Teil XIII


Der 2. Pari­ser Frie­den mit dem
Definitiv-​Tractat, am 20. Novem­ber 1815 zwi­schen dem Kai­ser von Öster­reich und sei­nen Alli­ier­ten, dem Zaren von Russ­land, dem König von Preu­ßen und dem König von Frank­reich abge­schlos­sen, setz­te den end­gül­ti­gen Schluss­punkt hin­ter die sechs euro­päi­schen Koali­ti­ons­krie­ge von 1792 bis 1815. Mit dem sechs­ten Krieg ende­ten für Preu­ßen die opfer­rei­chen Befrei­ungs­krie­ge von 1813 bis 1815. Damit wur­de auch der Schluss­punkt hin­ter dem 1. Pari­ser Frie­den vom 30. Mai 1814 gesetzt, an dem noch Eng­land betei­ligt war. Die Rati­fi­zie­rung des Definitiv-​Tractats lag den Mon­ar­chen am 16. Febru­ar 1816 vor.

Noch vor dem 2. Pari­ser Frie­den unter­zeich­ne­ten Fried­rich Wil­helm III., der öster­rei­chi­sche Kai­ser und der rus­si­sche Zar am 26. Sep­tem­ber 1815 die Grün­dungs­er­klä­rung der »Hei­li­gen Alli­anz«. Damit wur­de für eine län­ge­re Zeit in Mit­tel­eu­ro­pa Frie­den gewährleistet.

Die aus den Krie­gen von 1813/​14/​15 heim­keh­ren­den jüdi­schen Frei­wil­li­gen und kon­skri­bier­ten jüdi­schen Män­ner Preu­ßens kamen zurück mit der Hoff­nung, dass König und Staat Wort hal­ten wür­den. Ver­spro­chen wardie Frei­heit des Bür­gers und eine Ver­fas­sung. Der öster­rei­chi­sche Staats­recht­ler Georg Jel­li­nek(1851 bis 1911) defi­nier­te den Begriff »Staats­ver­fas­sung« so:

»(…) Jeder dau­ern­de Ver­band bedarf einer Ord­nung, der gemäß sein Wil­le gebil­det und voll­zo­gen, sein Bereich abge­grenzt, die Stel­lung sei­ner Mit­glie­der in ihm und zu ihm gere­gelt wird. Eine der­ar­ti­ge Ord­nung heißt eine Verfassung. (…)«
(Vergl. All­ge­mei­ne Staats­leh­re, G. Jel­li­nek: Erkl. der Menschen- und Bür­ger­rech­te; der­sel­be: Das Recht der Mino­ri­tä­ten 1898 S. 7 ff.)

Aus­gangs­punkt hät­te die Fran­zö­si­sche Ver­fas­sung von 1793 sein können.

Nach dem Wie­ner Kon­gress von 1815 konn­te Fürst von Har­den­berg(*1750; †1822) dem König von Preu­ßen die Zustim­mung für eine Ver­fas­sung abrin­gen, nach­dem er die­se Idee schon 1810 vor­ge­tra­gen hat­te. Am 22. Mai 1815 erließ dar­auf­hin F. W. III. end­lich die »Ver­ord­nung über die zu bil­den­de Reprä­sen­ta­ti­on des Vol­kes«, die jedoch nicht wirk­sam wur­de. Auch ein wei­te­rer Ver­such Har­den­bergs im Janu­ar 1820 scheiterte.
(Vergl. Hans-​Werner Hahn/​Helmut Ber­ding, Refor­men, Restau­ra­ti­on und Revo­lu­ti­on, S. 142)

Fürst Karl August von Har­den­berg (∗1750; †1822) Quel­le: Wikipedia

Der im Zuge des Wie­ner Kon­gres­ses am 8. Juni 1815 mit der Urkun­de »Deut­sche Bun­des­ak­te« gegrün­de­te und von 38 Mit­glie­der­staa­ten unter­zeich­ne­te Deut­sche Bund hat­te mit der Bil­dung eines Bun­des­hee­res unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf das Leben Carl von Clau­se­witz‘ nach den Frei­heits­krie­gen. Preu­ßen stell­te für den Bestand des Bun­des­hee­res mit zehn Armee­korps, drei Korps mit rund 79.234 Mann zur Verfügung.
(Vergl.https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Das-Deutsche-Militaerwesen-1-Vor-1867/das-deutsche-militaerwesen-vor-1867.html)

Hier tref­fen wir auch wie­der auf unse­ren Carl, der am 3. Okto­ber 1815 auf Drän­gen Gnei­sen­aus zum Gene­ral­stabs­chef beim neu gebil­de­ten Korps beru­fen wurde.
(Vergl. »Denk­wür­dig­kei­ten des Gene­rals … Albrecht von Stosch«, 1904, S. 25)

Der Deut­sche Bund 1815 bis 1866 (Quel­le Wikipedia)

Abseits der gro­ßen Poli­tik hoff­ten die jüdi­schen Bür­ger Preu­ßens auf Fort­set­zung und Kon­so­li­die­rung der preu­ßi­schen Poli­tik, die Eman­zi­pa­ti­on betref­fend. In der ers­ten deutsch­spra­chi­gen jüdi­schen Zei­tung »Sula­mith«(Eine Zeit­schrift zur Beför­de­rung der Kul­tur und Huma­ni­tät unter den Israe­li­ten.) war 1815 zu lesen:

»(…) Nach­dem aber über­all in Deutsch­land die Israe­li­ten an der Vert­hei­di­gung des Vater­lan­des den pflicht­ge­mä­ßi­gen Ant­heil genom­men, und sich mit den Waf­fen in der Hand als Bür­ger bewährt haben, so sind sie eben dadurch auch zu Bür­gern wirk­lich gewor­den, und wür­de es unbil­lig, ja unge­recht sein, sie von den Rech­ten der Bür­ger noch län­ger abschlie­ßen zu wollen. (…)«
(Vergl. »Eiser­nes Kreuz und David­stern« Die Geschich­te Jüdi­scher Sol­da­ten in Deut­schen Armeen, tra­fo, 2006, S. 68)

Ein Bei­spiel der roman­ti­schen Eupho­rie für das Bestre­ben jüdi­scher Bür­ger lie­fer­te der deut­sche Schrift­stel­ler und Pre­di­ger Karl Sieg­fried Güns­burg(*1784; †1860) zusam­men mit dem deut­schen Pre­di­ger Edu­ard Isra­el Kley(*1789; †1867), einem Anhän­ger des Reform­ju­den­tums. Sie ver­öf­fent­lich­ten in der preu­ßi­schen Haupt­stadt einen »Ruf zu den Fah­nen«:

»(…) O himm­li­sches Gefühl! ein Vater­land zu besit­zen! O ent­zü­cken­der Gedan­ke! einen Ort, eine Stel­le, einen Win­kel auf dem schö­nen Erden­run­de sein nen­nen zu dür­fen … Dort auf dem Fel­de der Ehre, wo alle Her­zen von Einem Geis­te nur beseelt sind, wo alle für ein ein­zig Ziel nur wir­ken: dort sieht man auch die Schei­de­wand der Vor­ur­tei­le gänz­lich nie­der­sin­ken, ihr wer­det Hand in Hand mit euren Kriegs­ge­fähr­ten das gro­ße Werk voll­enden, sie wer­den euch den Bruder-​Namen nicht ver­sa­gen, denn ihr wer­det ihn verdienen. (…)«
(Vergl. »Von Moses Men­dels­soh zu Leo­pold Zunz« … , Ver­lag C. H. Beck Mün­chen, 1994, S. 160)

In der Rea­li­tät der Zeit sehen wir jedoch den Ver­such, die bis dahin erreich­ten Lini­en zurück­zu­ste­cken. Dabei wer­den eine Rei­he in den Refor­men zuge­si­cher­ten Rech­te nach 1815 schritt­wei­se wie­der auf­ge­ho­ben. Die Vor­ur­tei­le, von denen im »Ruf zu den Fah­nen« zu lesen sind, sind die jahr­hun­der­te­al­ten Kli­schees und Ver­schwö­rungs­theo­rien, die nach 1815 in Preu­ßen wie­der her­vor­bre­chen. Der tra­di­tio­nel­le Anti­ju­da­is­mus in sei­nen drei Bestand­tei­len der Juden­feind­schaftder reli­giö­sen, der öko­no­mi­schen und der ras­sis­ti­schen (wir ver­wie­sen wei­ter oben in unse­rer Betrach­tung bereits dar­auf) – leb­te nach 1815 erneut auf. Im wei­te­ren Ver­lauf unse­rer Betrach­tung wer­den wir dar­auf zurückkommen.

Unter den Juden Preu­ßens, die in »patrio­ti­scher Hoch­stim­mung«“ schwelg­ten, gab es sehr weni­ge Men­schen, die in der Lage waren, ratio­nal vor­aus­zu­schau­en. Einer davon war der Des­sau­er Päd­ago­ge und Ver­le­ger hebräi­scher Bücher Moses Phil­ipp­son(*1775; †1814). Nach Aus­kunft sei­nes Soh­nes und von Bio­gra­phen erwähnt sag­te er bereits 1813:

»(…) Als Israe­lit muß ich beken­nen, daß ich für die Gleich­stel­lung mei­ner Glau­bens­ge­nos­sen­schaft nach dem Sturz Napo­le­ons wenig erwar­te, man wird sie wie­der in die alten Fes­seln schla­gen, die doch nur in einem klei­nen Thei­le Deutsch­lands gebro­chen und gelüf­tet sind. (…)«
(Vergl. Phil­ipp­son, Bio­gra­phi­sche Skiz­zen. B.I, S. 117)

An die­ser Stel­le eini­ge Wor­te zur außer­ge­wöhn­li­chen jüdi­schen Fami­lie Phil­ipp­son, mit ihren Mag­de­bur­gi­schen Wur­zeln. Die pro­phe­ti­schen Wor­te Moses Phil­ipp­sons soll­ten sich in der preußisch-​deutschen Geschich­te vom »Vor­ur­teil bis zur phy­si­schen Ver­nich­tung« (Jakob Katz) durch die bit­te­re Wahr­heit des Holo­caust bestä­ti­gen.

Jener Moses Phil­ipp­son war der Vater des Dr. Lud­wig Phil­ipp­son(*1811; †1889), ers­ter Rab­bi­ner der Syn­ago­gen­ge­mein­de zu Mag­de­burg. Des­sen Sohn wie­der­um, der Prof. Dr. Mar­tin Phil­ipp­son, publi­zier­te die hier wei­ter oben bereits mehr­fach ange­führ­te Schrift »Die jüdi­schen Frei­wil­li­gen im preu­ßi­schen Hee­re wäh­rend der Befrei­ungs­krie­ge 1813/​1814«.

