aller Rab­bi­nern eben so hei­lig und bün­dig ist, als wäre er in der Syn­ago­ge und in Gegen­wart der Tho­ra voll­zo­gen wor­den, und nichts kann die Stra­fe des All­mäch­ti­gen abwen­den, wenn er ver­letzt wer­de.“ […] und die Stra­fe des Him­mels ist unaus­bleib­lich, wenn die­se Pflich­ten noch bei dem hei­li­gen Namen Got­tes beschwo­ren wer­den, und man nach­her mein­ei­dig werde. (…)«
(Vergl. »Die frü­he­ren und gegen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­se der Juden in den sämt­li­chen Lan­des­tei­len des Preu­ßi­schen Staa­tes«, Hg. Rön­ne & Simon, Bres­lau, G. P. Ader­holz, 1843, S. 103)

Hier erken­nen wir wesent­li­che Bestand­tei­le der dama­li­gen preu­ßi­schen Reli­gi­ons­po­li­tik, die maß­geb­lich auch vom König F. W. III. beein­flusst war.

«(…) König Fried­rich Wil­helm III. fühl­te sich von sei­ner Jugend an eng an das Chris­ten­tum gebun­den und sprach dies auch in der Öffent­lich­keit rück­halt­los aus. […] Er erkann­te den abso­lu­ten Wahr­heits­an­spruch des Chris­ten­tums und sah in ihm den wich­tigs­ten Pfei­ler staat­li­cher Macht, bür­ger­li­cher Ord­nung und mora­li­scher Zuver­läs­sig­keit. Ein sol­ches Bekennt­nis ließ sich in sei­ner Stel­lung gewiß nur schwer mit wirk­li­cher Gewis­sens­frei­heit für die „andern“ ver­ein­ba­ren. Es konn­te auch bei ech­tem Wil­len, Tole­ranz zu üben, nicht ohne erheb­li­chen Ein­fluß auf die Hal­tung gegen­über den Juden bleiben. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 89 bis 90)

Wie soll­ten da die noch ver­blie­be­nen Refor­mer, allen vor­an der »noch« Kriegs­mi­nis­ter von Boy­en und die in einer »War­te­schlei­fe« ver­har­ren­den Män­ner, Gnei­se­nau und Clau­se­witz in irgend­ei­ner Art Ein­fluss neh­men? Schwer vor­stell­bar. Obgleich für die­se alten Sol­da­ten vor allem Fra­gen der Moral, des Ver­trau­ens und der Zuver­läs­sig­keit, die bei Juden in Zwei­fel gezo­gen waren, größ­te Bedeu­tung hat­ten. Im Schrift­tum Clausewitz´finden wir die Fra­ge nach der Moral und Zuver­läs­sig­keit gestellt und beant­wor­tet. Bei sei­ner Beur­tei­lung des mensch­li­chen Geis­tes im Krieg schluss­fol­gert er in »Vom Kriege«:

»(…) Die Kriegs­kunst hat es mit leben­di­gen und mora­li­schen Kräf­ten zu tun, dar­aus folgt, daß sie nir­gends das Abso­lu­te und Gewis­se errei­chen kann; es bleibt also über­all dem Unge­fähr ein Spiel­raum, und zwar eben­so groß bei den Größ­ten wie bei den Kleins­ten. Wie die­ses Unge­fähr auf der einen Sei­te steht, muß Mut und Selbst­ver­trau­en auf die ande­re tre­ten und die Lücke aus­fül­len. So groß wie die­se sind, so groß darf der Spiel­raum für jenes wer­den. Mut und Selbst­ver­trau­en sind also dem Krie­ger ganz wesent­li­che Prinzipe. (…)«
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag des MfNV, Ber­lin 1957,1. Buch, Kap. 1, 22, S. 32)

Hier räumt Clau­se­witz mög­li­che Frik­tio­nen im Han­deln des Men­schen im Krie­ge ein. Die Rol­le des Fah­nen­ei­des an sich zu die­ser Zeit stell­te eine Treue­ver­pflich­tung des «sol­dat citoy­en», des Bür­ger­sol­da­ten dar, die somit eine staats­bür­ger­li­che Ver­pflich­tung gegen­über Staat und Mon­arch beinhal­te­te. Hier war es also not­wen­dig, den Sol­da­ten auf sei­nen Dienst vor­zu­be­rei­ten, unab­hän­gig von sei­ner Kon­fes­si­on. Das schien aber gegen­über den Juden trotz aller vor­wie­gend posi­ti­ven Erfah­run­gen beson­ders expli­zit gege­ben. So wie wir bis­her erken­nen kön­nen, deu­tet alles dar­auf hin, dass die Refor­mer ein­schließ­lich Clau­se­witz die Reli­gi­ons­po­li­tik des Königs und damit auch die Eides­for­mel samt dazu­ge­hö­ri­ger Vor­be­rei­tung rezipierten.

