Teil XVI

Vor der Be­ur­tei­lung die­ser Fra­ge be­trach­ten wir noch ein­mal die Rol­le der Ju­den in Preu­ßen in der Pe­ri­ode der Be­frei­ungs­krie­ge, in der sich so et­was wie »Staats­bür­ger­tum« her­aus­ge­bil­det hat­te. Auch der Stand der Ju­den im Heer nach 1815 in der Nach­kriegs­pe­ri­ode bis zum To­de Clau­se­witz` soll ge­wür­digt werden.

Mög­li­cher­wei­se ist hier der Be­griff »na­tio­na­ler Ju­de« ge­recht­fer­tigt, über den Dr. An­ne Pur­schwitz (∗1980) schreibt:

»(…) Theo­re­tisch bo­ten Na­tio­na­lis­mus und die Be­sin­nung auf ein ge­mein­sa­mes Va­ter­land für Ju­den ei­ne neue Mög­lich­keit der Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Ge­ge­ben­hei­ten des preu­ßi­schen Staa­tes. (…)«
(Vergl. »Ju­de oder preu­ßi­scher Bür­ger?: Die Eman­zi­pa­ti­ons­de­bat­te im Span­nungs­feld von Re­gie­rungs­po­li­tik, Re­li­gi­on, Bür­ger­lich­keit und Öf­fent­lich­keit« (1780 bis 1847), An­ne Pur­schwitz, Hoch­schul­schrift, S. 184 ff.)

In den vor­an­ge­gan­ge­nen Be­trach­tun­gen hat­ten wir dar­ge­stellt, dass – ge­mes­sen an der Ge­samt­be­völ­ke­rungs­zahl Preu­ßens – der An­teil der jü­di­schen Bür­ger, die Kriegs­dienst leis­te­ten, re­la­tiv hoch war. In den Kam­pa­gnen 1813/14/15 wa­ren 731 Ju­den, al­so zwei Pro­zent der rund 30.000 Bür­ger der preu­ßi­schen Min­der­heit, bei der Fah­ne. Da­von sol­len 171 Frei­wil­li­ge und 560 Aus­ge­ho­be­ne ge­we­sen sein. Be­ein­dru­ckend auch die re­la­tiv ho­he Zahl der Be­för­de­run­gen und Aus­zeich­nun­gen der jü­di­schen Kriegsteilnehmer.

»(…) 21 wur­den zu Un­ter­of­fi­zie­ren bzw. Ober­jä­gern und Tam­bour­ma­jo­ren, ei­ner zum Por­te­peefähn­rich, 19 zu Se­kon­de­leut­nants und 3 zu Pre­mier­leut­nants be­för­dert. Das Ei­ser­ne Kreuz für Kom­bat­tan­ten er­hiel­ten 71, den rus­si­schen St. Ge­orgs-Or­den 4 und das Ei­ser­ne Kreuz am wei­ßen Band 7 jü­di­sche Kriegsteilnehmer. (…)«
(Vergl. Schoeps, »Das Ge­walt­syn­drom: Ver­for­mung und Brü­che im deutsch-jü­di­schen Ver­hält­nis«, Ar­gon, S. 26)

Wo­bei, wie be­reits dar­ge­stellt, va­li­de Teil­neh­mer­zah­len jü­di­scher Sol­da­ten in den Be­frei­ungs­krie­gen aus der un­ter­schied­li­chen Quel­len­la­ge schwer zu er­mit­teln sind. Die wei­te An­er­ken­nung muss da­mals hoch ge­we­sen sein. Schoeps ver­weist hier u. a. auf Treit­sch­ke, der – ob­wohl kein Freund der Ju­den – zu­ge­ben musste:

»(…) Die Söh­ne je­ner ge­bil­de­ten Häu­ser, die sich schon ganz als Deut­sche fühl­ten, ta­ten eh­ren­haft ih­re Soldatenpflicht. (…)«
(Vergl. Schoeps »Ge­walt­syn­drom«, S. 26)

Über den jü­di­schen Of­fi­zier Me­no Burg, der in die­sem Zu­sam­men­hang noch ein­mal zu nen­nen wä­re, be­rich­te­ten wir wei­ter oben be­reits.

Da­her kön­nen wir aus un­se­rer Sicht wohl be­rech­tigt von ei­nem bis da­hin nie ge­se­he­nen »jü­di­schen Pa­trio­tis­mus« in Preu­ßen sprechen.

Es ist an­zu­neh­men, dass auch in der fran­zö­si­schen Ar­mee Ju­den kämpf­ten. Die Grund­la­ge da­für bot nach der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on 1789/99 das von Na­po­lé­on 1808 er­las­se­ne »Con­sis­toire cen­tral is­raè­li­te« (Zen­tra­lis­rae­li­ti­sches Kon­sis­to­ri­um). Aus den links­rhei­ni­schen De­par­te­ments un­ter fran­zö­si­scher Herr­schaft, den drei Han­se­städ­ten – Bre­men, Ham­burg und Lü­beck (Bon­ne ville de L´Empire fran­çais) — dem Groß­her­zog­tum Berg, dem Groß­her­zog­tum Frank­furt und vor al­lem aus dem neu ge­bil­de­ten Kö­nig­reich West­pha­len (1807 bis 1813) wur­den jü­di­sche Män­ner zu den Fah­nen ge­ru­fen. Der Kö­nig von West­pha­len, Jerô­me Bo­na­par­te (*1784; †1860) re­gel­te die Gleich­be­rech­ti­gung der Ju­den in ei­ner Verfassung.
(Vergl. »Re­form Re­or­ga­ni­sa­ti­on Trans­for­ma­ti­on«, Hg. K.-H. Lutz u. a. — Ol­den­burg Ver­lag, 2010, S. 491)