Aus der weit­ver­zweig­ten Fami­lie Phil­ipp­son kämpf­ten jun­ge Män­ner in den Schlach­ten bei Königs­grätz 1866, 1870 bei Sedan & St. Pri­vat La Mon­tagne sowie bei der Ein­schlie­ßung von Paris. Im WK I ver­lor ein Ernst Phil­ipp­son sein Leben 1917 vor Lens. Ein Juli­us Phil­ipp­son war Trä­ger des »Eiser­nen Kreu­zes I. Klas­se«. An Ernst Phil­ipp­son erin­nert ein Ehren­mal auf dem jüdi­schen Fried­hof in Magdeburg-​Sudenburg, wo sein Name mit wei­te­ren 44 geblie­be­nen jüdi­schen Män­ner ver­ewigt ist. Der Trä­ger des EK I im 1. Welt­krieg, Juli­us Phil­ipp­son, wur­de spä­ter im Jahr 1943 in Ausch­witz ermor­det, nach­dem er sich in den Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­bracht hatte.

An die Mag­de­bur­ger Fami­lie Phil­ipp­son erin­nern heu­te – neben dem Ehren­mal auf dem jüdi­schen Fried­hof – das Mahn­mal für die ermor­de­ten Mag­de­bur­ger Wider­stands­kämp­fer gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus im Steu­ben­park zu Mag­de­burg und drei »Stol­per­stei­ne« in der Oststraße/​Ecke Ling­ner­stra­ße, dem ehe­ma­li­gen Wohn­haus der Philippsons.
(Vergl. »Jüdi­sche Sol­da­ten Mag­de­burgs«, Regio­nal­ge­schicht­li­che Aspek­te des Ers­ten Welt­krie­ges“, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 2018, S.15/ 23/​71 bis 76)

Ehren­mal auf dem jüdi­schen Fried­hof (Ernst Phil­ipp­son) Quel­le: Autor

Zurück aber in das Jahr 1815. Carl von Clau­se­witz dien­te drei Jah­re von 1815 bis 1818 als Gene­ral­stabs­chef in Koblenz. Poli­tisch gese­hen geht die ers­te Pha­se der Exis­tenz des Deut­schen Bun­des von 1815 bis 1848 als »Vor­märz« oder »Restau­ra­ti­on« in die Geschich­te ein. Der Bund wird 1866 nach dem Krieg zwi­schen Preu­ßen und Öster­reich auf­ge­löst wer­den. Die Bun­des­ver­samm­lung ver­ein­te for­mal Öster­reich, Preu­ßen, Bay­ern, Würt­tem­berg, Han­no­ver, Sach­sen, vier freie Städ­te: Ham­burg, Bre­men, Lübeck, Frank­furt am Main sowie klei­ne­re Fürsten- und Herzogtümer.

In allen der anfangs 39, spä­ter 35 Staa­ten beweg­te die Fra­ge der Eman­zi­pa­ti­on der Juden sowohl Herr­schen­de als auch Bür­ger der Staa­ten. Die ver­gan­ge­nen Jah­re seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on von 1789 bis 1815 haben Euro­pa und vor allem Preu­ßen ver­än­dert. Jedoch zeich­ne­te sich sehr schnell ab, dass die­ser Ver­bund dazu die­nen soll­te, die Zeit um ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert zurück­zu­dre­hen. Träu­me von Frei­heit, Mit­be­stim­mung, Ver­fas­sung und Eman­zi­pa­ti­on der Bür­ger und damit auch der Juden gin­gen in den »Karls­ba­der Beschlüs­sen« und der damit ver­bun­de­nen »Dem­ago­gen­ver­fol­gung« lang­sam unter.

An Carl von Clau­se­witz wird die­se Ent­wick­lung sicher­lich nicht unbe­merkt vor­bei­ge­gan­gen sein. Ent­spre­chend sei­ner Art wird er sei­ne Dienst­pflich­ten als Chef des Sta­bes umsich­tig und gründ­lich erfüllt haben, so wie das in den Kriegs­jah­ren bei ihm zu beob­ach­ten war. Was nun sei­ne poli­ti­sche Beob­ach­tungs­ga­be betraf, schreibt Ulrich Marwedel:

»(…) Die ihm Nahe­ste­hen­den bestä­tig­ten ihm eine aus­ge­präg­te Gabe für das kla­re Erfas­sen poli­ti­scher Zusam­men­hän­ge und eine unwan­del­ba­re, auch vor per­sön­li­chen Opfern nicht zurück­schre­cken­de Treue gegen­über den ein­mal für rich­tig erkann­ten Anschau­un­gen, wäh­rend er den kon­ser­va­ti­ven Krei­sen gera­de des­we­gen ver­däch­tig erschien. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz. Per­sön­lich­keit und Wir­kungs­ge­schich­te sei­nes Wer­kes bis 1918«, U. Mar­we­del, zitiert nach Zwen­gel, H. Boldt Ver­lag, 1978, S. 209)

Zeit und Muse, sich eine umfas­sen­de Mei­nung zu bil­den, hat­te Clau­se­witz in der Koblen­zer Zeit wohl genug, wenn wir den Quel­len Ver­trau­en schen­ken wol­len. Nahe­zu alle His­to­ri­ker, die sich mit Clau­se­witz befasst haben oder das gegen­wär­tig noch tun, sind sich in Einem einig. Die­se drei Jah­re im mode­ra­ten und kli­ma­freund­li­chen Rhein­land gehör­ten trotz alter und neu­er poli­ti­scher und per­sön­li­cher Pro­ble­me wahr­schein­lich zu den bes­ten sei­nes Lebens. Umge­ben von einem Kreis geschätz­ter Offi­zie­re, Beam­ten und auch Ver­stan­des­men­schen wie den roman­ti­schen Dich­ter Max von Schen­ken­dorf(*1783; †1817).

