Teil XIII

Der 2. Pa­ri­ser Frie­den mit dem De­fi­ni­tiv-Trac­tat, am 20. No­vem­ber 1815 zwi­schen dem Kai­ser von Ös­ter­reich und sei­nen Al­li­ier­ten, dem Za­ren von Russ­land, dem Kö­nig von Preu­ßen und dem Kö­nig von Frank­reich ab­ge­schlos­sen, setz­te den end­gül­ti­gen Schluss­punkt hin­ter die sechs eu­ro­päi­schen Ko­ali­ti­ons­krie­ge von 1792 bis 1815. Mit dem sechs­ten Krieg en­de­ten für Preu­ßen die op­fer­rei­chen Be­frei­ungs­krie­ge von 1813 bis 1815. Da­mit wur­de auch der Schluss­punkt hin­ter dem 1. Pa­ri­ser Frie­den vom 30. Mai 1814 ge­setzt, an dem noch Eng­land be­tei­ligt war. Die Ra­ti­fi­zie­rung des De­fi­ni­tiv-Trac­tats lag den Mon­ar­chen am 16. Fe­bru­ar 1816 vor.

Noch vor dem 2. Pa­ri­ser Frie­den un­ter­zeich­ne­ten Fried­rich Wil­helm III., der ös­ter­rei­chi­sche Kai­ser und der rus­si­sche Zar am 26. Sep­tem­ber 1815 die Grün­dungs­er­klä­rung der »Hei­li­gen Al­li­anz«. Da­mit wur­de für ei­ne län­ge­re Zeit in Mit­tel­eu­ro­pa Frie­den gewährleistet.

Die aus den Krie­gen von 1813/14/15 heim­keh­ren­den jü­di­schen Frei­wil­li­gen und kon­skri­bier­ten jü­di­schen Män­ner Preu­ßens ka­men zu­rück mit der Hoff­nung, dass Kö­nig und Staat Wort hal­ten wür­den. Ver­spro­chen war die Frei­heit des Bür­gers und ei­ne Ver­fas­sung. Der ös­ter­rei­chi­sche Staats­recht­ler Ge­org Jel­li­nek (1851 bis 1911) de­fi­nier­te den Be­griff »Staats­ver­fas­sung« so:

»(…) Je­der dau­ern­de Ver­band be­darf ei­ner Ord­nung, der ge­mäß sein Wil­le ge­bil­det und voll­zo­gen, sein Be­reich ab­ge­grenzt, die Stel­lung sei­ner Mit­glie­der in ihm und zu ihm ge­re­gelt wird. Ei­ne der­ar­ti­ge Ord­nung heißt ei­ne Verfassung. (…)«
(Vergl. All­ge­mei­ne Staats­leh­re, G. Jel­li­nek: Erkl. der Men­schen- und Bür­ger­rech­te; der­sel­be: Das Recht der Mi­no­ri­tä­ten 1898 S. 7 ff.)

Aus­gangs­punkt hät­te die Fran­zö­si­sche Ver­fas­sung von 1793 sein können.

Nach dem Wie­ner Kon­gress von 1815 konn­te Fürst von Har­den­berg (∗1750; †1822) dem Kö­nig von Preu­ßen die Zu­stim­mung für ei­ne Ver­fas­sung ab­rin­gen, nach­dem er die­se Idee schon 1810 vor­ge­tra­gen hat­te. Am 22. Mai 1815 er­ließ dar­auf­hin F. W. III. end­lich die »Ver­ord­nung über die zu bil­den­de Re­prä­sen­ta­ti­on des Vol­kes«, die je­doch nicht wirk­sam wur­de. Auch ein wei­te­rer Ver­such Har­den­bergs im Ja­nu­ar 1820 scheiterte.
(Vergl. Hans-Wer­ner Hahn/Helmut Ber­ding, Re­for­men, Re­stau­ra­ti­on und Re­vo­lu­ti­on, S. 142)

Fürst Karl Au­gust von Har­den­berg (∗1750; †1822) Quel­le: Wikipedia

Der im Zu­ge des Wie­ner Kon­gres­ses am 8. Ju­ni 1815 mit der Ur­kun­de »Deut­sche Bun­des­ak­te« ge­grün­de­te und von 38 Mit­glie­der­staa­ten un­ter­zeich­ne­te  Deut­sche Bund hat­te mit der Bil­dung ei­nes Bun­des­hee­res un­mit­tel­ba­ren Ein­fluss auf das Le­ben Carl von Clausewitz´nach den Frei­heits­krie­gen. Preu­ßen stell­te für den Be­stand des Bun­des­hee­res mit zehn Ar­mee­korps, drei Korps mit rund 79.234 Mann zur Ver­fü­gung.(Vergl.https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Das-Deutsche-Militaerwesen-1-Vor-1867/das-deutsche-militaerwesen-vor-1867.html)

Hier tref­fen wir auch wie­der auf un­se­ren Carl, der am 3. Ok­to­ber 1815 auf Drän­gen Gnei­sen­aus zum Ge­ne­ral­stabs­chef beim neu ge­bil­de­ten Korps be­ru­fen wurde.
(Vergl. »Denk­wür­dig­kei­ten des Ge­ne­rals … Al­brecht von Stosch«, 1904, S. 25)

Der Deut­sche Bund 1815 bis 1866 (Quel­le Wikipedia)

Ab­seits der gro­ßen Po­li­tik hoff­ten die jü­di­schen Bür­ger Preu­ßens auf Fort­set­zung und Kon­so­li­die­rung der preu­ßi­schen Po­li­tik, die Eman­zi­pa­ti­on be­tref­fend. In der ers­ten deutsch­spra­chi­gen jü­di­schen Zei­tung »Su­la­mith« (Ei­ne Zeit­schrift zur Be­för­de­rung der Kul­tur und Hu­ma­ni­tät un­ter den Is­rae­li­ten.) war 1815 zu lesen:

»(…) Nach­dem aber über­all in Deutsch­land die Is­rae­li­ten an der Vert­hei­di­gung des Va­ter­lan­des den pflicht­ge­mä­ßi­gen Ant­heil ge­nom­men, und sich mit den Waf­fen in der Hand als Bür­ger be­währt ha­ben, so sind sie eben da­durch auch zu Bür­gern wirk­lich ge­wor­den, und wür­de es un­bil­lig, ja un­ge­recht sein, sie von den Rech­ten der Bür­ger noch län­ger ab­schlie­ßen zu wollen. (…)«
(Vergl. »Ei­ser­nes Kreuz und Da­vid­stern« Die Ge­schich­te Jü­di­scher Sol­da­ten in Deut­schen Ar­meen, tra­fo, 2006, S. 68)

Ein Bei­spiel der ro­man­ti­schen Eu­pho­rie für das Be­stre­ben jü­di­scher Bür­ger lie­fer­te der deut­sche Schrift­stel­ler und Pre­di­ger Karl Sieg­fried Güns­burg (∗1784; †1860) zu­sam­men mit dem deut­schen Pre­di­ger Edu­ard Is­ra­el Kley (∗1789; †1867), ei­nem An­hän­ger des Re­form­ju­den­tums. Sie ver­öf­fent­lich­ten in der preu­ßi­schen Haupt­stadt ei­nen »Ruf zu den Fah­nen«:

»(…) O himm­li­sches Ge­fühl! ein Va­ter­land zu be­sit­zen! O ent­zü­cken­der Ge­dan­ke! ei­nen Ort, ei­ne Stel­le, ei­nen Win­kel auf dem schö­nen Er­den­run­de sein nen­nen zu dür­fen … Dort auf dem Fel­de der Eh­re, wo al­le Her­zen von Ei­nem Geis­te nur be­seelt sind, wo al­le für ein ein­zig Ziel nur wir­ken: dort sieht man auch die Schei­de­wand der Vor­ur­tei­le gänz­lich nie­der­sin­ken, ihr wer­det Hand in Hand mit eu­ren Kriegs­ge­fähr­ten das gro­ße Werk voll­enden, sie wer­den euch den Bru­der-Na­men nicht ver­sa­gen, denn ihr wer­det ihn verdienen. (…)«
(Vergl. »Von Mo­ses Men­dels­soh zu Leo­pold Zunz« … , Ver­lag C. H. Beck Mün­chen, 1994, S. 160)

In der Rea­li­tät der Zeit se­hen wir je­doch den Ver­such, die bis da­hin er­reich­ten Li­ni­en zu­rück­zu­ste­cken. Da­bei wer­den ei­ne Rei­he in den Re­for­men zu­ge­si­cher­ten Rech­te nach 1815 schritt­wei­se wie­der auf­ge­ho­ben. Die Vor­ur­tei­le, von de­nen im »Ruf zu den Fah­nen« zu le­sen sind, sind die jahr­hun­der­te­al­ten Kli­schees und Ver­schwö­rungs­theo­rien, die nach 1815 in Preu­ßen wie­der her­vor­bre­chen. Der tra­di­tio­nel­le An­ti­ju­da­is­mus in sei­nen drei Be­stand­tei­len der Ju­den­feind­schaftder re­li­giö­sen, der öko­no­mi­schen und der ras­sis­ti­schen (wir ver­wie­sen wei­ter oben in un­se­rer Be­trach­tung be­reits dar­auf) – leb­te nach 1815 er­neut auf. Im wei­te­ren Ver­lauf un­se­rer Be­trach­tung wer­den wir dar­auf zurückkommen.

Un­ter den Ju­den Preu­ßens, die in »pa­trio­ti­scher Hoch­stim­mung«“ schwelg­ten, gab es sehr we­ni­ge Men­schen, die in der La­ge wa­ren, ra­tio­nal vor­aus­zu­schau­en. Ei­ner da­von war der Des­sau­er Päd­ago­ge und Ver­le­ger he­bräi­scher Bü­cher Mo­ses Phil­ipp­son (*1775; †1814). Nach Aus­kunft sei­nes Soh­nes und von Bio­gra­phen er­wähnt sag­te er be­reits 1813:

»(…) Als Is­rae­lit muß ich be­ken­nen, daß ich für die Gleich­stel­lung mei­ner Glau­bens­ge­nos­sen­schaft nach dem Sturz Na­po­le­ons we­nig er­war­te, man wird sie wie­der in die al­ten Fes­seln schla­gen, die doch nur in ei­nem klei­nen Thei­le Deutsch­lands ge­bro­chen und ge­lüf­tet sind. (…)«
(Vergl. Phil­ipp­son, Bio­gra­phi­sche Skiz­zen. B.I, S. 117)

An die­ser Stel­le ei­ni­ge Wor­te zur au­ßer­ge­wöhn­li­chen jü­di­schen Fa­mi­lie Phil­ipp­son, mit ih­ren Mag­de­bur­gi­schen Wur­zeln. Die pro­phe­ti­schen Wor­te Mo­ses Phil­ipp­sons soll­ten sich in der preu­ßisch-deut­schen Ge­schich­te vom »Vor­ur­teil bis zur phy­si­schen Ver­nich­tung« (Ja­kob Katz) durch die bit­te­re Wahr­heit des Ho­lo­caust be­stä­ti­gen.