Mög­li­cher­wei­se kämpf­ten bei Leip­zig und Wa­ter­loo auch Ju­den ge­gen Ju­den. Wir wis­sen es nicht si­cher, ob­gleich es dar­auf Hin­wei­se gibt. Der Mi­li­tär­his­to­ri­ker Thors­ten Loch stellt in ei­nem Buch­bei­trag ei­nen neu­en Quel­len­fund vor (s. An­la­ge 1):

»(…) den an­läss­lich der Hoch­zeit sei­nes Bru­ders ver­fass­ten kur­zen Brief ei­nes jü­di­schen Sol­da­ten aus dem rhei­ni­schen Nie­der­zis­sen, der 1807 in der Na­po­leo­ni­schen Ar­mee dien­te. Der Text des Brie­fes ist im An­hang abgedruckt, (…)«
(Vergl. »Jü­di­sche Sol­da­ten – Jü­di­scher Wi­der­stand in Deutsch­land und Frank­reich«, Hg. Ber­ger, Mi­cha­el, 2011, /www.hsozkult.de/review/id/reb-16556?title=m-berger-u-a-hrsg-juedische-soldaten)

Wa­ter­loo 1815, Preu­ßi­sche Trup­pen, Röchling
Quel­le: Kunst für al​le​.de

Die ge­setz­li­chen Grund­la­gen der Teil­nah­me jü­di­scher Män­ner in den Kam­pa­gnen der Be­frei­ungs­krie­ge ha­ben wir in un­se­rer Be­trach­tung frü­her schon hin­rei­chend dar­ge­stellt. Gleich­wohl gab es im­mer wie­der in der Pra­xis in ein­zel­nen Land­krei­sen Skep­sis an der Recht­mä­ßig­keit, Ju­den zu den Waf­fen zu ru­fen. Man war im­mer wie­der im Zwei­fel, was wohl in der Mei­nung der Be­völ­ke­rung über­wie­gen würde.

Ei­ner­seits die alt­her­ge­brach­te Ab­leh­nung der Ju­den, an­de­rer­seits die Un­zu­frie­den­heit über ei­ne mög­li­che Frei­stel­lung, oft auch das Frei­kau­fen vom Dienst jü­di­scher jun­ger Män­ner. Dar­auf hat­ten wir schon wei­ter vor­ne an­hand Scharn­horsts Be­stre­bun­gen nach »glei­chen Pflich­ten und glei­chen Rech­te al­ler Staats­bür­ger« ver­wie­sen. Letzt­end­lich rang man sich doch zu der Mei­nung durch, dass Ju­den, wenn sie gleich­be­rech­tigt sein sol­len, auch die Pflich­ten der Staats­bür­ger zu tra­gen hät­ten. Die­ser Mei­nungs­streit wur­de – trotz der be­kann­ten Res­sen­ti­ments F. W. III. die Ju­den be­tref­fend – sehr prag­ma­tisch gelöst.

»(…) Das Mi­li­tär-Gou­ver­ne­ment schloss sich die­ser Auf­fas­sung völ­lig an. An­ge­sichts des gro­ßen Man­gels an Mann­schaf­ten und der zu be­fürch­ten­den un­an­ge­neh­men psy­cho­lo­gi­schen Rück­wir­kun­gen auf die Be­völ­ke­rung be­fahl es den Aus­schüs­sen, die Ju­den oh­ne Un­ter­schied zur Land­wehr heranzuziehen. (…)«
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr, Tü­bin­gen, S. 36)

In der his­to­ri­schen Pra­xis er­wies es sich, dass zu­min­dest in den preu­ßi­schen Stamm­pro­vin­zen wie Bran­den­burg (Kur­mark), Ber­lin, Ost­preu­ßen, West­preu­ßen und auch Schle­si­en jü­di­sche jun­ge Män­ner zur Land­wehr ge­ru­fen wur­den. Im Er­geb­nis des Feld­zu­ges von 1813 hat­te man er­kannt, dass sich vie­le Ju­den eh­ren­haft be­tra­gen hat­ten und so­mit auch das Recht und die Pflicht ha­ben soll­ten, in der ak­ti­ven Trup­pe zu die­nen. Da­zu ver­wie­sen wir be­reits frü­her schon auf Sack und L`Estocq.

»(…) Hier­zu la­gen in Ber­lin die Be­rich­te ein­zel­ner Be­fehls­ha­ber vor. Sack* und L`Estocq* spra­chen sich in­fol­ge­des­sen da­für aus, auch in die­ser Hin­sicht die Ju­den den an­de­ren Staats­bür­gern völ­lig gleichzustellen. (…)«
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr, Tü­bin­gen, S. 36/37)

Ge­ne­ral der Ka­val­le­rie An­ton Wil­helm von L ’Es­tocq (*1738; †1815)
Quel­le Wikipedia

*(L`Estocq war Mi­li­tär­gou­ver­neur des 1. Mi­li­tär­gou­ver­ne­ments zwi­schen El­be und Oder. Dr. Jo­hann Au­gust Sack (*1764; †1831) eben­da Zi­vil­gou­ver­neur.)