Schen­ken­dorf, teil­neh­men­der Beob­ach­ter (Schen­ken­dorf war dienst­un­taug­lich) der Befrei­ungs­krie­ge und nun Regie­rungs­rat in Koblenz, mit der Mili­tär­ver­wal­tung betraut, war Ver­trau­ter von Marie und Carl von Clau­se­witz. Sei­ne Lie­der und Gedich­te dürf­ten bei Carl Spu­ren in sei­ner Ver­stan­des­tä­tig­keit hin­ter­las­sen haben. Der viel zu früh, schon am 17. Dezem­ber 1817 ver­stor­be­ne Frei­heits­dich­ter stell­te die Frage:

Frei­heit, die ich meine
Die mein Herz erfüllt
Komm mit dei­nem Scheine
Süßes Engels­bild!
Magst du dich nie zeigen
Der bedräng­ten Welt?
Füh­rest dei­nen Reigen
Nur am Sternenzelt?

Die­ses Lied, spä­ter ver­tont durch Karl August Gross, im Ergeb­nis der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig 1813 ent­stan­den, schien nach dem Erst­druck 1815 bereits das Miss­trau­en gegen­über der Poli­tik Met­ter­nichs aus­zu­drü­cken. Womög­lich hat­te Clau­se­witz die Fra­ge nach der Frei­heit im Rah­men sei­ner Staats­auf­fas­sung geteilt.
Max von Schen­ken­dorf* Quelle:Wikipedia

*Ein Nach­fah­re des Dich­ters, Max Hein­rich Moritz Albert von Schen­cken­dorff(*1875; †1943), in WK II, Gene­ral der Infan­te­rie, war als Befehls­ha­ber Rück. der Hee­res­grup­pe Mit­te 1942 bis 1943 in Hand­lun­gen zur Ver­nich­tung von Juden schuld­haft verwickelt.

Neben Schen­ken­dorf wol­len wir hier noch Joseph Gör­res(*1776; †1848) , den Gelehr­ten und Publi­zis­ten erwäh­nen, der unter dem Titel »Teutsch­land und die Revo­lu­ti­on« (1809) eine in glü­hen­der Spra­che gehal­te­ne Kampf­schrift gegen den Poli­zei­staat ver­öf­fent­lich­te. Für Gör­res waren Staat, Reli­gi­on und Mon­ar­chie bei Bewah­rung der geis­ti­gen und poli­ti­schen Frei­heit des Ein­zel­nen von fun­da­men­ta­ler Bedeu­tung. Die­se Sicht wur­de wohl auch von Clau­se­witz min­des­tens zur Kennt­nis genom­men. Gör­res droh­te 1819 an die­ser Stel­le die Hand des Preu­ßen­kö­nigs, der ihn dafür nach Span­dau brin­gen wollte.
(Vergl. Wil­helm Schell­berg, Joseph von Gör­res, Köln 1926, Gilde-​Verlag, Sei­te 101) 

Schon im Jahr 1814 nach dem 1. Pari­ser Frie­den schrieb Gör­res im »Rhei­ni­schen Mer­kur» folgendes:

»(…) Nur indem man dem Vol­ke sei­nen bil­li­gen Teil an sei­ner Regie­rung gestat­tet, kann ihm auch allein jene leben­di­ge Teil­nah­me an dem all­ge­mei­nem Woh­le ange­mu­tet wer­den, die zum fer­ne­ren Bestan­de schlech­ter­dings erfor­dert wird. (…)«
(Vergl. Frei­herr von und zum Stein, G. Schmidt, Ber­lin 1955, S. 460)

Gegen­über den libe­ra­len und auch »revo­lu­tio­nä­ren« Prot­ago­nis­ten der clau­se­witz­schen Zeit in Koblenz war der gele­gent­li­che Kon­takt zum Frei­her­ren von und zum Stein, der sich unweit Koblenz 1814 in Cap­pen­berg (bei Lünen) nie­der­ge­las­sen hat­te und öfter in Nas­sau weil­te, bemerkenswert.
(Vergl. »Clau­se­witz und der Staat«, Peter Paret, Dümm­ler, 1993, S. 319)Stein war feder­füh­rend für die Ein­füh­rung einer Ver­fas­sung im Her­zog­tum Nas­sau tätig. Nas­sau war somit 1814 einer der ers­ten Staa­ten im Bund, der über eine Kon­sti­tu­ti­on ver­füg­te. Sicher waren in den Gesprä­chen zwi­schen Stein, Clau­se­witz und Gnei­se­nau Fra­gen einer Ver­fas­sung all­ge­mein und beson­ders für Preu­ßen von eini­ger Wich­tig­keit. Hans Del­brücks Schil­de­rung mög­li­cher Gedan­ken Gnei­sen­aus – die­se Fra­ge betref­fend – müs­sen auch für Clau­se­witz wegen sei­ner per­sön­li­chen Nähe zu sei­nem Vor­ge­setz­ten von Bedeu­tung gewe­sen sein.»(…) Ganz ent­spre­chend sei­ner Par­tei­nah­me in der preu­ßi­schen Ver­fas­sungs­an­ge­le­gen­heit zeigt sich Gnei­sen­aus Cha­rak­ter in der Fra­ge der deut­schen Ein­heit. […] Wäh­rend Stein und Har­den­berg noch fer­ner such­ten, das Unmög­li­che mög­lich zu machen, schrieb Gnei­se­nau die­sen schon im Jah­re 1814, daß er eine gut deut­sche Kon­sti­tu­ti­on zu ent­wer­fen für eine Unmög­lich­keit hal­te; Bay­ern und Würt­em­berg wür­den sich nicht fügen. Man müs­se sich daher dar­auf beschrän­ken, für Preu­ßen zu sor­gen, das sie am nächs­ten ange­he. Preu­ßen aber, dem sein Kriegs­ruhm schon in ganz Deutsch­land Stim­men ver­schaff­te, müs­se in Zukunft so gestal­tet wer­den, daß die übri­gen Deut­schen […] sel­ber den Anschluß an die­sen Staat wünsch­ten. Das bes­te Mit­tel dazu sei eine gute Kon­sti­tu­ti­on. (…)«(Vergl. »Das Leben des Feld­mar­schalls Gra­fen Neid­hardt von Gnei­se­nau«, in zwei Bd., Hans Del­brück, Ver­lag G. Stil­ke, 1908, S. 350 bis 351)In die­sen Fra­gen dürf­ten zwi­schen Stein und Clau­se­witz ange­reg­te Gesprä­che statt­ge­fun­den haben. Wie wird es aber in der Fra­ge der Eman­zi­pa­ti­on der jüdi­schen Bür­ger Preu­ßens einer­seits und der in den ande­ren deut­schen Staa­ten aus­ge­se­hen haben?
Hein­rich Fried­rich Karl Reichs­frei­herr vom und zum Stein (*1757; † 1831) Quelle:Wikipedia
Gnei­se­nau, die­ser exzel­len­te Feld­herr, ver­stand es, in der kur­zen Zeit sei­ner Zusam­men­ar­beit mit Clau­se­witz und den in sei­nem Koblen­zer Stab ver­sam­mel­ten Offi­zie­ren eine ent­spann­te Atmo­sphä­re zu schaffen:

»(…) Um den kom­man­die­ren­den Gene­ral herrsch­te eine hei­te­re, geistvoll-​angeregte Gesel­lig­keit, wie er sie lieb­te. […] Max von Schen­ken­dorf besang die­se „Tafel­run­de am Rhein“, die er selbst als preu­ßi­scher Beam­ter im Rhein­land miterlebte:

Der Sän­ger kommt zur guten Stunde,
Und ihn emp­fängt ein hol­der Gruß,
Den Feld­herrn und die Tafelrunde,
Erblickt er an dem grü­nen Fluß. (
…)«

(Vergl. »Gnei­se­nau ein Leben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S.335)

In Ber­lin am Hofe des Königs hör­te und las man davon. Denn die »Maul­wür­fe«, wie Boy­en Zuträ­ger vom Schla­ge Kalck­reuth und Gra­wert nann­te, und die nach 1815 nach wie vor um den König waren, wähn­ten dort am Rhein Jako­bi­ner und Revo­lu­tio­nä­re und sorg­ten so für Miss­trau­en des Mon­ar­chen gegen­über den um Gnei­se­nau ver­sam­mel­ten Offi­zie­ren. Stab und Run­de in Koblenz wur­de mit »Wal­len­steins Lager« bezeich­net. In Ber­lin hat­te man offen­sicht­lich Schil­ler gele­sen. Fried­rich Wil­helm wird spä­ter gegen­über Gnei­se­nau ein­räu­men, dass er bei ihm ange­schwärzt wor­den sei.
(Vergl. »Gnei­se­nau ein Leben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S. 335)

Für Gnei­se­nau war das offen­sicht­lich auch der Haupt­grund für sei­nen über­ra­schen­den Abschied, um den er im Früh­jahr 1816 ein­kam. Der­ar­ti­ge Ver­däch­ti­gun­gen waren für Gnei­se­nau, Clau­se­witz und die Refor­mer kei­ne neue Erscheinung:

»(…) Gnei­se­nau beob­ach­te­te mit Unmut die Wel­le poli­ti­scher Ver­däch­ti­gun­gen, die 1815 ein­setz­te und zu den Ver­bots­maß­nah­men der nächs­ten Jah­re, schließ­lich zu der gro­ßen Dem­ago­gen­ver­fol­gung von 1819 führte. (…)«
(Vergl. »Gnei­se­nau Ein Leben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S. 335 bis 336)

August Wil­helm Anton Graf Neid­hardt von Gnei­se­nau, (*1760; †1831) Quel­le: Wikipedia

Die Geschich­te des Wie­ner Kon­gres­ses mit ihren nahe­zu uner­mess­li­chen Ver­hand­lungs­punk­ten, Akten, Ein­zel­ver­trä­gen, Anhän­gen und Kon­ven­tio­nen, die sich von Sep­tem­ber 1814 bis Juni 1815 hin­zog, hier dar­zu­stel­len, wäre zu weit­läu­fig. Wir müs­sen aber bemer­ken, dass die Ver­hand­lun­gen einen sehr inkon­stan­ten Ver­lauf nah­men, ehe sich Preu­ßen und Öster­reich auf einen Vor­schlag zu einer »Bun­des­ver­fas­sung« eini­gen konn­ten. Als Datum dafür ging der 23. Mai 1815 in die Geschich­te ein. Nach­dem die Wider­stän­de eini­ger süd­deut­schen Staa­ten über­wun­den waren, wur­de der Ver­fas­sungs­ent­wurf am 8. Juni 1815 para­phiert und lag am 10. Juni zur Unter­zeich­nung vor. Die sog. Deut­sche Bun­des­ak­te war somit ab 9. Juni 1815 Bestand­teil des Ver­trags­wer­kes des »Wie­ner Kon­gres­ses« unter »VIII. All­ge­mei­ne Ver­fü­gun­gen – Arti­kel 118 – Con­fir­ma­ti­on der beson­de­ren Trac­ta­ten und Acten«

