Teil XV

Mit Be­en­di­gung des letz­ten Krie­ges ge­gen Na­po­le­on wuchs ei­ne sgg. Ur­bur­schen­schaft auf, die sich am 12. Ju­ni 1815, drei Ta­ge vor dem En­de der Schlacht von Wa­ter­loo am 18. Ju­ni des Jah­res, in Je­na ma­ni­fes­tier­te. Die von den Schlacht­fel­dern Eu­ro­pas heim­keh­ren­de aka­de­mi­sche Ju­gend war in­spi­riert durch die Schrif­ten Fried­rich Lud­wig Jahns (∗1778; †1852), Ja­kob Fried­rich Fries´(∗1773; †1843) und Ernst Mo­ritz Arndts (∗1769; †1860). Be­son­ders die »Volks­tums­ideen« Jahns för­der­te in die­ser Ju­gend, die bei Clau­se­witz nicht vor­teil­haft weg kam, den Wunsch nach po­li­ti­schen Ver­än­de­run­gen in Preu­ßen und den an­de­ren Staa­ten des Deut­schen Bun­des. Die Ver­fas­sungs­ur­kun­de der »Je­na­i­schen Bur­schen­schaft« vom 21. Ju­ni 1815 greift in der Er­öff­nung auf ein po­li­ti­sches Lied, das Ernst Mo­ritz Arndt 1813 vor dem Be­ginn der Be­frei­ungs­krie­ge ver­fass­te, zurück.

Was ist des Deut­schen Vaterland?
Ist´s Preus­sen­land, ist´s Schwabenland?
Ist´s, wo am Rhein die Re­be blüht?
Ist´s, wo am Belt die Mö­we zieht?
O nein! nein! nein!
Sein Va­ter­land muss grös­ser sein!

(»Lie­der für Teut­sche von E. M. Arndt. Im Jahr der Frei­heit 1813«, Leip­zig 1813)

Der Text des Lie­des weist auf die in der Zeit der Be­frei­ungs­krie­ge viel­fach ge­stell­te Fra­ge nach ei­ner »Deut­schen Na­ti­on« und »Iden­ti­tät« hin. Da­bei wur­de und wird die letz­te Zei­le der ers­ten Stro­phe viel­fach fehl­in­ter­pre­tiert und ideo­lo­gisch ver­fälscht. In den fol­gen­den Stro­phen nennt Arndt die deutsch­spra­chi­gen Räu­me, die er zu Deutsch­land zu­rech­nen woll­te, was der da­ma­li­gen Denk- und Ge­fühl­s­art ent­sprach. Al­ler­dings nicht, oh­ne ei­nen »Hieb« für die Fran­zo­sen gel­tend zu ma­chen. Auch das, durch­aus Zeit­geist und nicht in al­le Ewig­keit gül­tig, wie heu­ti­ge Auf­ge­regt­hei­ten das dar­stel­len wollen.

Was ist des Deut­schen Vaterland
wo Zorn ver­tilgt den wel­schen Tand
wo je­der Frev­ler hei­ßet Feind
wo je­der Ed­le hei­ßet Freund
Das soll es sein, das soll es sein
das gan­ze Deutsch­land soll es sein

Be­deu­tungs­tief kön­nen wir auch den da­ma­li­gen Wahl­spruch die­ser ers­ten Bur­schen­schaft an­se­hen, wor­in es hieß:

»(…) Dem Bie­dern Eh­re und Ach­tung, zur ste­ten Er­in­ne­rung, nur den acht­ba­ren deut­schen Jüng­ling in ih­rer Mit­te zu dul­den in ih­rer Mit­te zu dul­den und stets Red­lich­keit und Bie­der­sinn zu vereinen. (…)«
(Vergl. Voigt­län­der Quel­len­bü­cher – Band 72 »Aus der Zeit der Dem­ago­gen­ver­fol­gun­gen«, 1914, S. 22 bis 24)

Hier soll­ten ho­he mo­ra­li­sche An­sprü­che an den Cha­rak­ter der Mit­glie­der ge­stellt wer­den. Red­lich­keit, das heißt Über­ein­stim­mung von Wort und Tat. Bie­der­sinn, das heißt Recht­schaf­fen­heit. Bei­des soll­te die Grund­la­gen der stu­den­ti­schen Kor­po­ra­ti­on bilden.