Je­ner Mo­ses Phil­ipp­son war der Va­ter des Dr. Lud­wig Phil­ipp­son (∗1811; †1889), ers­ter Rab­bi­ner der Syn­ago­gen­ge­mein­de zu Mag­de­burg. Des­sen Sohn wie­der­um, der Prof. Dr. Mar­tin Phil­ipp­son, pu­bli­zier­te die hier wei­ter oben be­reits mehr­fach an­ge­führ­te Schrift »Die jü­di­schen Frei­wil­li­gen im preu­ßi­schen Hee­re wäh­rend der Be­frei­ungs­krie­ge 1813/1814«.

Aus der weit­ver­zweig­ten Fa­mi­lie Phil­ipp­son kämpf­ten jun­ge Män­ner in den Schlach­ten bei Kö­nigs­grätz 1866, 1870 bei Se­dan & St. Pri­vat La Mon­tagne so­wie bei der Ein­schlie­ßung von Pa­ris. Im WK I ver­lor ein Ernst Phil­ipp­son sein Le­ben 1917 vor Lens. Ein Ju­li­us Phil­ipp­son war Trä­ger des »Ei­ser­nen Kreu­zes I. Klas­se«. An Ernst Phil­ipp­son er­in­nert ein Eh­ren­mal auf dem jü­di­schen Fried­hof in Mag­de­burg-Su­den­burg, wo sein Na­me mit wei­te­ren 44 ge­blie­be­nen jü­di­schen Män­ner ver­ewigt ist. Der Trä­ger des EK I im 1. Welt­krieg, Ju­li­us Phil­ipp­son, wur­de spä­ter im Jahr 1943 in Ausch­witz er­mor­det, nach­dem er sich in den Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­bracht hatte.

An die Mag­de­bur­ger Fa­mi­lie Phil­ipp­son er­in­nern heu­te – ne­ben dem Eh­ren­mal auf dem jü­di­schen Fried­hof – das Mahn­mal für die er­mor­de­ten Mag­de­bur­ger Wi­der­stands­kämp­fer ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus im Steu­ben­park zu Mag­de­burg und drei »Stol­per­stei­ne« in der Oststraße/Ecke Ling­ner­stra­ße, dem ehe­ma­li­gen Wohn­haus der Philippsons.
(Vergl. »Jü­di­sche Sol­da­ten Mag­de­burgs«, Re­gio­nal­ge­schicht­li­che Aspek­te des Ers­ten Welt­krie­ges“, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 2018, S.15/ 23/ 71 bis 76)

Eh­ren­mal auf dem jü­di­schen Fried­hof (Ernst Phil­ipp­son) Quel­le: Autor

Zu­rück aber in das Jahr 1815. Carl von Clau­se­witz dien­te drei Jah­re von 1815 bis 1818 als Ge­ne­ral­stabs­chef in Ko­blenz. Po­li­tisch ge­se­hen geht die ers­te Pha­se der Exis­tenz des Deut­schen Bun­des von 1815 bis 1848 als »Vor­märz« oder »Re­stau­ra­ti­on« in die Ge­schich­te ein. Der Bund wird 1866 nach dem Krieg zwi­schen Preu­ßen und Ös­ter­reich auf­ge­löst wer­den. Die Bun­des­ver­samm­lung ver­ein­te for­mal Ös­ter­reich, Preu­ßen, Bay­ern, Würt­tem­berg, Han­no­ver, Sach­sen, vier freie Städ­te: Ham­burg, Bre­men, Lü­beck, Frank­furt am Main so­wie klei­ne­re Fürs­ten- und Herzogtümer.

In al­len der an­fangs 39, spä­ter 35 Staa­ten be­weg­te die Fra­ge der Eman­zi­pa­ti­on der Ju­den so­wohl Herr­schen­de als auch Bür­ger der Staa­ten. Die ver­gan­ge­nen Jah­re seit der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on von 1789 bis 1815 ha­ben Eu­ro­pa und vor al­lem Preu­ßen ver­än­dert. Je­doch zeich­ne­te sich sehr schnell ab, dass die­ser Ver­bund da­zu die­nen soll­te, die Zeit um ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert zu­rück­zu­dre­hen. Träu­me von Frei­heit, Mit­be­stim­mung, Ver­fas­sung und Eman­zi­pa­ti­on der Bür­ger und da­mit auch der Ju­den gin­gen in den »Karls­ba­der Be­schlüs­sen« und der da­mit ver­bun­de­nen »Dem­ago­gen­ver­fol­gung« lang­sam unter.

An Carl von Clau­se­witz wird die­se Ent­wick­lung si­cher­lich nicht un­be­merkt vor­bei­ge­gan­gen sein. Ent­spre­chend sei­ner Art wird er sei­ne Dienst­pflich­ten als Chef des Sta­bes um­sich­tig und gründ­lich er­füllt ha­ben, so wie das in den Kriegs­jah­ren bei ihm zu be­ob­ach­ten war. Was nun sei­ne po­li­ti­sche Be­ob­ach­tungs­ga­be be­traf, schreibt Ul­rich Marwedel:

»(…) Die ihm Na­he­ste­hen­den be­stä­tig­ten ihm ei­ne aus­ge­präg­te Ga­be für das kla­re Er­fas­sen po­li­ti­scher Zu­sam­men­hän­ge und ei­ne un­wan­del­ba­re, auch vor per­sön­li­chen Op­fern nicht zu­rück­schre­cken­de Treue ge­gen­über den ein­mal für rich­tig er­kann­ten An­schau­un­gen, wäh­rend er den kon­ser­va­ti­ven Krei­sen ge­ra­de des­we­gen ver­däch­tig erschien. (…)«
(Vergl. »Carl von Clau­se­witz. Per­sön­lich­keit und Wir­kungs­ge­schich­te sei­nes Wer­kes bis 1918«, U. Mar­we­del, zi­tiert nach Zwen­gel, H. Boldt Ver­lag, 1978, S. 209)