(Vergl. staats​ver​trae​ge​.de/​F​r​i​e​d​e​n​1​814 bis 15/​)Eine spä­te­re Ergän­zung der Kon­gress­ak­te führ­te über die »Karls­ba­der Beschlüs­se«(vom 6. bis 31. August 1819) vom 15. Mai 1820 an gera­de­wegs zur Dem­ago­gen­ver­fol­gung, auf die wir hier spä­ter noch zurück­kom­men wer­den. Hein­rich von Treit­sch­ke bemerk­te zu die­ser Cau­sa:»(…) Der Befrei­ungs­krieg hat­te die schwers­te Krank­heit des alten Staa­ten­sys­tems, die Zer­split­te­rung Deutsch­lands und Ita­li­ens, nicht geheilt. […] So ent­stand die Bun­des­ak­te, die unwür­digs­te Ver­fas­sung, wel­che je einem gro­ßen Kul­tur­vol­ke von ein­ge­bo­re­nen Herr­schern auf­er­legt ward, ein Werk, in man­cher Hin­sicht noch kläg­li­cher als das Gebäu­de des alten Rei­ches in den Jahr­hun­der­ten des Nie­der­gan­ges. (…)«(Vergl. Treit­sch­ke »Deut­sche Geschich­te im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert«, H. Heff­ter, Bd.1, Krö­ner Ver­lag Leip­zig, S. 375 bis 377)
Wie­ner Kon­gress 1815 (Quel­le: SZ)
Wie wich­tig die Lösung der Ver­fas­sungs­fra­ge inner­halb Preu­ßens und ab 1815 auch in den Staa­ten des Bun­des war, sehen wir an den Schwie­rig­kei­ten, kla­re vali­de For­mu­lie­run­gen zu fin­den, die in der Aus­le­gung von Geset­zes­tex­ten ein­deu­tig waren. Die Ver­fas­sungs­fra­ge lag auch nach dem Kon­gress mit sei­nen fol­gen­den Beschlüs­sen lan­ge noch im Nebel.

Gleich­wohl wur­de wur­de in die­sem Zusam­men­hang erst­ma­lig zwi­schen zwei euro­päi­schen Groß­mäch­ten – Öster­reich und Preu­ßen – die »Juden­fra­ge« in Mit­tel­eu­ro­pa zur Ver­hand­lung gebracht und damit haben

»(…) Öster­reich und Preu­ßen, sich mit aller Bestimmt­heit vor einem euro­päi­schen Forum für die Gleich­stel­lung der Juden aus­ge­spro­chen und sie in zähem Rin­gen gegen den Wider­stand einer gro­ßen Anzahl von Klein­staa­ten durch­ge­setzt gesucht. (…)«
(Vergl. Unver­öf­fent­lich­te Akten­stü­cke zur Juden­fra­ge auf dem Wie­ner Kon­gress (1814 bis 1815) S. Baron, »Monats­schrift für Geschich­te und Wis­sen­schaft des Juden­tums«, Jahrg. 70, H.11/12, Nov./Dez. 1926)

Der deut­sche His­to­ri­ker Prof. Dr. Arno Her­zig(*1937) teilt den Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zess in Preu­ßen im 19. Jahr­hun­dert in sechs Pha­sen ein. Begin­nend mit der ers­ten Pha­se, dem Über­gang vom 18. Jhd. zum 19. Jhd. bis nach 1870, der sechs­ten Pha­se, wo eine deut­li­che Abkehr von den Ideen des bür­ger­li­chen Libe­ra­lis­mus zu ver­zeich­nen war, hin zum Anwach­sen einer anti­jü­di­schen Stim­mung, die ideo­lo­gisch im Anti­se­mi­tis­mus ver­fes­tigt wur­de. 1879 begeg­nen wir dem Begriff »Anti­se­mi­tis­mus«, geprägt durch den Mag­de­bur­ger Jour­na­lis­ten Fried­rich Anton Marr(*1819; †1904). Wir erwähn­ten den Begriff bereits wei­ter oben.

Nach Har­den­bergs Juden­edikt und den Befrei­ungs­krie­gen beginnt, so Her­zig, die zwei­te Pha­se, die Restaurationsphase.

»(…) Die zwei­te Pha­se, man kann sie als Restau­ra­ti­ons­pha­se bezeich­nen, datiert von 1815 mit den Ent­schei­dun­gen auf und nach dem Wie­ner Kon­greß und endet 1847, als die preu­ßi­sche Regie­rung ver­such­te, per Geset­zes­vor­la­ge auf dem 1. all­ge­mei­nen Preu­ßi­schen Land­tag, die jüdi­sche Min­der­heit als Kor­po­ra­ti­on aus der bür­ger­li­chen Gesell­schaft auszugliedern. (…)«
(Vergl. Juden in Preu­ßen – Juden in Ham­burg, HG P. Frei­mark, H. Chri­si­ans Ver­lag, 1983, S. 33 bis 34)

Wir wol­len uns hier in unse­rer wei­te­ren Betrach­tung auf den Art. 16 der deut­schen Bun­des­ak­te kon­zen­trie­ren, der einen Teil der Schluss­ak­te des Kon­gres­ses dar­stell­te. Die eigent­li­che For­mu­lie­rung, die unter zwei­fel­haf­ten Bedin­gun­gen zustan­de kam, hat­te gro­ßen Ein­fluss auf die Rechts­stel­lung der Juden im Gel­tungs­be­reich der Bun­des­ak­te. Die spä­te­re teil­wei­se restrik­ti­ve Aus­le­gung des Arti­kels 16 und die damit ver­bun­de­nen Fol­gen führ­ten auch zu Inter­ven­tio­nen Russ­lands und Englands.
Schluss­ak­te des Wie­ner Kon­gres­ses – Bun­des­ak­te (Quel­le: LeMo dhm​.de)