Spä­ter im Jahr 1816, am 18. März, wur­de die­ser ers­te Wahl­spruch durch Be­schluss des Vor­ste­her­kol­legs stark ver­kürzt in »Eh­re, Frei­heit, Va­ter­land« um­ge­än­dert. (Verl. eben­da) Aus dem Wahl­spruch der Je­na­i­schen Bur­schen­schaft er­ken­nen wir zu­nächst for­mal kei­ne Ab­leh­nung jü­di­scher Stu­den­ten, die Mit­glied­schaft be­tref­fend. Wei­ter oben hat­ten wir dar­ge­stellt, dass noch vor den Be­frei­ungs­krie­gen in ge­sell­schaft­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen wie in der »Tisch­ge­sell­schaft«, dem »Tu­gend­bund« und der »Lie­der­ta­fel« Ju­den die Mit­glied­schaft ver­wehrt wur­den. Den Ur­sa­chen die­ser tem­po­rä­ren Wand­lung wol­len wir hier kurz nachgehen.

Ob­wohl ju­den­feind­li­che Äu­ße­run­gen in den Schrif­ten der o. g. Ideen­ge­ber, auf Fich­te ver­wie­sen wir be­reits in die­sem Zu­sam­men­hang, bei der aka­de­mi­schen Ju­gend nicht un­be­kannt ge­we­sen sein dürf­ten, spie­gel­te sich das in der frü­hen Bur­schen­schafts­be­we­gung nicht wi­der. Ins­be­son­de­re Fich­tes Pos­tu­lie­rung über die mög­li­che As­si­mi­lie­rung pa­trio­tisch ein­ge­stell­ter Ju­den, die durch auf­ge­klär­te Ju­den durch­aus ge­teilt wur­de, rief in den »Ur­bur­schen­schaf­ten« kei­ne si­gni­fi­kan­ten oder grund­sätz­li­che Be­den­ken ge­gen jü­di­sche Mit­glie­der her­vor. Zu­min­dest ist das für die Jah­re 1815 bis hin zum Jahr 1820 nicht nachweisbar.

Viel­leicht war die­ser Zu­stand auch dem Um­stand ge­schul­det, dass die ge­bil­de­te pa­trio­ti­sche Ju­gend, die nach 1815 an die Uni­ver­si­tä­ten ging, vor­nehm­lich in Frei­korps wie den »Lüt­zower Jä­gern« ge­dient hat­ten. In die­sen Ver­bän­den war der An­teil jü­di­scher Män­ner re­la­tiv hoch, die sich in Ka­me­rad­schaft mit ih­ren christ­li­chen Kampf­ge­fähr­ten be­währt hat­ten. Das Bei­spiel Ba­ruch Esch­we­ges, der im Frei­korps »Lüt­zow« dien­te, un­ter­streicht die­se Dar­stel­lung. Uns ist heu­te ein Bild­nis Esch­we­ges über­lie­fert, das des­sen jü­di­schen Freund und Ma­ler Op­pen­heim (∗1800; †1882) anfertigte.

Ba­ruch Eschwege/Oppenheim
Quel­le: Kunst für alle

Die ehe­ma­li­gen »Lüt­zower« Karl Horn, Kampf­ge­fähr­te Kör­ners, Hein­rich Her­mann Rie­mann, Karl Her­mann Scheid­ler und Wil­helm Kaf­fen­ber­ger ge­hör­ten zu den Grün­dern der je­na­i­schen »Ur­bur­schen­schaft«. Mit­hin wa­ren neun von elf Grün­dern der Kor­po­ra­ti­on ehe­ma­li­ge »Lüt­zower Jä­ger«. Hein­rich Her­mann, Trä­ger des »Ei­ser­nen Kreu­zes«, war ei­ner der Haupt­red­ner auf dem Wart­burg­fest 1817.
(Vergl. gnei­se­nau-ge­sell­schaft-som­mer­schen­burg »Stu­den­ten, Lüt­zower, Bur­schen­schaft­ler« und Mi­cha­el Fraen­kel, »Der An­teil der jü­di­schen Frei­wil­li­gen an den Be­frei­ungs­krie­gen 1813/14«, Bres­lau 1922, S. 15)