Zeit und Mu­se, sich ei­ne um­fas­sen­de Mei­nung zu bil­den, hat­te Clau­se­witz in der Ko­blen­zer Zeit wohl ge­nug, wenn wir den Quel­len Ver­trau­en schen­ken wol­len. Na­he­zu al­le His­to­ri­ker, die sich mit Clau­se­witz be­fasst ha­ben oder das ge­gen­wär­tig noch tun, sind sich in Ei­nem ei­nig. Die­se drei Jah­re im mo­de­ra­ten und kli­ma­freund­li­chen Rhein­land ge­hör­ten trotz al­ter und neu­er po­li­ti­scher und per­sön­li­cher Pro­ble­me wahr­schein­lich zu den bes­ten sei­nes Le­bens. Um­ge­ben von ei­nem Kreis ge­schätz­ter Of­fi­zie­re, Be­am­ten und auch Ver­stan­des­men­schen wie den ro­man­ti­schen Dich­ter Max von Schen­ken­dorf (∗1783; †1817).

Schen­ken­dorf, teil­neh­men­der Be­ob­ach­ter (Schen­ken­dorf war dienst­un­taug­lich) der Be­frei­ungs­krie­ge und nun Re­gie­rungs­rat in Ko­blenz, mit der Mi­li­tär­ver­wal­tung be­traut, war Ver­trau­ter von Ma­rie und Carl von Clau­se­witz. Sei­ne Lie­der und Ge­dich­te dürf­ten bei Carl Spu­ren in sei­ner Ver­stan­des­tä­tig­keit hin­ter­las­sen ha­ben. Der viel zu früh, schon am 17. De­zem­ber 1817 ver­stor­be­ne Frei­heits­dich­ter stell­te die Frage:

Frei­heit, die ich meine
Die mein Herz erfüllt
Komm mit dei­nem Scheine
Sü­ßes Engelsbild!
Magst du dich nie zeigen
Der be­dräng­ten Welt?
Füh­rest dei­nen Reigen
Nur am Sternenzelt?

Die­ses Lied, spä­ter ver­tont durch Karl Au­gust Gross, im Er­geb­nis der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig 1813 ent­stan­den, schien nach dem Erst­druck 1815 be­reits das Miss­trau­en ge­gen­über der Po­li­tik Met­ter­nichs aus­zu­drü­cken. Wo­mög­lich hat­te Clau­se­witz die Fra­ge nach der Frei­heit im Rah­men sei­ner Staats­auf­fas­sung geteilt.

(Max von Schen­ken­dorfI) Quelle:Wikipedia

*(Ein Nach­fah­re des Dich­ters, Max Hein­rich Mo­ritz Al­bert von Schen­cken­dorff (∗ 1875; † 1943), in WK II, Ge­ne­ral der In­fan­te­rie, war als Be­fehls­ha­ber Rück. der Hee­res­grup­pe Mit­te 1942 bis 1943 in Hand­lun­gen zur Ver­nich­tung von Ju­den schuld­haft verwickelt.)

Ne­ben Schen­ken­dorf wol­len wir hier noch Jo­seph Gör­res (*1776; †1848) , den Ge­lehr­ten und Pu­bli­zis­ten er­wäh­nen, der un­ter dem Ti­tel »Teutsch­land und die Re­vo­lu­ti­on« (1809) ei­ne in glü­hen­der Spra­che ge­hal­te­ne Kampf­schrift ge­gen den Po­li­zei­staat ver­öf­fent­lich­te. Für Gör­res wa­ren Staat, Re­li­gi­on und Mon­ar­chie bei Be­wah­rung der geis­ti­gen und po­li­ti­schen Frei­heit des Ein­zel­nen von fun­da­men­ta­ler Be­deu­tung. Die­se Sicht wur­de wohl auch von Clau­se­witz min­des­tens zur Kennt­nis ge­nom­men. Gör­res droh­te 1819 an die­ser Stel­le die Hand des Preu­ßen­kö­nigs, der ihn da­für nach Span­dau brin­gen wollte.
(Vergl. Wil­helm Schell­berg, Jo­seph von Gör­res, Köln 1926, Gil­de-Ver­lag, Sei­te 101) 

Schon im Jahr 1814 nach dem 1. Pa­ri­ser Frie­den schrieb Gör­res im »Rhei­ni­schen Mer­kur» folgendes:

»(…) Nur in­dem man dem Vol­ke sei­nen bil­li­gen Teil an sei­ner Re­gie­rung ge­stat­tet, kann ihm auch al­lein je­ne le­ben­di­ge Teil­nah­me an dem all­ge­mei­nem Woh­le an­ge­mu­tet wer­den, die zum fer­ne­ren Be­stan­de schlech­ter­dings er­for­dert wird. (…)«
(Vergl. Frei­herr von und zum Stein, G. Schmidt, Ber­lin 1955, S. 460)

Ge­gen­über den li­be­ra­len und auch »re­vo­lu­tio­nä­ren« Prot­ago­nis­ten der clau­se­witz­schen Zeit in Ko­blenz war der ge­le­gent­li­che Kon­takt zum Frei­her­ren von und zum Stein, der sich un­weit Ko­blenz 1814 in Cap­pen­berg (bei Lü­nen) nie­der­ge­las­sen hat­te und öf­ter in Nas­sau weil­te, bemerkenswert.
(Vergl. »Clau­se­witz und der Staat«, Pe­ter Pa­ret, Dümm­ler, 1993, S. 319) 
Stein war fe­der­füh­rend für die Ein­füh­rung ei­ner Ver­fas­sung im Her­zog­tum Nas­sau tä­tig. Nas­sau war so­mit 1814 ei­ner der ers­ten Staa­ten im Bund, der über ei­ne Kon­sti­tu­ti­on ver­füg­te. Si­cher wa­ren in den Ge­sprä­chen zwi­schen Stein, Clau­se­witz und Gnei­se­nau Fra­gen ei­ner Ver­fas­sung all­ge­mein und be­son­ders für Preu­ßen von ei­ni­ger Wichtigkeit.