Deut­sche Bundesakte
vom 8. Juni 1815

»(…) Art 16. Die Ver­schie­den­heit der christ­li­chen Religions-​Partheyen kann in den Län­dern und Gebie­then des deut­schen Bun­des kei­nen Unter­schied in dem Genus­se der bür­ger­li­chen und poli­ti­schen Rech­te begründen.
Die Bun­des­ver­samm­lung wird in Bera­t­hung zie­hen, wie auf eine mög­lichst über­ein­stim­men­de Wei­se die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Beken­ner des jüdi­schen Glau­bens in Deutsch­land zu bewir­ken sey, und wie inson­der­heit den­sel­ben der Genuß der bür­ger­li­chen Rech­te gegen die Ueber­nah­me aller Bür­ger­pflich­ten in den Bun­des­staa­ten ver­schafft und gesi­chert wer­den kön­ne; jedoch wer­den den Beken­nern die­ses Glau­bens bis dahin die den­sel­ben von den ein­zel­nen Bun­des­staa­ten ein­ge­räum­ten Rech­te erhal­ten. (…)«
(Vergl. docu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Der dama­li­ge Bund ver­füg­te weder über eine Bun­des­re­gie­rung, noch über eine Volks­ver­tre­tung oder ein Bun­des­ge­richt. Die Bun­des­mit­glie­der soll­ten statt­des­sen Unstim­mig­kei­ten gemäß des Art. 11 fried­lich in der Bun­des­ver­samm­lung vor­tra­gen. Aus Art. 11 Bundesakte:

»(…) Die Bundes-​Glieder machen sich eben­falls ver­bind­lich, ein­an­der unter kei­ner­ley Vor­wand zu bekrie­gen, noch ihre Strei­tig­kei­ten mit Gewalt zu ver­fol­gen, son­dern sie bey der Bun­des­ver­samm­lung anzu­brin­gen. Die­ser liegt als­dann ob, die Ver­mitt­lung durch einen Aus­schuß zu ver­su­chen; falls die­ser Ver­such fehl­schla­gen soll­te, und dem­nach eine rich­ter­li­che Ent­schei­dung not­hwen­dig wür­de, sol­che nur eine wohl­ge­ord­ne­te Aus­träg­al Instanz zu bewir­ken, deren Aus­spruch die strei­ten­den Thei­le sich sofort zu unter­wer­fen haben. (…)«
(Vergl. docu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Gemäß des Art.13 der Bun­des­ak­te soll­ten alle Mit­glie­der ihren Völ­kern eine Ver­fas­sung geben: »(…) Art. 13. In allen Bun­des­staa­ten wird eine Land­stän­di­ge Ver­fas­sung stattfinden. (…)«
(Vergl. docu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Die Arti­kel 11 und 13 soll­ten die Grund­la­ge für den Art. 16 bil­den. Wie eine Rei­he ande­rer Arti­kel wur­den die­se kaum oder nur teil­wei­se umge­setzt. Die hier dar­ge­stell­te End­fas­sung des Art. 16 führ­te in eini­gen Staa­ten sogar zu Repres­sio­nen gegen­über Juden.

Die hier zu lesen­de Fas­sung des Art.16 war nicht die ursprüng­li­che, so wie sie unter ande­rem durch die Mit­wir­kung von Har­den­berg und W. v. Hum­boldt gedacht war. Die­se lau­te­te im Text an ent­schei­den­der Stelle:

»(…) Die Bun­des­ver­samm­lung wird in Bera­tung neh­men, wie auf mög­lichst über­ein­stim­men­der Wei­se die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Juden zu erwir­ken sei, und wie inson­der­heit den­sel­ben der Genuß der bür­ger­li­chen Rech­te gegen die Über­nah­me aller Bür­ger­pflich­ten in den Bun­des­staa­ten ver­schafft oder gesi­chert wer­den kön­nen.Jedoch sol­len den Juden bis dahin die den­sel­ben in den Bun­des­staa­ten bereits ein­ge­räum­ten Rech­te erhal­tenblei­ben. (…)«
(Vergl. »Zur Geschich­te der Juden im Gebiet der ehe­ma­li­gen Graf­schaft Hanau«, Hanau­er Geschichts­blät­ter, Bd. 19, 1963, S. 115)

In pri­mo aspec­to wird dem geneig­ten Leser der signi­fi­kan­te Unter­schied zwi­schen den For­mu­lie­run­gen im letz­ten Satz des Arti­kels nicht sofort auf­fal­len. Aber im ers­ten Ent­wurf hat­te es gehei­ßen »in den Staa­ten« und nicht »von den Staa­ten«. Eini­ge His­to­ri­ker mei­nen, dass die­se Ände­rung eigen­mäch­tig und unbe­fug­ter­wei­se vor­ge­nom­men wur­de. Die Bedeu­tung des­sen war:

»(…) und das wur­de so inter­pre­tiert, daß damit die Rech­te gemeint sei­en, die von den ört­li­chen Regie­run­gen erlas­sen wor­den waren, die vor Napo­lé­on an der Macht waren und ihren Platz danach wie­der ein­ge­nom­men hatten. (…)«
(Vergl. Jakob Katz »Vom Vor­ur­teil bis zur Ver­nich­tung – Der Anti­se­mi­tis­mus 1700 bis 1933«, Uni­on Ver­lag, 1980, S. 79)

In den »Hanau­er Geschichts­blät­tern« lesen wir fol­gen­de Dar­stel­lung über die Hin­ter­grün­de der Veränderungen:

»(…) Das Pro­to­koll des Kon­gres­ses wur­de durch den bestech­li­chen Gentz geführt, der im Schluß­pro­to­koll vom 8. Juni 1814 unbe­fug­ter­wei­se dem Antrag des Bre­mer Sena­tors Schmidt statt­gab, das Wort »in« durch das Wort »von« zu erset­zen. Dadurch wur­den gegen gegen den Wil­len der Kon­greß­mehr­heit die Errun­gen­schaf­ten der Juden in der napo­leo­ni­schen Zeit zunich­te gemacht.(zitiert nach Graetz). Das ging bis zu dem Extrem, daß Bre­men und Lübeck nach dem Wie­ner Kon­greß ihre jüdi­schen Bür­ger auswiesen. (…)«
(Vergl. »Zur Geschich­te der Juden im Gebiet der ehe­ma­li­gen Graf­schaft Hanau«, Hanau­er Geschichtsblätter-​Bd. 19, 1963, S. 115)