Al­ler­dings wur­den die Vor­schlä­ge L`Estocqs und Sacks durch von Har­den­berg zu­nächst nicht be­ant­wor­tet und erst 1814 auf den Weg ge­bracht, um end­lich durch das Wehr­ge­setz vom 3. Sep­tem­ber 1814 wirk­sam zu wer­den. F. W. III. er­ließ da­zu per A.K.O. das  »Ge­setz über die Ver­pflich­tung zum Kriegs­diens­te vom 3. Sep­tem­ber 1814«, in dem es hieß:

»(…) Die bis­her, über die Er­gän­zung der Ar­mee be­stan­de­nen, äl­te­ren Ge­set­ze wer­den da­her hier­mit auf­ge­ho­ben und da­ge­gen festgesetzt:

§ 1. Je­der Ein­ge­bor­ne, so­bald er das 20. Jahr voll­endet hat, ist zur Vert­hei­di­gung des Va­ter­lan­des verpflichtet. (…)«
(Vergl. www​.ver​fas​sun​gen​.de/​p​r​e​u​s​s​e​n​/​g​e​s​e​t​z​e​/​k​r​i​e​g​s​d​i​e​n​s​t​p​f​l​i​c​h​t​g​e​s​e​t​z​1​4​.​htm)

Zu die­sem Zeit­punkt be­trach­te­te man die Ju­den Preu­ßens be­reits als »Ein­ge­bo­re­ne«. Der da­ma­li­ge Kriegs­mi­nis­ter von Boy­en ar­bei­te­te des Ge­setz aus und ver­tei­dig­te die­ses zu­sam­men mit Grol­man und Witz­le­ben ge­gen Geg­ner des Ge­set­zes, noch nach­dem der Kö­nig die­ses schon un­ter­schrie­ben hatte.
(Vergl. »Vom Ers­ten zum Zwei­ten Deut­schen Reich«, Hg. J. Büh­ler, 1954, de Gry­ter, S. 199)

Mög­li­cher­wei­se war Clau­se­witz über den Gang der Ge­setz­ge­bung in­for­miert, da so­wohl Boy­en als Kampf­ge­fähr­te in Russ­land 1812 als auch Grol­man mit Clau­se­witz be­kannt wa­ren. Wenn ja, dann hat­te Clau­se­witz die Idee des Ge­set­zes, auch den Dienst der Ju­den be­tref­fend, si­cher­lich re­zi­piert. Ein mög­li­cher Ge­dan­ken­aus­tausch dar­über ist je­doch nicht überliefert.

Dem vom Preu­ßen­kö­nig ge­wähl­ten Be­griff »Ein­ge­bo­re­ne« ging die For­mu­lie­rung »Ein­län­der und preu­ßi­scher Staats­bür­ger« vor­aus. So for­mu­liert im §1 des De­kre­tes »Edikt be­tref­fend die bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Ju­den in dem Preu­ßi­schen Staa­te vom 11. März 1812«. Wir ver­wie­sen am An­fang un­se­rer Ab­hand­lung be­reits auf die­ses Dekret.

»(…) § 1. Die in un­sern Staa­ten jetzt wohn­haften, mit Ge­ne­rals-Pri­vi­le­gi­en, Na­tu­ra­li­sa­ti­ons-Pa­ten­ten, Schutz­brie­fen und Kon­zes­sio­nen ver­se­he­nen Ju­den und de­ren Fa­mi­li­en sind für Ein­län­der und Preu­ßi­sche Staats­bür­ger zu achten. (…)«
(Vergl. http://​www​.ver​fas​sun​gen​.de/​p​r​e​u​s​s​e​n​/​g​e​s​e​t​z​e​/​j​u​d​e​n​e​d​i​c​t​1​2​.​htm)

So­mit wur­den die Ju­den Preu­ßens ab 1812 nicht wei­ter als Frem­de ge­se­hen und un­ter­schie­den sich fort­an nicht mehr von den üb­ri­gen Untertanen.

»(…) Als Sam­mel­be­griff konn­te da­her nur noch von den „jü­di­schen Glau­bens­ge­nos­sen“ die Re­de sein, da die­se von nun an für die Ge­setz­ge­bung le­dig­lich ei­ne der ver­schie­de­nen Re­li­gi­ons­grup­pen bildeten. (…)
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr, Tü­bin­gen, S. 26)

All das ent­wi­ckel­te sich nicht oh­ne Wi­der­stand in der da­ma­li­gen Ge­sell­schaft. Be­reits in der Früh­pha­se der Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung wand­te sich Carl Wil­helm Fried­rich Grat­ten­au­er (*1773; †1838), ein Ju­rist und aus­ge­wie­se­ner Ju­den­feind, mit ei­ner Bitt­schrift an den preu­ßi­schen Groß­kanz­ler Hein­rich Ju­li­us von Gold­beck (*1733; †1818), um auf Har­den­berg Ein­fluss zu nehmen:

»(…) Ich hal­te die Ju­den in ih­ren jet­zi­gen po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen für den Staat höchst ge­fähr­lich und bin mit Her­der, Fich­te, Goe­the und vie­len an­de­ren gro­ßen Phi­li­o­so­phen der Mei­nung, daß sie in ih­ren it­zi­gen Ver­hält­nis­sen sich selbst und al­len christ­li­chen Staats­bür­gern ei­ne gleich be­drü­cken­de Last sind. (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der Ju­den in Preu­ßen (1750 – 1820)«, A. A. Bruer, Cam­pus Ver­lag 1991, S. 209)

Fich­tes An­sicht über das Ju­den­tum und des­sen In­ter­pre­ta­ti­on sind uns be­reits be­kannt. Her­der, Jo­hann Gott­fried (*1744; †1803),