Hans Del­brücks Schil­de­rung mög­li­cher Ge­dan­ken Gnei­sen­aus – die­se Fra­ge be­tref­fend – müs­sen auch für Clau­se­witz we­gen sei­ner per­sön­li­chen Nä­he zu sei­nem Vor­ge­setz­ten von Be­deu­tung ge­we­sen sein.

»(…) Ganz ent­spre­chend sei­ner Par­tei­nah­me in der preu­ßi­schen Ver­fas­sungs­an­ge­le­gen­heit zeigt sich Gnei­sen­aus Cha­rak­ter in der Fra­ge der deut­schen Ein­heit. […] Wäh­rend Stein und Har­den­berg noch fer­ner such­ten, das Un­mög­li­che mög­lich zu ma­chen, schrieb Gnei­se­nau die­sen schon im Jah­re 1814, daß er ei­ne gut deut­sche Kon­sti­tu­ti­on zu ent­wer­fen für ei­ne Un­mög­lich­keit hal­te; Bay­ern und Würt­em­berg wür­den sich nicht fü­gen. Man müs­se sich da­her dar­auf be­schrän­ken, für Preu­ßen zu sor­gen, das sie am nächs­ten an­ge­he. Preu­ßen aber, dem sein Kriegs­ruhm schon in ganz Deutsch­land Stim­men ver­schaff­te, müs­se in Zu­kunft so ge­stal­tet wer­den, daß die üb­ri­gen Deut­schen […] sel­ber den An­schluß an die­sen Staat wünsch­ten. Das bes­te Mit­tel da­zu sei ei­ne gu­te Konstitution. (…)«
(Vergl. »Das Le­ben des Feld­mar­schalls Gra­fen Neid­hardt von Gnei­se­nau«, in zwei Bd., Hans Del­brück, Ver­lag G. Stil­ke, 1908, S. 350 bis 351)

In die­sen Fra­gen dürf­ten zwi­schen Stein und Clau­se­witz an­ge­reg­te Ge­sprä­che statt­ge­fun­den ha­ben. Wie wird es aber in der Fra­ge der Eman­zi­pa­ti­on der jü­di­schen Bür­ger Preu­ßens ei­ner­seits und der in den an­de­ren deut­schen Staa­ten aus­ge­se­hen haben?
Hein­rich Fried­rich Karl Reichs­frei­herr vom und zum Stein (*1757; † 1831) Quelle:Wikipedia

Gnei­se­nau, die­ser ex­zel­len­te Feld­herr, ver­stand es, in der kur­zen Zeit sei­ner Zu­sam­men­ar­beit mit Clau­se­witz und den in sei­nem Ko­blen­zer Stab ver­sam­mel­ten Of­fi­zie­ren ei­ne ent­spann­te At­mo­sphä­re zu schaffen:

»(…) Um den kom­man­die­ren­den Ge­ne­ral herrsch­te ei­ne hei­te­re, geist­voll-an­ge­reg­te Ge­sel­lig­keit, wie er sie lieb­te. […] Max von Schen­ken­dorf be­sang die­se „Ta­fel­run­de am Rhein“, die er selbst als preu­ßi­scher Be­am­ter im Rhein­land miterlebte:

Der Sän­ger kommt zur gu­ten Stunde,
Und ihn emp­fängt ein hol­der Gruß,
Den Feld­herrn und die Tafelrunde,
Er­blickt er an dem grü­nen Fluß. (
…)«
(Vergl. »Gnei­se­nau ein Le­ben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S.335)

In Ber­lin am Ho­fe des Kö­nigs hör­te und las man da­von. Denn die »Maul­wür­fe«, wie Boy­en Zu­trä­ger vom Schla­ge Kalck­reuth und Gra­wert nann­te, und die nach 1815 nach wie vor um den Kö­nig wa­ren, wähn­ten dort am Rhein Ja­ko­bi­ner und Re­vo­lu­tio­nä­re und sorg­ten so für Miss­trau­en des Mon­ar­chen ge­gen­über den um Gnei­se­nau ver­sam­mel­ten Of­fi­zie­ren. Stab und Run­de in Ko­blenz wur­de mit »Wal­len­steins La­ger« be­zeich­net. In Ber­lin hat­te man of­fen­sicht­lich Schil­ler ge­le­sen. Fried­rich Wil­helm wird spä­ter ge­gen­über Gnei­se­nau ein­räu­men, dass er bei ihm an­ge­schwärzt wor­den sei.
(Vergl. »Gnei­se­nau ein Le­ben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S. 335)

Für Gnei­se­nau war das of­fen­sicht­lich auch der Haupt­grund für sei­nen über­ra­schen­den Ab­schied, um den er im Früh­jahr 1816 ein­kam. Der­ar­ti­ge Ver­däch­ti­gun­gen wa­ren für Gnei­se­nau, Clau­se­witz und die Re­for­mer kei­ne neue Erscheinung:

»(…) Gnei­se­nau be­ob­ach­te­te mit Un­mut die Wel­le po­li­ti­scher Ver­däch­ti­gun­gen, die 1815 ein­setz­te und zu den Ver­bots­maß­nah­men der nächs­ten Jah­re, schließ­lich zu der gro­ßen Dem­ago­gen­ver­fol­gung von 1819 führte. (…)«
(Vergl. »Gnei­se­nau Ein Le­ben in Brie­fen«, Hg. Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang, 1939, S. 335 bis 336)