Dass hier im Eid und in der Vor­be­rei­tung mora­li­scher Druck auf den jüdi­schen Sol­da­ten aus­ge­übt wur­de, über­rascht nicht. Denn trotz des bis 1815 aner­kann­ten guten Diens­tes, den sie nach­weis­lich leis­te­ten, wur­den immer wie­der wesent­li­che Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­te der Juden in Zwei­fel gezo­gen. Chris­ti­an Wil­helm Dohm (*1751; †1820) schil­dert in sei­nem Werk »Ueber die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Juden« von 1781, unter­stell­te nega­ti­ve Eigen­schaf­ten des jüdi­schen Cha­rak­ters, die stän­dig durch­aus posi­ti­ven gegen­über stünden:

»(…) die über­trieb­ne Nei­gung der Nati­on zu jeder Art von Gewinn, ihre Lie­be zum Wucher, zu betrü­ge­ri­schen Vortheilen (…)«
(Vergl. »Über die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Juden«, C. W. Dohm, 1781, Bd. 1 , S. 96, in »Der Juden­eid im 19. Jahr­hun­dert vor­nehm­lich in Preu­ßen«, Hg. Th. Vorm­baum, BWV, 2006, S. 15 bis 16)

Dohm fügt jedoch sogleich hin­zu, die­se Ver­ge­hun­gen seien:

»(…) nicht eigent­hüm­li­che Modi­fi­ca­tio­nen des jüdi­schen Natio­nal­cha­rak­ters, son­dern blos der drü­cken­den Lage, in der sich die Juden izt befin­den, bey­zu­mes­sen, und zum Theil Fol­gen des Gewer­bes, auf das man sie allein ein­ge­schränkt (habe) (…)«(Dohm aus Verbesserungen)
(Vergl. »Der Juden­eid im 19. Jahr­hun­dert vor­nehm­lich in Preu­ßen«, Hg. Th. Vorm­baum, BWV, 2006, S. 15 bis 16)

Dohm unter­streicht in sei­nem Werk beson­de­re Vor­zü­ge, die Juden von alters her aus­zeich­ne­ten. So führ­te er die Anhäng­lich­keit an den uralten Glau­ben ihrer Väter an, der dem Cha­rak­ter der Juden Fes­tig­keit und Mora­li­tät ver­lei­hen wür­de. Sich dar­auf zu beru­fen, spie­gelt sich auch im oben erwähn­ten For­mu­lar des Eides und des­sen Vor­be­rei­tung wider. Deut­lich bezie­hen sich preu­ßi­sche Beam­te und deren jüdi­sche Zuar­bei­ter, den Text betref­fend, hier auf die Unter­schie­de zwi­schen dem »Alten und Neu­en Tes­ta­ment«.

Das Alte Tes­ta­ment ent­spricht dem Ten­ach, der jüdi­schen Bibel, in der Gott stra­fend erscheint, wäh­rend das Neue Tes­ta­ment die Gna­de Got­tes gegen­über Sün­dern zeigt. Somit nimmt die Straf­an­dro­hung in Erwar­tung der Ver­feh­lung in der Eides­for­mel der Juden einen signi­fi­kan­ten Raum ein.