»(…) de­fi­nier­te […] die Ju­den in Eu­ro­pa als frem­des asia­ti­sches Volk. Er hoff­te auf den Tag, an dem sich Eu­ro­pa die Fra­ge nicht mehr stel­len wür­de, ob ei­ner Ju­de oder Christ ist. (…)«
(Vergl. »Vom Vor­ur­teil bis zur Ver­nich­tung – Der An­ti­se­mi­tis­mus 1700 bis 1933«, Ja­kob Katz, Uni­on Ver­lag 1990)

Grat­ten­au­er in­ter­pre­tier­te al­so Fich­te und Her­der als Sup­port für sei­ne viel­fäl­ti­gen ju­den­feind­li­chen Pu­bli­ka­tio­nen, je­doch bei­de nach un­se­rer Sicht in der Aus­le­gung fehl. Goe­the for­mu­lier­te spä­ter um 1821 in »Wil­helm Meis­ters Wanderjahre«: 

»(…) In die­sem Sin­ne, den man viel­leicht pe­dan­tisch nen­nen mag, aber doch als fol­ge­recht an­er­ken­nen muß, dul­den wir kei­ne Ju­den un­ter uns; denn wie soll­ten wir ihm den An­teil an höchs­ter Kul­tur ver­gön­nen, de­ren Ur­sprung und Her­kom­men er verleugnet? (…)«
(Vergl. »Wil­helm Meis­ters Wan­der­jah­re«, Goe­the, Re­clam Jun. Leip­zig, Buch III, Kap. 11, S. 313.)

Die Wei­ma­rer Ju­den­ord­nung von 1823, die die Ehe zwi­schen Ju­den und Chris­ten er­laub­te, kom­men­tier­te Goe­the zor­nig als ein skan­da­lö­ses Gesetz:

»(…) Es un­ter­gra­be al­le sitt­li­chen Ge­füh­le. […] Das Aus­land müs­se durch­aus an Be­stechung glau­ben, um die Ad­op­ti­on die­ses Ge­set­zes be­greif­lich zu fin­den, wer wis­se, ob nicht der all­mäch­ti­ge Roth­schild dahinterstecke. (…)«
(Vergl. »Goe­the und die Ju­den«, K. – P. Leh­mann, Brief an Kanz­ler von Mül­ler, 23.9.1823, http://​www​.im​dia​log​.org/​b​p​2​0​1​2​/​0​3​/​0​6​.​h​tml)

Wie wird Clau­se­witz Goe­thes Ein­las­sun­gen – die Ju­den be­tref­fend – wohl auf­ge­nom­men haben?

»(…) Selbst­ver­ständ­lich ist Goe­thes Be­deu­tung für den geis­ti­gen Haus­halt der ehe­ma­li­gen Sol­da­ten in­di­vi­du­ell ver­schie­den, aber die ent­schei­den­de Tat­sa­che ist, daß ge­ra­de die größ­ten Sol­da­ten der Goe­the­schen Welt am nächs­ten ste­hen: Clau­se­witz, von dem ge­sagt ist, daß er sich or­dent­lich zu Goe­the be­kehrt habe, (…)« 

Auch Scharn­horst und Gnei­se­nau stan­den dem Dich­ter­fürs­ten nahe.
(Vergl. »Goe­the und die Ge­ne­ra­le«, E. We­ni­ger, In­sel-Ver­lag Leip­zig, S. 211)

Goe­the war Clau­se­witz seit der Be­kannt­schaft mit Ma­rie von Brühl, sei­ner spä­te­ren Ehe­frau, kein Un­be­kann­ter mehr.

»(…) Gleich ei­nes der ers­ten Ge­sprä­che ih­rer jun­gen Be­kannt­schaft führ­te Ma­rie v. Brühl und Clau­se­witz auf den „Wert­her“. (…)«
(Vergl. »Goe­the und die Ge­ne­ra­le«, E. We­ni­ger, In­sel-Ver­lag Leip­zig, S. 190)

Bei Gnei­se­nau be­dank­te sich Clau­se­witz 1809 für die tem­po­rä­re Über­las­sung des »Faust«.
(Vergl. E.Weniger »Goe­the und die Ge­ne­ra­le der Frei­heits­krie­ge«, Geist, Bil­dung, Sol­da­ten­tum (1959), S. 184)

Jo­hann Wolf­gang von Goe­the (* 1749; †1832)

In­wie­weit Clau­se­witz Goe­thes Sicht – die Ju­den be­tref­fend – teil­te oder ab­lehn­te, wis­sen wir nicht. Er hat­te, wie wir wis­sen, sei­ne ei­ge­nen An­sich­ten. Goe­the sel­ber ist aus heu­ti­ger Sicht, sein Ver­hält­nis zum Ju­den­tum be­tref­fend, schwer einzuordnen.