Au­gust Wil­helm An­ton Graf Neid­hardt von Gnei­se­nau, (*1760; †1831) Quel­le: Wikipedia

Die Ge­schich­te des Wie­ner Kon­gres­ses mit ih­ren na­he­zu un­er­mess­li­chen Ver­hand­lungs­punk­ten, Ak­ten, Ein­zel­ver­trä­gen, An­hän­gen und Kon­ven­tio­nen, die sich von Sep­tem­ber 1814 bis Ju­ni 1815 hin­zog, hier dar­zu­stel­len, wä­re zu weit­läu­fig. Wir müs­sen aber be­mer­ken, dass die Ver­hand­lun­gen ei­nen sehr in­kon­stan­ten Ver­lauf nah­men, ehe sich Preu­ßen und Ös­ter­reich auf ei­nen Vor­schlag zu ei­ner »Bun­des­ver­fas­sung« ei­ni­gen konn­ten. Als Da­tum da­für ging der 23. Mai 1815 in die Ge­schich­te ein. Nach­dem die Wi­der­stän­de ei­ni­ger süd­deut­schen Staa­ten über­wun­den wa­ren, wur­de der Ver­fas­sungs­ent­wurf am 8. Ju­ni 1815 pa­ra­phiert und lag am 10. Ju­ni zur Un­ter­zeich­nung vor. Die sog. Deut­sche Bun­des­ak­te war so­mit ab 9. Ju­ni 1815 Be­stand­teil des Ver­trags­wer­kes des »Wie­ner Kon­gres­ses« un­ter »VIII. All­ge­mei­ne Ver­fü­gun­gen – Ar­ti­kel 118 – Con­fir­ma­ti­on der be­son­de­ren Trac­ta­ten und Acten«
(Vergl. staats​ver​trae​ge​.de/​F​r​i​e​d​e​n​1​814 bis 15/)

Ei­ne spä­te­re Er­gän­zung der Kon­gress­ak­te führ­te über die »Karls­ba­der Be­schlüs­se« (vom 6. bis 31. Au­gust 1819) vom 15. Mai 1820 an ge­ra­de­wegs zur Dem­ago­gen­ver­fol­gung, auf die wir hier spä­ter noch zu­rück­kom­men wer­den. Hein­rich von Treit­sch­ke be­merk­te zu die­ser Causa:

»(…) Der Be­frei­ungs­krieg hat­te die schwers­te Krank­heit des al­ten Staa­ten­sys­tems, die Zer­split­te­rung Deutsch­lands und Ita­li­ens, nicht ge­heilt. […] So ent­stand die Bun­des­ak­te, die un­wür­digs­te Ver­fas­sung, wel­che je ei­nem gro­ßen Kul­tur­vol­ke von ein­ge­bo­re­nen Herr­schern auf­er­legt ward, ein Werk, in man­cher Hin­sicht noch kläg­li­cher als das Ge­bäu­de des al­ten Rei­ches in den Jahr­hun­der­ten des Niederganges. (…)«
(Vergl. Treit­sch­ke »Deut­sche Ge­schich­te im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert«, H. Heff­ter, Bd.1, Krö­ner Ver­lag Leip­zig, S. 375 bis 377)

Wie­ner Kon­gress 1815 (Quel­le: SZ)

Wie wich­tig die Lö­sung der Ver­fas­sungs­fra­ge in­ner­halb Preu­ßens und ab 1815 auch in den Staa­ten des Bun­des war, se­hen wir an den Schwie­rig­kei­ten, kla­re va­li­de For­mu­lie­run­gen zu fin­den, die in der Aus­le­gung von Ge­set­zes­tex­ten ein­deu­tig wa­ren. Die Ver­fas­sungs­fra­ge lag auch nach dem Kon­gress mit sei­nen fol­gen­den Be­schlüs­sen lan­ge noch im Nebel.

Gleich­wohl wur­de wur­de in die­sem Zu­sam­men­hang erst­ma­lig zwi­schen zwei eu­ro­päi­schen Groß­mäch­ten – Ös­ter­reich und Preu­ßen – die »Ju­den­fra­ge« in Mit­tel­eu­ro­pa zur Ver­hand­lung ge­bracht und da­mit haben

»(…) Ös­ter­reich und Preu­ßen, sich mit al­ler Be­stimmt­heit vor ei­nem eu­ro­päi­schen Fo­rum für die Gleich­stel­lung der Ju­den aus­ge­spro­chen und sie in zä­hem Rin­gen ge­gen den Wi­der­stand ei­ner gro­ßen An­zahl von Klein­staa­ten durch­ge­setzt gesucht. (…)«
(Vergl. Un­ver­öf­fent­lich­te Ak­ten­stü­cke zur Ju­den­fra­ge auf dem Wie­ner Kon­gress (1814 bis 1815) S. Ba­ron, »Mo­nats­schrift für Ge­schich­te und Wis­sen­schaft des Ju­den­tums«, Jahrg. 70, H.11/12, Nov./Dez. 1926)

Der deut­sche His­to­ri­ker Prof. Dr. Ar­no Her­zig (*1937) teilt den Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zess in Preu­ßen im 19. Jahr­hun­dert in sechs Pha­sen ein. Be­gin­nend mit der ers­ten Pha­se, dem Über­gang vom 18. Jhd. zum 19. Jhd. bis nach 1870, der sechs­ten Pha­se, wo ei­ne deut­li­che Ab­kehr von den Ideen des bür­ger­li­chen Li­be­ra­lis­mus zu ver­zeich­nen war, hin zum An­wach­sen ei­ner an­ti­jü­di­schen Stim­mung, die ideo­lo­gisch im An­ti­se­mi­tis­mus ver­fes­tigt wur­de. 1879 be­geg­nen wir dem Be­griff »An­ti­se­mi­tis­mus«, ge­prägt durch den Mag­de­bur­ger Jour­na­lis­ten Fried­rich An­ton Marr (∗1819; †1904). Wir er­wähn­ten den Be­griff be­reits wei­ter oben.