Doch der Ton in den frü­hen bur­schen­schaft­li­chen Kor­po­ra­tio­nen än­der­te sich im Ver­lau­fe der Zeit. Die al­te re­li­gi­ös mo­ti­vier­te Ju­den­feind­schaft so­wie das Stig­ma des »Wu­che­rers«, als öko­no­misch de­ter­mi­nier­te Ab­leh­nung, führ­te über ras­sis­ti­sche Ab­wer­tung, be­gin­nend mit den Bur­schen­ta­gen von 1818, 1820 und 1821 ge­rad­li­nig hin zum spä­te­ren Antisemitismus.
(Vergl. »Bur­schen­schaft und An­ti­se­mi­tis­mus«, Pe­ter Kaup, 2004, Da­tei www​.bur​schen​schaft​.de)

Pe­ter Kaup führt wei­ter aus:

»(..) Daß die ers­te Ver­fas­sung der Je­na­i­schen Bur­schen­schaft zur Auf­nah­me von Ju­den kei­ne Aus­sa­ge trifft, liegt viel­leicht auch dar­an, daß der An­teil der jü­di­schen Stu­die­ren­den in Je­na, et­wa im Ver­gleich zu Bres­lau, Ber­lin und Hei­del­berg, zur Zeit der Ur­bur­schen­schaft ver­gleichs­wei­se nied­rig war. (…)«

An die­ser Stel­le ge­stat­ten wir uns zu er­gän­zen. Phil­ipp­son führ­te aus, wie wei­ter oben be­reits dar­ge­stellt, dass nicht al­le jü­di­schen Män­ner beim Ein­tritt in die Land­wehr, in die Frei­korps oder in die Li­ni­en­trup­pen ih­ren jü­di­schen Glau­ben an­ga­ben. Die Ver­mu­tung liegt al­so na­he, dass auch jü­di­sche Stu­den­ten wo­mög­lich dar­auf ver­zich­te­ten, sich zu ih­rem Glau­ben of­fen zu bekennen.

In­wie­weit wer­den die­se Fra­gen Carl von Clau­se­witz be­wegt ha­ben? Wir kön­nen hier nur spe­ku­lie­ren. Im Ge­gen­satz zu Carl sel­ber war zum Bei­spiel der nach­ma­li­ge Ge­ne­ral Ernst Hein­rich Adolph von Pfuel (∗1779; 1866), Kampf­ge­fähr­te aus rus­si­schen Zei­ten und in der Rus­sisch-Deut­schen Le­gi­on 1813/14, nä­her an die­ser »ja­ko­bi­ni­schen« Ju­gend dran. Pfuel ge­hör­te, wie Pe­ter Pa­ret be­merk­te, ne­ben Clau­se­witz, Rüh­le von Li­li­en­stern, Carl Lud­wig von Tie­de­man und Hei­rich von Kleist zu ei­ner Grup­pe von:

»(…) Fünf jun­ge Leut­nants, de­ren Be­ga­bung und be­son­de­re In­ter­es­sen sie zu ty­pi­schen, wenn auch au­ßer­ge­wöhn­lich ta­len­tier­ten „ge­lehr­ten Of­fi­zie­ren“ machten. (…)«

(Vergl. Pe­ter Pa­ret, »Clau­se­witz in sei­ner Zeit«, Zur Kriegs-und Kul­tur­ge­schich­te der Jah­re von 1780 bis 1831, Kö­nigs­hau­sen & Neu­mann, 2017, S. 41)