Gentz, Fried­rich von Gentz(*1764; †1832) war der »Sekre­tär Euro­pas«. Golo Mann beschreibt die­se his­to­ri­sche Figur in »Fried­rich von Gentz. Geschich­te eines euro­päi­schen Staats­man­nes« folgendermaßen:

»(…) Eine Stel­lung, geeig­ne­ter sei­ne Talen­te spie­len zu las­sen, konn­te der vater­lands­lo­se Staats­mann sich nicht erträu­men. Er war der Sekre­tär Euro­pas. Er war der Spre­cher und Bera­ter einer Staa­ten­ge­mein­schaft, in der er seit fünf­und­zwan­zig Jah­ren mit sei­nen Gedan­ken gelebt hat­te, und die sich jetzt, auf einen Ort kon­zen­triert, zum ersten­mal zu ver­wirk­li­chen schien. (…)«
(Vergl. Golo Mann, »Fried­rich von Gentz – Geschich­te eines euro­päi­schen Staats­man­nes«, Ull­stein, 1972, S. 227)

Fried­rich von Gentz (*1764;†1832) Quelle:Wikisource

Am 20. Juni 1815 mel­det Gentz an Met­ter­nich(*1773; †1859), dem Spi­ri­tus Rec­tor des Wie­ner Kon­gres­ses, folgendes:

(…) Ges­tern Abend sind die Ori­gi­na­li­en des Kon­gress­in­stru­ments unter­zeich­net wor­den. Die­se Sit­zung, die in Ew. Durchl. Vor­zim­mer neben Ihrem Kabi­nett gehal­ten wur­de, hät­te fei­er­lich und impo­sant sein kön­nen und sol­len; sie war es aber nicht, weil sich jeder zu sehr mit der Sor­ge für sein eige­nes Exem­plar beschäftigte (…)«
(Vergl. »Brie­fe von und an Fried­rich von Gentz« Hg. F. C. Wit­ti­chen & E. Salzer, 3. Bd., 1913/​Reprint, S. 305)

Bes­ser als Gentz sel­ber konn­te die Atmo­sphä­re, die auf dem Kon­gress herrsch­te, wohl kei­ner cha­rak­te­ri­sie­ren. Immer­hin muss­te der »Sekre­tär Euro­pas« For­de­run­gen, Bit­ten und Vor­schlä­ge von über zwei­hun­dert Staa­ten, Fürs­ten­tü­mern und reichs­frei­en Städ­ten fil­tern, bün­deln, ver­wer­fen las­sen und am Ende zu Papier brin­gen und dar­über hin­aus noch dafür sor­gen, dass Fürst Met­ter­nich den Inhalt der Kor­re­spon­denz der Par­tei­en des Kon­gres­ses kann­te. Der deut­sche His­to­ri­ker und natio­nal­li­be­ra­le Poli­ti­ker Georg Gott­fried Ger­vi­nus(*1805; †1871), wird 1855 über die beim Kon­gress ver­sam­mel­ten Staa­ten urteilen:

»(…) Kei­ner war im Stan­de, den schad­haf­ten Stoff der deut­schen Ver­hält­nis­se für eine natür­li­che und gesun­de Staats- oder Bun­des­bil­dung taug­lich zu machen. Kei­ner hat aber auch nur auf dem Papier einen Ent­wurf nie­der­ge­legt, in dem die wun­den Stel­len die­ses Staats­we­sen mit siche­rer Hand bezeich­net und die Mit­tel zu einer gründ­li­chen Hei­lung ange­ge­ben wären. (…)«
(Vergl. Georg Gott­fried Ger­vi­nus, »Geschich­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts«, Bd. 1, Leip­zig 1855, S. 305)

Gervinus´Einschätzung trifft voll inhalt­lich auf die Bemü­hun­gen und die Wider­stän­de zu, die in Fra­gen der Eman­zi­pa­ti­on der Juden in Preu­ßen und den ande­ren Teil­neh­mer­staa­ten 1815 herrsch­ten. Noch zu Leb­zei­ten Clau­se­witz´ wird es eine »Bücher­ver­bren­nung« durch Bur­schen­schaf­ten auf der Wart­burg 1817, die sog. Hepp-​Hepp Bewe­gung 1819, die Juli­re­vo­lu­ti­on in Frank­reich 1830 sowie die bel­gi­schen und pol­ni­schen Unru­hen 1830 bis 1831 geben. Inwie­weit Carl das reflek­tie­ren und kom­men­tie­ren wird, wol­len wir ver­su­chen im Wei­te­ren noch darzustellen.

Zu Gentz und Clau­se­witz kön­nen wir zunächst schon eine his­to­ri­sche Ver­bin­dung her­stel­len. In einem Vor­trag von Prof. Bru­no Col­son(*1957), dem bel­gi­schen His­to­ri­ker und Ken­ner der Kriegs- und Stra­te­gie­ge­schich­te (moder­ne und zeit­ge­nös­si­sche Epo­chen), anläß­lich des 240. Geburts­tag des Carl von Clau­se­witz, wird die­se dar­ge­stellt. Ver­öf­fent­licht im »Bur­ger Clau­se­witz Jahr­buch 2020«.

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Fort­set­zung Teil XIV