»(…) Im Lau­fe ei­nes lan­gen Le­bens, bei ver­schie­de­nen An­läs­sen, in sehr ver­schie­de­nen Si­tua­tio­nen und Stim­mun­gen hat Goe­the sich so oft in wech­seln­der Ge­sin­nung und Wer­tung über Ju­den und Ju­den­tum ge­äu­ßert, daß es selbst bei vor­sich­ti­ger Kri­tik der ein­zel­nen Zeug­nis­se me­tho­disch un­zu­läs­sig ist, durch Zu­sam­men­stel­lung al­ler die­ser Aus­sprü­che sei­nen Stand­punkt zu kon­stru­ie­ren oder gar ihn auf Grund ei­ner Sta­tis­tik der po­si­ti­ven und ne­ga­ti­ven Wer­tun­gen für ei­ne Par­tei in An­spruch zu neh­men. (…)«
(Vergl. »Wie an­ti­se­mi­tisch war ei­gent­lich Goe­the«, Ro­bert Schli­cke­witz, www​.ha​ga​lil​.com/​2​0​1​4​/​0​3​/​g​o​e​t​he/)

Wir tref­fen hier auf ein Phä­no­men, das auf ei­ni­ge Geis­tes­grö­ßen, Dich­ter, Wis­sen­schaft­ler, Mi­li­tärs u. a. Prot­ago­nis­ten des frü­hen 19. Jhd. zu­trifft. In die­sem Sin­ne wahr­schein­lich auch auf Clausewitz.

Zu­rück je­doch zum Be­griff »Jü­di­scher Pa­trio­tis­mus«, um uns da­nach dem »Jü­di­schen Fah­nen­eid« zu nähern.

Um die Be­son­der­hei­ten der Stel­lung jun­ger jü­di­scher Män­ner in die­sem Pro­zess zu ver­ste­hen, muss vor al­lem die Rol­le der Ge­mein­de­vor­stän­de und der Rab­bi­ner die­ser Zeit be­rück­sich­tigt wer­den. De­ren Ein­fluss war von his­to­ri­scher Be­deu­tung, nach­dem die Kam­pa­gne 1813 begann.

»(…) Wäh­rend der Be­frei­ungs­krie­ge stell­ten sie sich nun mit Got­tes­diens­ten und Pre­dig­ten an die Spit­ze der Be­we­gung, de­ren Kriegs­be­geis­te­rung und Pa­trio­tis­mus wei­te Krei­se der preu­ßi­schen Ju­den erfaßte. (…)«
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr Tü­bin­gen, S. 38)

Die nun er­fol­gen­den Ein­seg­nun­gen jü­di­scher Sol­da­ten – wir be­rich­te­ten be­reits in un­se­rer Schil­de­rung über Me­no Burg dar­über – wa­ren ar­ran­giert mit dem ent­spre­chen­den Pa­thos des Zeit­geis­tes. Die Re­de war von »Hei­lig­keit des Be­ru­fes…«, »hei­li­ger Krieg …«, »Dienst fürs Va­ter­land…«, »Gut und Blut für das Va­ter­land…«. In ei­nem Flug­blatt, das be­reits 1813 in Ber­lin ver­brei­tet wur­de, rief der un­be­kann­te Ver­fas­ser die jun­gen Ju­den auf,

»(…) den »eh­ren­vol­len Ruf« des Kö­nigs »mit Freu­de« auf­zu­neh­men und dem Va­ter­land ih­re Kräf­te und ihr Le­ben »zu weihen«. (…)«
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr Tü­bin­gen, S. 38)

Im­mer wie­der wur­de auch der Be­griff »Va­ter­land« ver­wen­det. Hier wa­ren die Auf­ru­fe der Ju­den, den Ge­dich­ten und Lie­dern Arndts zum Bei­spiel, durch­aus ähn­lich. Noch vor den Be­frei­ungs­krie­gen rief Ernst Mo­ritz Arndt:

»Ein­müt­hig­keit der Her­zen sey Eu­re Kir­che, Haß ge­gen die Fran­zo­sen eu­re Re­li­gi­on, Frey­heit und Va­ter­land sey­en die Hei­li­gen, bei wel­chen ihr anbetet.«
(Vergl. Ha­gen Schul­ze: »Klei­ne deut­sche Geschichte«)

Von be­son­de­rer Be­deu­tung war der Kon­sens der jü­di­schen Geist­lich­keit ge­gen­über der Not­wen­dig­keit, die jü­di­schen Ge­set­ze, Ge­bo­te und Ver­bo­te dem Kriegs­dienst an­zu­pas­sen. Wei­ter oben be­rich­te­ten wir über jü­di­sche Ge­set­ze, Ge­bo­te und Ver­bo­te. Ein 70-jäh­ri­ger Rab­bi be­ru­hig­te jun­ge jü­di­sche Sol­da­ten bei de­ren Ein­seg­nung am 11.März 1813 in Bres­lau, in­dem er sagte:

»(…) Ge­het in den Kampf für Kö­nig und Va­ter­land! Mit dem Au­gen­bli­cke, da ihr in den Dienst tre­tet, habt ihr nur an Kö­nig und Va­ter­land zu den­ken; eu­re re­li­giö­sen Pflich­ten hö­ren dann auf. Ihr könnt ge­nie­ßen was euch ge­bo­ten wird; Ihr braucht kein The­phil­lim*** zu le­gen: wenn ihr könnt, führt sie bei euch, aber ihr braucht sie nicht zu be­nut­zen; auch braucht ihr nicht mit dem Mun­de zu be­ten, son­dern den­ket, so oft ihr könnt an Gott; und be­tet auch das Sch´ma nur im Her­zen: Gott wird eu­ren Dienst fürs Va­ter­land als Ge­bet an­neh­men, und euch Sieg ver­lei­hen und euch mit Eh­re ge­schmückt zu den Eu­ri­gen zu­rück führen. (…)«
(Vergl. Um­ge­stal­tung, Die ge­gen­wär­tig be­ab­sich­tig­te – der bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Ju­den in Preu­ßen. Nach au­then­ti­schen Quel­len be­leuch­tet, Bres­lau 1842, S. 11)
*** (Tefil­lin sind Ge­bets­rie­men aus Le­der. Männ­li­che Ju­den wi­ckeln sie sie­ben­mal um den Arm und dann drei­mal um Hand und den Mit­tel­fin­ger. Zu den Tefil­lin ge­hö­ren auch Ge­bets­kap­seln, die in der Nä­he des Her­zens und auf der Stirn ge­tra­gen wer­den. In den Kap­seln be­fin­den sich Tex­te aus der Tho­ra.)