Pfuel war mit Ra­hel Le­vin und Varn­ha­gen be­kannt und hat­te so­mit Um­gang mit as­si­mi­lier­ten Ju­den in Ber­lin. Der Turn­be­we­gung Jahns wohl na­he­ste­hend, ent­wi­ckel­te er 1810/11 die ers­te Mi­li­tär­schwimm­schu­le welt­weit. In­wie­weit Pfuel je­doch den na­tio­na­len Ton der Turn­be­we­gung teil­te, der in den Bur­schaf­ten An­klang fand, wis­sen wir nicht. Das Lied »Tur­ners Glau­bens­be­kennt­nis« von Carl Fol­len (∗1797; 1840), ei­nem Weg­be­rei­ter der Bur­schen­schafts­be­we­gung, weist in der Schluss­stro­phe de­zi­diert auf ei­ne of­fen­sicht­li­che Ab­leh­nung der Ju­den hin.

»Wohl­auf, ihr Chris­ten, ihr Deut­schen, wohl­an, Du ehr­li­che, wehr­li­che Jugend«

Mög­li­cher­wei­se sind sich Clau­se­witz und Pfuel in der Zeit nach 1815 be­geg­net und hat­ten die Ge­le­gen­heit, mit­ein­an­der auch über die­se Fra­ge zu spre­chen. Pfuel wur­de am 25. Mai 1818 Chef des Ge­ne­ral­sta­bes des VIII. Ar­mee-Korps in Ko­blenz und in die­ser Stel­lung am 19. Sep­tem­ber 1818 zum Ge­ne­ral­ma­jor befördert.

Ernst von Pfuel
Quel­le: preußen-im-rheinland.de

Ernst Theo­dor Ama­de­us Hoff­mann (∗1776; †1822), Be­am­ter und Künst­ler, Mu­si­ker, Zeich­ner und Schrift­stel­ler, bes­ser be­kannt als E.T.A. Hoff­mann, wur­de 1819 in die »Im­me­di­at-Com­mis­si­on zur Er­mitt­lung hoch­ver­rä­te­ri­scher Ver­bin­dun­gen und an­de­rer ge­fähr­li­cher Um­trie­be« be­ru­fen. In die­ser Funk­ti­on, die er mo­de­rat ausführte,

»(…) Durch sei­ne auf­rich­ti­ge Ar­beit, die häu­fig An­ge­klag­te vor po­li­zei­li­cher Ver­fol­gung schütz­te, zog er den Un­mut des Ber­li­ner Po­li­zei­di­rek­tors auf sich. (…)«
(Vergl. etahoff​mann​.staats​bi​blio​thek​-ber​lin​.de/​B​i​o​g​r​a​p​hie),

cha­rak­te­ri­sier­te Hoff­mann die Turn­be­we­gung Jahns als Ideen­ge­ber der sich im­mer mehr ra­di­ka­li­sie­ren­den Bur­schen­schaf­ten. Hoff­mann spricht deut­lich von ei­ner Ra­di­ka­li­sie­rung der ex­tre­men Grup­pen der Burschenschaften.
(Vergl. E. T. A. Hoff­mann: Die gro­ßen Er­zäh­lun­gen und Ro­ma­ne, Klaus De­ter­ding, Kö­nig­hau­sen & Neu­mann, Bd 2, 2008 S. 74)

Die­se von Hoff­mann ge­nann­te Ra­di­ka­li­sie­rung führ­te ge­ra­de­wegs zur »Bü­cher­ver­bren­nung« 1817 auf der Wart­burg, zum Mord an Kot­ze­bue durch den Bur­schen­schaft­ler Sand und da­mit in letz­ter Kon­se­quenz zu den »Karls­ba­der Be­schlüs­sen« und der da­mit ver­bun­de­nen »Dem­ago­gen­ver­fol­gung«.

Treit­sch­ke be­zeich­ne­te die Bur­schen­schafts­be­we­gung als »das neue Teu­to­nen­tum« und wies auch ei­nen we­sent­li­chen Cha­rak­ter­zug aus.