Für christ­li­che Sol­da­ten erschien das nicht not­wen­dig, und man beschränk­te sich ledig­lich auf den Ver­weis, die Kriegs­ar­ti­kel (sie­he Anla­ge 1) zu befol­gen und sich so zu betra­gen, wie es einem recht­schaf­fe­nen, unver­zag­ten, pflicht- und ehr­lie­ben­den Sol­da­ten geziemt. Die Kriegs­ar­ti­kel hat­ten für den Sol­da­ten die Bedeu­tung eines Militärstrafgesetzbuches.
(Vergl. »Der Fah­nen­eid«, Die Geschich­te der Schwur­ver­pflich­tung im deut­schen Mili­tär, Sven Lan­ge, Edi­ti­on Tem­me, 2002, S. 70)

Das alte Tes­ta­ment Quel­le: FAZ

Zu erwäh­nen wäre noch, dass in den preu­ßi­schen Kern­pro­vin­zen auch ande­re Glau­bens­ge­mein­schaf­ten wie die Men­no­ni­ten und Katho­li­ken geson­dert behan­delt wor­den sind. Die Sol­da­ten aus der Pro­vinz Posen, die mehr­heit­lich pol­nisch spra­chen, schwo­ren in ihrer Mut­ter­spra­che. In allen Fäl­len waren in Vor­be­rei­tung und Ableis­tung des Eides bei jüdi­schen Sol­da­ten mili­tä­ri­sche Vor­ge­setz­te und Rab­bi­ner anwe­send. So wies der Bri­ga­de­kom­man­deur Gene­ral­ma­jor Lud­wig Gus­tav von Thie­le (*1781; †1852) , der kein Befür­wor­ter der Juden­eman­zi­pa­ti­on war, die Ber­li­ner Regi­men­ter am 5. August 1820 an:

»(…) zu jeder sol­chen Ver­ei­di­gung einen Offi­zier oder Unter­of­fi­zier, wenn kein Offi­zier dazu dis­po­ni­bel sein soll­te, als Zeu­gen zu kom­man­die­ren, so daß es kei­nes Attes­tes des Rab­bi­ners über die rich­tig abge­hal­te­ne Vor­be­rei­tung bedürfe. (…)«
(Vergl. »Die frü­he­ren und gegen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­se der Juden in den sämt­li­chen Lan­des­tei­len des Preu­ßi­schen Staa­tes«, Hg. Rön­ne & Simon, Bres­lau, G. P. Ader­holz, 1843, S. 103)

Die Ver­ei­di­gung des jüdi­schen medi­zi­ni­schen Per­so­nals des preu­ßi­sche Hee­res war noch um eini­ges dif­fi­zi­ler (sie­he Anla­ge 2). Die­ses hier dar­zu­stel­len wür­de den Rah­men unse­rer Arbeit spren­gen. Aber das Miss­trau­en gegen­über jüdi­schen Ärz­ten muss beson­ders groß gewe­sen sein!? Daher griff man nicht ein­fach auf den Text des Buches Assaf (Anti­ker med. Ver­hal­tens­ko­dex für jüdi­sche Ärz­te aus dem 5. Jhd. n. Chr.) zurück, der prak­tisch dem Eid des Hip­po­kra­kes gleich­zu­set­zen war, son­dern schuf eige­ne restrik­ti­ve For­mu­lie­run­gen. Wenn­gleich des Königs Wor­te im »Ortels­bur­ger Publi­can­dum« von 1806, die preu­ßi­schen Chir­ur­gi betref­fend – wir ver­wie­sen bereits dar­auf – eben­falls an Deut­lich­keit nichts ver­mis­sen lassen.
(Vergl. dazu »Die frü­he­ren und gegen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­se der Juden in den sämt­li­chen Lan­des­tei­len des Preu­ßi­schen Staa­tes«, Hg. Rön­ne & Simon, Bres­lau, G. P. Ader­holz, 1843, S. 103 bis 104)

Nach 1819 gab es immer wie­der Ver­su­che von jüdi­scher Sei­te, das Pro­ce­de­re des Eides für Juden zu ver­än­dern. Nament­lich Fried­län­der ver­such­te mehr­fach erfolg­los, Ände­run­gen zu erwirken.

»(…) Er beklag­te, daß die ange­nom­me­ne For­mel Zwei­fel an der mora­li­schen Zuver­läs­sig­keit und Lau­ter­keit des Schwö­ren­den her­vor­ru­fen müs­se. Sie sei daher nicht nur »unkräf­tig und zweck­wid­rig«, son­dern auch »schäd­lich«. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr, Tübin­gen, 1968, S. 110)

Eine Revi­si­on des »Juden­ei­des« gelang bis in den Vor­märz (Epo­che der deut­schen Geschich­te zwi­schen der Juli­re­vo­lu­ti­on von 1830 und der März­re­vo­lu­ti­on von 1848) nicht mehr.