Nach Har­den­bergs Ju­den­edikt und den Be­frei­ungs­krie­gen be­ginnt, so Her­zig, die zwei­te Pha­se, die Restaurationsphase.

»(…) Die zwei­te Pha­se, man kann sie als Re­stau­ra­ti­ons­pha­se be­zeich­nen, da­tiert von 1815 mit den Ent­schei­dun­gen auf und nach dem Wie­ner Kon­greß und en­det 1847, als die preu­ßi­sche Re­gie­rung ver­such­te, per Ge­set­zes­vor­la­ge auf dem 1. all­ge­mei­nen Preu­ßi­schen Land­tag, die jü­di­sche Min­der­heit als Kor­po­ra­ti­on aus der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft auszugliedern. (…)«
(Vergl. Ju­den in Preu­ßen – Ju­den in Ham­burg, HG P. Frei­mark, H. Ch­ri­si­ans Ver­lag, 1983, S. 33 bis 34)

Wir wol­len uns hier in un­se­rer wei­te­ren Be­trach­tung auf den Art. 16 der deut­schen Bun­des­ak­te kon­zen­trie­ren, der ei­nen Teil der Schluss­ak­te des Kon­gres­ses dar­stell­te. Die ei­gent­li­che For­mu­lie­rung, die un­ter zwei­fel­haf­ten Be­din­gun­gen zu­stan­de kam, hat­te gro­ßen Ein­fluss auf die Rechts­stel­lung der Ju­den im Gel­tungs­be­reich der Bun­des­ak­te. Die spä­te­re teil­wei­se re­strik­ti­ve Aus­le­gung des Ar­ti­kels 16 und die da­mit ver­bun­de­nen Fol­gen führ­ten auch zu In­ter­ven­tio­nen Russ­lands und Englands.

Schluss­ak­te des Wie­ner Kon­gres­ses – Bun­des­ak­te (Quel­le: Le­Mo dhm​.de)

Deut­sche Bundesakte
vom 8. Ju­ni 1815

»(…) Art 16. Die Ver­schie­den­heit der christ­li­chen Re­li­gi­ons-Par­the­yen kann in den Län­dern und Ge­bie­then des deut­schen Bun­des kei­nen Un­ter­schied in dem Ge­nus­se der bür­ger­li­chen und po­li­ti­schen Rech­te begründen.
Die Bun­des­ver­samm­lung wird in Be­ra­t­hung zie­hen, wie auf ei­ne mög­lichst über­ein­stim­men­de Wei­se die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Be­ken­ner des jü­di­schen Glau­bens in Deutsch­land zu be­wir­ken sey, und wie in­son­der­heit den­sel­ben der Ge­nuß der bür­ger­li­chen Rech­te ge­gen die Ueber­nah­me al­ler Bür­ger­pflich­ten in den Bun­des­staa­ten ver­schafft und ge­si­chert wer­den kön­ne; je­doch wer­den den Be­ken­nern die­ses Glau­bens bis da­hin die den­sel­ben von den ein­zel­nen Bun­des­staa­ten ein­ge­räum­ten Rech­te er­hal­ten. (…)«
(Vergl. do​cu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Der da­ma­li­ge Bund ver­füg­te we­der über ei­ne Bun­des­re­gie­rung, noch über ei­ne Volks­ver­tre­tung oder ein Bun­des­ge­richt. Die Bun­des­mit­glie­der soll­ten statt­des­sen Un­stim­mig­kei­ten ge­mäß des Art. 11 fried­lich in der Bun­des­ver­samm­lung vor­tra­gen. Aus Art. 11 Bundesakte:

»(…) Die Bun­des-Glie­der ma­chen sich eben­falls ver­bind­lich, ein­an­der un­ter kei­ner­ley Vor­wand zu be­krie­gen, noch ih­re Strei­tig­kei­ten mit Ge­walt zu ver­fol­gen, son­dern sie bey der Bun­des­ver­samm­lung an­zu­brin­gen. Die­ser liegt als­dann ob, die Ver­mitt­lung durch ei­nen Aus­schuß zu ver­su­chen; falls die­ser Ver­such fehl­schla­gen soll­te, und dem­nach ei­ne rich­ter­li­che Ent­schei­dung not­hwen­dig wür­de, sol­che nur ei­ne wohl­ge­ord­ne­te Aus­träg­al In­stanz zu be­wir­ken, de­ren Aus­spruch die strei­ten­den Thei­le sich so­fort zu un­ter­wer­fen haben. (…)«
(Vergl. do​cu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Ge­mäß des Art.13 der Bun­des­ak­te soll­ten al­le Mit­glie­der ih­ren Völ­kern ei­ne Ver­fas­sung ge­ben: »(…) Art. 13. In al­len Bun­des­staa­ten wird ei­ne Land­stän­di­ge Ver­fas­sung stattfinden. (…)«
(Vergl. do​cu​men​ten​ar​chiv​.de Art 16. Deut­sche Bundesakte)

Die Ar­ti­kel 11 und 13 soll­ten die Grund­la­ge für den Art. 16 bil­den. Wie ei­ne Rei­he an­de­rer Ar­ti­kel wur­den die­se kaum oder nur teil­wei­se um­ge­setzt. Die hier dar­ge­stell­te End­fas­sung des Art. 16 führ­te in ei­ni­gen Staa­ten so­gar zu Re­pres­sio­nen ge­gen­über Juden.