Es ist über­lie­fert, dass sich die jü­di­schen Sol­da­ten in den Jah­ren der Be­frei­ungs­krie­ge an die Wor­te der Rab­bi­ner hielten.

»(…) Von ei­ner Kol­li­si­on zwi­schen den Not­wen­dig­kei­ten des mi­li­tä­ri­schen Diens­tes und den jü­di­schen Ze­re­mo­ni­al­vor­schrif­ten wur­de nichts bekannt. (…)«
(Vergl. »Ju­den, Staat und Heer in Preu­ßen im frü­hen 19. Jahr­hun­dert«, Hg. Horst Fi­scher, 1968 J. C. B. Mohr Tü­bin­gen, S. 39)

Nach den oben dar­ge­stell­ten Wor­ten des Rab­bi ist an­zu­neh­men, dass jü­di­sche Sol­da­ten sich im Feld und auf dem Marsch oh­ne of­fe­nes Be­den­ken am Ab­ko­chen der Trup­pe be­tei­lig­ten und die glei­chen Spei­sen wie ih­re christ­li­chen Ka­me­ra­den ein­nah­men. Das stell­te aus un­se­rer Sicht ein sehr gro­ßes Zu­ge­ständ­nis an die über­wie­gend christ­lich ge­präg­ten Sol­da­ten dar. Mehr noch,

»(…) sie sind am Sab­bath wie an an­de­ren Ta­gen mar­schiert; sie sind mit ih­ren christ­li­chen Ka­me­ra­den in die Kir­che ge­gan­gen, und ha­ben mit ih­nen ver­eint den All­va­ter um Sieg angefleht. (…)«
(Vergl. Die ge­gen­wär­tig be­ab­sich­tig­te Um­ge­stal­tung der bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Ju­den in Preu­ßen. Nach au­then­ti­schen Quel­len be­leuch­tet, Bres­lau 1842, S. 12)

All das, was in den Jah­ren und Ta­gen der Be­frei­ungs­krie­gen vie­len­orts ge­schah, war mehr, als Les­sing, Har­den­berg, Dohm und Wil­helm von Hum­boldt oder auch Mo­ses Men­dels­sohn und Ge­treue von der Idee der Eman­zi­pa­ti­on der preu­ßi­schen Ju­den in kur­zer Zeit hät­ten er­war­ten kön­nen. Die­se ein­zig­ar­ti­ge Er­schei­nung, die nie wie­der in der deut­schen Ge­schich­te ei­ne der­ar­ti­ge Wie­der­ho­lung fand, stellt ei­nen Glanz­punkt im Ver­hält­nis zwi­schen Bür­gern ver­schie­de­ner Glau­bens­rich­tun­gen deut­scher Lan­den dar. Der »All­va­ter«, zu dem Ju­den und Chris­ten ge­mein­sam be­te­ten, war durch ei­ne ge­mein­sa­me Tra­di­ti­ons­li­nie ge­prägt. Je­sus war Ju­de, und im »Al­ten Tes­ta­ment« spie­gelt sich die »He­bräi­sche Bi­bel« wi­der. Der Glau­be der Chris­ten ist tief ver­wur­zelt im Glau­ben der Ju­den. Für ei­ne his­to­risch kur­ze Zeit war al­les Tren­nen­de schein­bar über­wun­den. Chris­ten und Ju­den wa­ren und sind Kin­der Abrahams!

Chris­ten und Juden
Quel­le: EKiR​.de

Carl von Clau­se­witz er­leb­te die Be­frei­ungs­krie­ge von 1813 bis 1815 an ver­schie­de­nen Fron­ten, kämpf­te, führ­te und war ein Christ. Letz­te­res be­legt das Ge­burts- und Tauf­re­gis­ter der Stadt Burg. Wie be­reits be­schrie­ben, las­sen sich aus dem Le­ben und Werk Clausewitz´Verbindungen zur Re­li­gi­on des Chris­ten­tums mit ei­ni­ger Si­cher­heit dar­stel­len. Wel­che Rol­le spiel­te der Glau­be für den ge­tauf­ten Of­fi­zier in den Krie­gen ge­gen Na­po­lé­on und da­nach im wei­te­ren Le­ben des Generals?

Aus­zug aus dem Tauf­re­gis­ter der Stadt Burg vom 9. Ju­li 1780
Quel­le: Olaf Thiel, For­schungs­ge­mein­schaft Clau­se­witz — Burg e.V.

Die uns zur Ver­fü­gung ste­hen­den Quel­len ge­stat­ten uns, ei­ni­ge va­ge Ver­mu­tun­gen zur Re­li­gio­si­tät Clau­se­witz´ an­zu­stel­len. Wei­ter vorn hat­ten wir be­reits auf ei­ni­ge Got­tes­be­zü­ge in Le­ben und Werk ver­wie­sen. Deut­li­cher wird es, wenn wir den ge­sell­schaft­li­chen Kon­text des Le­bens Clau­se­witz´ be­trach­ten. Pro­tes­tan­tisch ge­tauft und wohl auch in jun­gen Jah­ren in die­sem Sin­ne er­zo­gen, wird der jun­ge Sol­dat Carl be­reits in der Ar­mee auf die Wech­sel­wir­kung zwi­schen Re­li­gi­on und Sol­da­ten­tum ge­trof­fen sein. Für den ein­fa­chen Sol­da­ten – der jun­ge Carl war an­fangs nicht weit weg von die­sem – war der »An­ker« des Glau­bens an Gott wich­tig für sein Seelenheil.