»(…) Jüdi­sche und pro­tes­tan­ti­sche Ortho­do­xi hat­ten zusam­men­ge­wirkt, um die tra­di­tio­nel­len Auf­fas­sun­gen über den jüdi­schen Eid zu sanktionieren. (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr, Tübin­gen, 1968, S. 110)

Bei allem, was wir heu­te wis­sen, wäre es unter Mit­wir­kung der in »Deckung« gegan­ge­nen Refor­mer um Clau­se­witz wahr­schein­lich mög­lich gewe­sen, das Pro­blem »Juden­eid« zu lösen. Das Ver­ständ­nis über die ent­schei­den­de Rol­le der Moral des Sol­da­ten im Krie­ge, hier des jüdi­schen, war bei den Prot­ago­nis­ten der Refor­men in Preu­ßen vor­han­den. So aber war hier durch deren »Schwei­gen« bereits ein Grund­stein des Schei­terns der Eman­zi­pa­ti­on der Juden in Preu­ßen und somit auch in Deutsch­land gelegt. Hier begann womög­lich der Irr­weg in der Ent­wick­lung Preußens.

Fried­rich Meine­cke (*1862; †1954) – ein alt­mär­ki­scher His­to­ri­ker – schil­der­te die­sen Zusam­men­hang folgendermaßen:

»(…) Eine volks­tüm­li­che Hee­res­ver­fas­sung, wie sie der Kriegs­mi­nis­ter von Boy­en von 1814 – 1819 einst erstreb­te, wäre wohl mög­lich gewe­sen und hät­te sich auch auf dem Schlacht­feld bewäh­ren kön­nen. Hier sehe ich also einen wirk­li­chen Irr­weg unse­rer Entwicklung.(…)«
(Vergl. Fried­rich Meine­cke, »Zur Theo­rie und Phi­lo­so­phie der Geschich­te«, Hg. E. Kes­sel, K.F. Koeh­ler Ver­lag, 1965, S. 207)

Die Ver­ei­di­gung der jüdi­schen Sol­da­ten und Medi­zi­ner war zwei­fels­oh­ne ein wesent­li­cher Bestand­teil der ange­streb­ten neu­en Ver­fas­sung des Hee­res nach 1815.

Hier noch ein­mal Clau­se­witz zur Rol­le mora­li­scher Größen:

»(…) Noch ein­mal müs­sen wir auf die­sen Gegen­stand zurück­kom­men, den wir im drit­ten Kapi­tel des zwei­ten Buches berührt haben, weil die mora­li­schen Grö­ßen zu den wich­tigs­ten Gegen­stän­den des Krie­ges gehö­ren. Es sind die Geis­ter, wel­che das gan­ze Ele­ment des Krie­ges durch­drin­gen, und die sich an den Wil­len, der die gan­ze Mas­se der Kräf­te in Bewe­gung setzt und lei­tet, frü­her und mit stär­ke­rer Affi­ni­tät anschlie­ßen, gleich­sam mit ihm in eins zusam­men­rin­nen, weil er selbst eine mora­li­sche Grö­ße ist. Lei­der suchen sie sich aller Bücher­weis­heit zu ent­zie­hen, weil sie sich weder in Zah­len noch in Klas­sen brin­gen las­sen und gese­hen oder emp­fun­den sein wollen. (…)«
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag des MfNV, Ber­lin 1957, 3. Buch, Kap. 3, S. 165)

Unge­ach­tet des­sen haben jüdi­sche Sol­da­ten in den nach­fol­gen­den Krie­gen 1864/​66, 1870/​71 und 1914 bis 1918 ihren Eid erfüllt und über­wie­gend tap­fer gekämpft. Eine ech­te Wert­schät­zung des Deut­schen Vol­kes war ihnen jedoch bis in die jüngs­te Ver­gan­gen­heit nie zuteil gewor­den. Im Gegen­teil, vie­le Trä­ger des Eiser­nen Kreu­zes aus WK I wur­den durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten in der »Shoa« liqui­diert. Wir erin­ner­ten bereits an den Trä­ger des EK I im 1. Welt­krieg, Juli­us Phil­ipp­son, der im Jahr 1943 in Ausch­witz ermor­det wurde.

< Zurück

Fort­set­zung Teil XVIII