»(…) Ei­nen we­sent­li­chen Cha­rak­ter­zug des neu­en Teu­to­nen­tums bil­de­te der ein­ge­fleisch­te Ju­den­haß. Da die ge­wal­ti­ge Er­re­gung des Be­frei­ungs­krie­ges al­le Ge­heim­nis­se des deut­schen Ge­müts an den Tag brach­te, so ward in der all­ge­mei­nen Gä­rung auch der al­te Wi­der­wil­le ge­gen das ori­en­ta­li­sche We­sen wie­der laut. Von Lu­ther an bis her­ab auf Goe­the, Her­der, Kant und Fich­te wa­ren fast al­le gro­ßen ger­ma­ni­schen Den­ker in die­ser Emp­fin­dung ei­nig, Les­sing stand ganz ver­ein­zelt mit sei­ner Vor­lie­be für die Juden. (…)«
(Vergl. »Treit­sch­ke Deut­sche Ge­schich­te im 19. Jahr­hun­dert«, Bd. 2, Al­fred Krö­mer Ver­lag – Leip­zig, 1934, S. 244 bis 245)

Zu Fich­te und Les­sing führ­ten wir wei­ter oben schon aus. Goe­thes Sicht, die Ju­den be­tref­fend, wer­den wir hier spä­ter noch kurz darstellen.

Zwar hat­te Clau­se­witz, wie wei­ter oben be­reits ge­schil­dert, die zwei »Ex­tra­va­gan­zen«, wie das  »Stu­den­ten­fest auf der Wart­burg 1817« und »Kot­ze­bues Er­mor­dung 1819«, die Lärm in Deutsch­land und in Eu­ro­pa schlu­gen, ge­nannt, ging je­doch in den »Um­trie­ben« nicht wei­ter de­zi­diert dar­auf ein. Aber Clau­se­witz, ge­wohnt, dia­lek­tisch zu den­ken, er­kennt Ur­sa­chen und de­ren Wir­kun­gen im Zu­sam­men­hang die­ser ge­sell­schaft­li­chen be­mer­kens­wer­ten Er­schei­nun­gen. Und bemerkt:

»(…) Nun fin­gen die Re­gie­run­gen an, ge­gen die­se Ju­gend ei­ne feind­se­li­ge Stel­lung ein­zu­neh­men, und es ent­stan­den in­qui­si­to­ri­sche Un­ter­su­chun­gen, bei wel­chen sie auf man­ches Ge­we­be von Bur­schen­schaf­ten und ge­hei­men Ver­bin­dun­gen stießen. (…)«

Wir hat­ten wei­ter oben be­reits dar­auf mehr­fach verwiesen.
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz Po­li­ti­sche Schrif­ten und Brie­fe«, »Um­trie­be« (1819 bis 1823), Roth­fels, Drei Mas­ken Ver­lag, 1922, S. 178)

Als ge­wich­ti­gen Grund nennt Clau­se­witz die Pro­ble­ma­tik der Ver­fas­sun­gen für die deut­schen Län­der, de­ren schlep­pen­de oder teil­wei­se völ­lig feh­len­de Ein­füh­rung Un­mut vor al­lem in der aka­de­mi­schen Ju­gend her­vor­rief. Hier führt Clau­se­witz vor al­lem Preu­ßen an:

»(…) Als im Jahr 1815 und 1816 noch nichts ge­sche­hen war, fing man an, sich sehr zu ver­wun­dern; man sah, daß der Kö­nig ei­nen Wi­der­wil­len und der Fürst Har­den­berg ei­ne Scheu hat­te, an die Er­fül­lung des Ver­spre­chens zu gehen. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz Po­li­ti­sche Schrif­ten und Brie­fe«, »Um­trie­be« (1819 bis 1823), Roth­fels, Drei Mas­ken Ver­lag, 1922, S. 178)

Be­reits im Früh­jahr 1815 lag ein Edikt Fried­rich Wil­helm III. zum har­den­berg­schen Ent­wurf für die Er­ar­bei­tung ei­ner Ver­fas­sung vor. In dem je­doch die Be­fug­nis­se der Lan­des­re­prä­sen­tan­ten nicht klar for­mu­liert wur­den. Das Edikt wur­de auf Grund der in­nen­po­li­ti­schen Span­nun­gen – vor al­lem durch das er­neu­te Er­star­ken der Adels­par­tei – nicht ver­wirk­licht. Der Ein­fluss der Po­li­tik Met­ter­nichs wirk­te sich auch hier aus. Es brauch­te erst die Re­vo­lu­ti­on von 1848, ehe Preu­ßen ei­ne Ver­fas­sung erhielt.