Die all­ge­gen­wär­ti­ge Ge­fahr um Leib und Le­ben be­wirk­te im Krie­ge auch die kaum zu ver­drän­gen­de To­des­furcht, mit der ein Sol­dat da­mals le­ben und kämp­fen muss­te. Das Ge­bet vor, wäh­rend und nach der Schlacht war fes­ter Be­stand­teil des Han­delns der Sol­da­ten. Der Feld­pre­di­ger und der Ka­te­chis­mus wa­ren stän­di­ge Be­glei­ter der Sol­da­ten. Dar­an hat­te auch die Ab­nei­gung Fried­rich des Gro­ßen der Re­li­gi­on ge­gen­über nichts än­dern können.
(Vergl. Fried­rich der Gro­ße, »Denk­wür­dig­kei­ten zur Ge­schich­te des Hau­ses Bran­den­burg, Aber­glau­ben und Religion«)

Im­mer­hin kämpf­te un­ser jun­ge Ge­frei­ten-Cor­po­ral in der Nach­fol­ge­ar­mee des gro­ßen Kö­nigs. Da­mals dien­te der Glau­be des Sol­da­ten als Halt, um im Kampf die To­des­furcht zu über­win­den. So wird auch Clau­se­witz Lu­thers »Ein fes­te Burg ist un­ser Gott« ge­kannt und mit sei­nen Ka­me­ra­den ge­sun­gen ha­ben. Wo­mög­lich er­klang am 6. Mai 1893 nach der Er­stür­mung von Mainz auch der »Cho­ral von Leu­then«»Nun dan­ket al­le Gott«, in den un­ser Carl mit ein­ge­stimmt ha­ben könnte.

Nun dan­ket al­le Gott, Text und Me­lo­die in Jo­hann Crü­gers Pra­xis pieta­tis me­li­ca 1653

Der Sol­dat Clau­se­witz wird mit Über­gang zum 19. Jhd. in sei­ner Ent­wick­lung zum Of­fi­zier und Ge­ne­ral im­mer wie­der auf die Re­le­vanz von Kir­che und Glau­ben ge­sto­ßen sein. Der Pro­zess der Sä­ku­la­ri­sie­rung und Auf­klä­rung, der sich vor­nehm­lich in der Bil­dungs­schicht ent­wi­ckel­te, er­schloss sich ihm mit fort­schrei­ten­der per­sön­li­chen Bil­dung. Über Clausewitz´Bildungsweg be­rich­te­ten wir be­reits. Gül­tig war wohl für die­se Zeit, was Tho­mas Nip­per­dey (∗1927; †1992) wie folgt formulierte:

»(…) Das deut­sche 19. Jahr­hun­dert ist noch im­mer ein christ­lich, ein kirch­lich ge­präg­tes Zeit­al­ter. Re­li­gi­on und Kir­che sind ei­ne das Da­sein, das Be­wußt­sein und Ver­hal­ten des Men­schen be­stim­men­de Selbst­ver­ständ­lich­keit und Macht, sie blei­ben auch für Staat, Ge­sell­schaft und Kul­tur von ent­schei­den­der Bedeutung. (…)«
(Vergl. »Deut­sche Ge­schich­te 1800 bis 1866 Bür­ger­welt und star­ker Staat«, Ver­lag Beck Mün­chen, 1991, Hg. T. Nip­per­dey, S. 403)

Clau­se­witz schrieb sei­ner Ma­rie aus fran­zö­si­scher Ge­fan­gen­schaft am 28. Ja­nu­ar 1807, das De­sas­ter von 1806 erinnernd:

»(…) Ich se­he hier vie­le von den Ge­fan­ge­nen, die in der Schlacht sich in der Di­vi­si­on un­se­res teu­ren bra­ven Schmet­tau be­fan­den; es war die Spit­ze der Ar­mee, auf wel­che das Un­glück sich zu­erst hin­wälz­te; ich hö­re die Mär­sche bla­sen, wo­mit sie in lan­gen Li­ni­en an­rück­ten – Gott, ich kann nicht be­schrei­ben, wel­che Emp­fin­dun­gen mir das gibt! (…)«
(Vergl. »Karl und Ma­rie von Clau­se­witz – Ein Le­bens­bild …«, Hg. K. Lin­ne­bach, 1916, Ver­lag M. Warneck, S. 84)

Die gan­ze Tra­gik des Un­ter­gangs der Ar­mee Preu­ßens bei Je­na und Au­er­stedt 1806 schil­dernd und da­bei Gott stoß­ge­bet­ar­tig an­zu­ru­fen, weist auf den in Clau­se­witz ru­hen­den Be­zug zur Re­li­gi­on hin. Das drückt Carl in ei­nem Brief vom 5. Ok­to­ber 1807 an Ma­rie au­ßer­or­dent­lich deut­lich aus:

»(…) Die Re­li­gi­on soll un­se­ren Blick nicht von die­ser Welt ab­zie­hen; sie ist ei­ne himm­li­sche Macht, die in den Bund tritt mit dem Ed­len die­ses Le­bens, und mich hat noch nie ein re­li­giö­ses Ge­fühl durch­drun­gen und ge­stärkt, oh­ne mich zu ei­ner gu­ten Tat an­zu­feu­ern, zu ei­ner gro­ßen mir den Wunsch, ja selbst die Hoff­nung zu ge­ben. Hier­auf grün­de ich mei­ne Recht­fer­ti­gung, wenn ich mei­nen Blick von der Er­de, von der Pro­fan­ge­schich­te nicht ab­wen­den kann und mit den Ge­füh­len mei­nes Her­zens den Re­sul­ta­ten mei­nes schwa­chen Geis­tes huldige. (…)«
(Vergl. »Karl und Ma­rie von Clau­se­witz – Ein Le­bens­bild …«, Hg. K. Lin­ne­bach, 1916, Ver­lag M. Warneck, S. 142)

Aus all die­sen frü­hen Brie­fen an sei­ne Braut Ma­rie, ge­schrie­ben un­ter der Last der un­glück­li­chen Ge­fan­gen­schaft un­ter den Fran­zo­sen, spricht Hoff­nung und Mut, aber auch Zu­ver­sicht, so ge­schrie­ben am 30. Au­gust 1806.

»(…) doch glau­ben Sie nicht, daß ich mut­los ver­zwei­fel. Gott wird mich vor die­sem Zu­stan­de be­wah­ren, so­lan­ge ein Fun­ken Le­bens­glut in mir ist; (…)«
(Vergl. »Karl und Ma­rie von Clau­se­witz – Ein Le­bens­bild …«, Hg. K. Lin­ne­bach, 1916, Ver­lag M. Warneck, S. 53)

Selbst in die­sen schwe­ren Jah­ren wa­ren für Clau­se­witz Va­ter­land und Na­tio­na­leh­re im­mer mit sei­nem Le­ben, sei­ner Iden­ti­tät und sei­nem Den­kens ver­bun­den. Wir le­sen in ei­nem Brief an Ma­rie vom 3. Ok­to­ber 1807:

»(…) Doch es scheint klein­lich, sein ei­ge­nes Schick­sal zu nen­nen, was doch das Schick­sal al­ler Va­ter­lands­ge­nos­sen ist. Frei­lich ha­ben ih­ren Blick nicht al­le so starr dar­auf hin­ge­wen­det als ich, nicht al­le sind so un­fä­hig, ihn da­von ab­zu­wen­den und noch et­was zu sein un­ab­hän­gig von Va­ter­land und Na­tio­na­leh­re. Al­les, was ich bin oder sein könn­te, ver­dan­ke ich die­sen bei­den Er­den­göt­tern, und oh­ne sie wird nichts als ei­ne kern- und saft­lo­se Hül­le von mir übrigbleiben (…)«
(Vergl. »Karl und Ma­rie von Clau­se­witz – Ein Le­bens­bild …«, Hg. K. Lin­ne­bach, 1916, Ver­lag M. Warneck, S. 139)

Die­ser Sol­dat, der in der La­ge war, so ein­fühl­sam sei­ne Idea­le und Emp­fin­dun­gen zu schil­dern und mit sei­ner ge­dank­li­chen Ar­beit über den Krieg an sich ver­bin­den konn­te, (Vergl. »Clau­se­witz und der Staat«, Hg. Pe­ter Pa­ret, Dümm­ler, 1993, S. 127) muss in der La­ge ge­we­sen sein, die re­li­giö­se Pro­ble­ma­tik der Eman­zi­pa­ti­on der Ju­den in Preu­ßen zu er­ken­nen. War­um wir aber dar­über kei­ner­lei Re­ak­tio­nen von Clau­se­witz in den Quel­len fin­den, wird wohl ein Rät­sel der Ge­schich­te bleiben.

Mög­li­cher­wei­se kämpf­te der oben er­wähn­te Mo­ritz It­zig mit Clau­se­witz auf dem glei­chen Feld am 2. Mai 1813 bei Groß­gör­schen. Der Tag, an dem Preu­ßen in des­sen Fol­ge den gu­ten Scharn­horst und den jü­di­schen Sol­da­ten It­zig ver­lor. Am Abend die­ser denk­wür­di­gen Schlacht be­such­te der Kö­nig F. W. der III. den rus­si­schen Za­ren Alex­an­der den I. im La­ger der rus­si­schen Trup­pen. Dort wur­de der Preu­ßen­kö­nig Zeu­ge des im rus­si­schen Heer üb­li­chen Zap­fen­streichs und hör­te ei­nen al­ten kirch­lich-fei­er­li­chen Cho­ral. Be­ein­druckt da­von ord­ne­te F. W. an, in der preu­ßi­schen Ar­mee eben­so ei­nen Zap­fen­streich mit Ge­bet ein­zu­füh­ren. Das Ge­bet »Ich be­te an die Macht der Lie­be« ist bis heu­te Be­stand­teil des mi­li­tä­ri­schen Zap­fen­strei­ches der deut­schen Bundeswehr.

Ich be­te an die Macht der Liebe,
die sich in Je­sus offenbart;
ich geb mich hin dem frei­en Triebe,
wo­durch ich Wurm ge­lie­bet ward;
ich will, an­statt an mich zu denken,
ins Meer der Lie­be mich versenken.“

(Text: Ger­hard Ters­tee­gen (1757, Str. 3: 1751) Me­lo­die: Di­mi­t­ri Bortnjan­sky (1822) Satz: Ger­hard Schnitter.)

Fort­set­zung Teil XVII

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