»(…) Ver­ord­nung über die zu bil­den­den Re­prä­sen­ta­ti­on des Vol­kes vom 22. Mai 1815
Wir Fried­rich Wil­helm, von Got­tes Gna­den, Kö­nig von Preußen
Durch Un­se­re Ver­ord­nung vom 30sten v. M. ha­ben Wir für Un­se­re Mon­ar­chie ei­ne re­gel­mä­ßi­ge Ver­wal­tung, mit Be­rück­sich­ti­gung der frü­hern Pro­vin­zi­al­ver­hält­nis­se, angeordnet.

Die Ge­schich­te des Preu­ßi­schen Staats zeigt zwar, daß der wohlt­hä­ti­ge Zu­stand bür­ger­li­cher Frei­heit und die Dau­er ei­ner ge­rech­ten, auf Ord­nung ge­grün­de­ten Ver­wal­tung in den Ei­gen­schaf­ten der Re­gen­ten und in ih­rer Ein­tracht mit dem Vol­ke bis­her die­je­ni­ge Si­cher­heit fan­den, die sich bei der Un­voll­kom­men­heit und dem Un­be­stan­de mensch­li­cher Ein­rich­tun­gen er­rei­chen läßt.

Da­mit sie je­doch des­to fes­ter be­grün­det, der Preu­ßi­schen Na­ti­on ein Pfand Un­sers Ver­trau­ens ge­ge­ben und der Nach­kom­men­schaft die Grund­sät­ze, nach wel­chen Un­se­re Vor­fah­ren und Wir selbst die Re­gie­rung Un­sers Reichs mit ernst­li­cher Vor­sor­ge für das Glück Un­se­rer Un­tertha­nen ge­führt ha­ben, treu über­lie­fert und ver­mit­telst ei­ner schrift­li­chen Ur­kun­de, als Ver­fas­sung des Preu­ßi­schen Reichs, dau­er­haft be­wahrt wer­den, ha­ben Wir Nach­ste­hen­des beschlossen:

  • . 1. Es soll ei­ne Re­prä­sen­ta­ti­on des Volks ge­bil­det werden.
  • . 2. Zu die­sem Zwe­cke sind:
  1. a) die Pro­vin­zi­al­stän­de da, wo sie mit mehr oder min­der Wirk­sam­keit noch vor­han­den sind, her­zu­stel­len, und dem Be­dürf­nis­se der Zeit ge­mäß einzurichten;
  2. b) wo ge­gen­wär­tig kei­ne Pro­vin­zi­al­stän­de vor­han­den, sind sie anzuordnen.
  • . 3. Aus den Pro­vin­zi­al­stän­den wird die Ver­samm­lung der Lan­des-Re­prä­sen­tan­ten ge­wählt, die in Ber­lin ih­ren Sitz ha­ben soll.
  • . 4. Die Wirk­sam­keit der Lan­des-Re­prä­sen­tan­ten er­streckt sich auf die Be­ra­t­hung über al­le Ge­gen­stän­de der Ge­setz­ge­bung, wel­che die per­sön­li­chen und Ei­genth­ums­rech­te der Staats­bür­ger, mit Ein­schluß der Be­steue­rung, betreffen.
  • . 5. Es ist oh­ne Zeit­ver­lust ei­ne Kom­mis­si­on in Ber­lin nie­der­zu­set­zen, die aus ein­sichts­vol­len Staats­be­am­ten und Ein­ge­ses­se­nen der Pro­vin­zen be­stehen soll.
  • . 6. Die­se Kom­mis­si­on soll sich beschäftigen:
  1. a) mit der Or­ga­ni­sa­ti­on der Provinzialstände;
  2. b) mit der Or­ga­ni­sa­ti­on der Landes-Repräsentanten;
  3. c) mit der Aus­ar­bei­tung ei­ner Ver­fas­sungs-Ur­kun­de nach den auf­ge­stell­ten Grundsätzen.
  • . 7. Sie soll am 1. Sep­tem­ber die­ses Jah­res zusammentreten.
  • . 8. Un­ser Staats­kanz­ler ist mit der Voll­zie­hung die­ser Ver­ord­nung be­auf­tragt und hat Uns die Ar­bei­ten der Kom­mis­si­on dem­nächst vorzulegen.

Er er­nennt die Mit­glie­der der­sel­ben und führt dar­in den Vor­sitz, ist aber be­fugt, in Ver­hin­de­rungs­fäl­len ei­nen Stell­ver­tre­ter für sich zu be­stel­len. (…)«
(Quel­le: GHDI- Do­cu­ment , Preu­ßi­sche Ge­setz-Samm­lung 1815, S. 103)

Das Zö­gern des Kö­nigs und Har­den­bergs, das Ver­spre­chen nach ei­ner Ver­fas­sung ein­zu­lö­sen, emp­fand Clau­se­witz als »sehr na­tür­lich«, wie er das in den »Um­trie­ben« dar­stell­te. Sein Ver­ständ­nis ge­gen­über der deut­schen Ju­gend in die­ser Fra­ge hielt sich je­doch in Grenzen.

»(…) aber die deut­sche Ju­gend und ih­re An­füh­rer un­ter den Ge­lehr­ten fan­den es doch un­er­hört, sa­hen es wie ein Ver­bre­chen ge­gen das Volk an, dem sie oh­ne wei­te­res ih­re Ge­füh­le liehen. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz Po­li­ti­sche Schrif­ten und Brie­fe«, »Um­trie­be« (1819 bis 1823), Roth­fels, Drei Mas­ken Ver­lag, 1922, S. 178)

Bei der Be­ur­tei­lung die­ser ge­sell­schafts­po­li­ti­schen La­ge nach 1815 bis in das Jahr 1817/18 nimmt Clau­se­witz die Rol­le des Be­ob­ach­ters ein, oh­ne sich zu ei­ner kla­ren po­li­ti­schen Wer­tung und ei­ge­ner Ver­or­tung hin­rei­ßen zu las­sen. Le­dig­lich sei­ne In­ten­ti­on, den Li­be­ra­lis­mus be­tref­fend, so wie wir es im Ge­gen­satz bei Har­den­berg und Hum­boldt be­ob­ach­ten kön­nen, schim­mert hier – als kö­nigs­treu­er Sol­dat – hin­durch. Be­müht, sich nicht noch mehr Groll des Mon­ar­chen her­an­zu­zie­hen, for­mu­liert er:

»(…) So wuchs die Zahl der mit Preu­ßen Un­zu­frie­de­nen in Deutsch­land und in Preu­ßen selbst; die ge­hei­men Ver­bin­dun­gen für un­be­stimm­te Zwe­cke, für ein bes­se­res po­li­ti­sches Da­sein ver­schärf­te sich nun ge­ra­de in Preu­ßen. Der grö­ße­re Staat, die frei­sin­ni­ge Ad­mi­nis­tra­ti­on, die Leich­tig­keit für Frem­de, hier ein Un­ter­kom­men zu fin­den, die An­we­sen­heit vie­ler Ge­lehr­ter und Phi­lo­so­phen – hat­ten Preu­ßen in Deutsch­land vor­zugs­wei­se zum Tum­mel­platz die­ser Um­trie­be gemacht. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz Po­li­ti­sche Schrif­ten und Brie­fe«, »Um­trie­be« (1819 bis 1823), Roth­fels, Drei Mas­ken Ver­lag, 1922, S. 178)

Fragt man sich nun, so Clau­se­witz wei­ter, was es au­ßer den il­lu­so­ri­schen Ideen von po­li­ti­scher Ein­heit Deutsch­lands und ei­ner deut­schen Re­pu­blik für Grün­de gä­be, sich auf­zu­leh­nen, so kommt er zu dem Schluss, – den preus­si­schen Staat be­ur­tei­lend – dass sol­che sub­stan­ti­ell nicht vor­lie­gen wür­den. Mit dem nach­fol­gen­den Ver­weis auf Gör­res »Deutsch­land und die Re­vo­lu­ti­on«, des­sen Schrift Clau­se­witz die Ver­ant­wor­tung für »die­ses gan­ze Un­we­sen« zu­weist, en­det hier die De­bat­te, die Ver­fas­sung betreffend.

Auf die Fra­ge der »Ein­heit Deutsch­lands« geht Clau­se­witz je­doch ziem­lich deut­lich mit ei­ner his­to­ri­schen Vor­ah­nung ein. In den hier schon mehr­fach an­ge­führ­ten »Um­trie­ben« rich­tet der Ge­ne­ral nach­wir­kend sei­nen Blick auf die Zeit nach 1815 un­mit­tel­bar und formuliert:

»(…) Wenn man ei­nen Blick auf die Ge­schich­te und den Zu­stand Deutsch­lands wirft, so ist es voll­kom­men lä­cher­lich, im Jahr 1815 ur­plötz­lich an ei­ne wirk­li­che Ein­heit Deutsch­lands zu denken. (…)«

Nach­fol­gend räumt er der Ju­gend all­ge­mein Ver­ständ­nis ein und übt har­sche Kri­tik am Wie­ner Kon­gress. Clau­se­witz be­trach­te­te die Er­geb­nis­se des Kon­gres­ses als ei­nen zu­sam­men­ge­brau­ten Sau­er­teig, der ir­gend­wie sei­nen Aus­gang su­chen muss­te. Mit dem da­ma­li­gen Stand sei­ner Er­kennt­nis­se kommt er zu fol­gen­dem Schluss:

»(…) Deutsch­land kann nur auf ei­nem We­ge zur po­li­ti­schen Ein­heit ge­lan­gen; die­ser ist das Schwert, wenn ei­ner sei­ner Staa­ten al­le an­de­ren un­ter­jocht. Für ei­ne sol­che Un­ter­wer­fung ist die Zeit nicht ge­kom­men, und wenn es je da­zu kom­men soll­te, so lässt sich jetzt noch nicht ein­mal vor­her­se­hen, wel­cher der deut­schen Staa­ten der Herr der üb­ri­gen wer­den wird. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz Po­li­ti­sche Schrif­ten und Brie­fe«, »Um­trie­be« (1819 bis 1823), Roth­fels, Drei Mas­ken Ver­lag, 1922, S. 170 bis 171)

Clau­se­witz be­weist hier als Sol­dat und Phi­lo­soph ei­ne be­mer­kens­wer­te In­tui­ti­on, die sich mit den Ei­ni­gungs­krie­gen, zwi­schen 1864 und 1871 durch Preu­ßen ge­führt, ver­wirk­li­chen soll­te. Am En­de ent­steht ein Na­tio­nal­staat — in Ver­sailles wird das Deut­sche Kai­ser­reich ge­grün­det. Der Nef­fe von Clau­se­witz, Fried­rich Karl Wil­helm Hein­rich von Clau­se­witz (∗1807; †1866), nahm als preu­ßi­scher Ge­ne­ral an der Kam­pa­gne 1866 ge­gen Ös­ter­reich teil und er­lag am 31. Ju­li 1866 wie sein On­kel im Jahr 1831 im Dienst der Cho­le­ra. Sein Grab fin­den wir heu­te im tsche­chi­schen Čejč.

Das Grab Fried­rich Clausewitz´
Quel­le: Wikipedia

Ein wei­te­rer Clau­se­witz, der kö­nig­lich preu­ßi­scher Leut­nant Karl von Clau­se­witz (∗1836; †1870), En­kel von Ge­ne­ral­leut­nant Wil­helm Be­ne­dikt von Clau­se­witz, ver­starb am 8. Au­gust 1870 in Pa­ris, mög­li­cher­wei­se an den Fol­gen sei­nes Ein­sat­zes im Krieg ge­gen Frankreich.

Fort­set­zung Teil XVI

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