Die hier zu le­sen­de Fas­sung des Art.16 war nicht die ur­sprüng­li­che, so wie sie un­ter an­de­rem durch die Mit­wir­kung von Har­den­berg und W. v. Hum­boldt ge­dacht war. Die­se lau­te­te im Text an ent­schei­den­der Stelle:

»(…) Die Bun­des­ver­samm­lung wird in Be­ra­tung neh­men, wie auf mög­lichst über­ein­stim­men­der Wei­se die bür­ger­li­che Ver­bes­se­rung der Ju­den zu er­wir­ken sei, und wie in­son­der­heit den­sel­ben der Ge­nuß der bür­ger­li­chen Rech­te ge­gen die Über­nah­me al­ler Bür­ger­pflich­ten in den Bun­des­staa­ten ver­schafft oder ge­si­chert wer­den kön­nen. Je­doch sol­len den Ju­den bis da­hin die den­sel­ben in den Bun­des­staa­ten be­reits ein­ge­räum­ten Rech­te er­hal­ten blei­ben. (…)«
(Vergl. »Zur Ge­schich­te der Ju­den im Ge­biet der ehe­ma­li­gen Graf­schaft Ha­nau«, Ha­nau­er Ge­schichts­blät­ter, Bd. 19, 1963, S. 115)

In pri­mo aspec­to wird dem ge­neig­ten Le­ser der si­gni­fi­kan­te Un­ter­schied zwi­schen den For­mu­lie­run­gen im letz­ten Satz des Ar­ti­kels nicht so­fort auf­fal­len. Aber im ers­ten Ent­wurf hat­te es ge­hei­ßen »in den Staa­ten« und nicht »von den Staa­ten«. Ei­ni­ge His­to­ri­ker mei­nen, dass die­se Än­de­rung ei­gen­mäch­tig und un­be­fug­ter­wei­se vor­ge­nom­men wur­de. Die Be­deu­tung des­sen war:

»(…) und das wur­de so in­ter­pre­tiert, daß da­mit die Rech­te ge­meint sei­en, die von den ört­li­chen Re­gie­run­gen er­las­sen wor­den wa­ren, die vor Na­po­lé­on an der Macht wa­ren und ih­ren Platz da­nach wie­der ein­ge­nom­men hatten. (…)«
(Vergl. Ja­kob Katz »Vom Vor­ur­teil bis zur Ver­nich­tung – Der An­ti­se­mi­tis­mus 1700 bis 1933«, Uni­on Ver­lag, 1980, S. 79)

In den »Ha­nau­er Ge­schichts­blät­tern« le­sen wir fol­gen­de Dar­stel­lung über die Hin­ter­grün­de der Veränderungen:

»(…) Das Pro­to­koll des Kon­gres­ses wur­de durch den be­stech­li­chen Gentz ge­führt, der im Schluß­pro­to­koll vom 8. Ju­ni 1814 un­be­fug­ter­wei­se dem An­trag des Bre­mer Se­na­tors Schmidt statt­gab, das Wort »in« durch das Wort »von« zu er­set­zen. Da­durch wur­den ge­gen ge­gen den Wil­len der Kon­greß­mehr­heit die Er­run­gen­schaf­ten der Ju­den in der na­po­leo­ni­schen Zeit zu­nich­te gemacht.(zitiert nach Graetz). Das ging bis zu dem Ex­trem, daß Bre­men und Lü­beck nach dem Wie­ner Kon­greß ih­re jü­di­schen Bür­ger auswiesen. (…)«
(Vergl. »Zur Ge­schich­te der Ju­den im Ge­biet der ehe­ma­li­gen Graf­schaft Ha­nau«, Ha­nau­er Ge­schichts­blät­ter-Bd. 19, 1963, S. 115)

Gentz, Fried­rich von Gentz (∗1764; †1832) war der »Se­kre­tär Eu­ro­pas«. Go­lo Mann be­schreibt die­se his­to­ri­sche Fi­gur in »Fried­rich von Gentz. Ge­schich­te ei­nes eu­ro­päi­schen Staats­man­nes« folgendermaßen:

»(…) Ei­ne Stel­lung, ge­eig­ne­ter sei­ne Ta­len­te spie­len zu las­sen, konn­te der va­ter­lands­lo­se Staats­mann sich nicht er­träu­men. Er war der Se­kre­tär Eu­ro­pas. Er war der Spre­cher und Be­ra­ter ei­ner Staa­ten­ge­mein­schaft, in der er seit fünf­und­zwan­zig Jah­ren mit sei­nen Ge­dan­ken ge­lebt hat­te, und die sich jetzt, auf ei­nen Ort kon­zen­triert, zum ersten­mal zu ver­wirk­li­chen schien. (…)«
(Vergl. Go­lo Mann, »Fried­rich von Gentz – Ge­schich­te ei­nes eu­ro­päi­schen Staats­man­nes«, Ull­stein, 1972, S. 227)

Fried­rich von Gentz (*1764; †1832) Quelle:Wikisource

Am 20. Ju­ni 1815 mel­det Gentz an Met­ter­nich (∗1773; †1859), dem Spi­ri­tus Rec­tor des Wie­ner Kon­gres­ses, folgendes:

(…) Ges­tern Abend sind die Ori­gi­na­li­en des Kon­gress­in­stru­ments un­ter­zeich­net wor­den. Die­se Sit­zung, die in Ew. Durchl. Vor­zim­mer ne­ben Ih­rem Ka­bi­nett ge­hal­ten wur­de, hät­te fei­er­lich und im­po­sant sein kön­nen und sol­len; sie war es aber nicht, weil sich je­der zu sehr mit der Sor­ge für sein ei­ge­nes Ex­em­plar beschäftigte (…)«
(Vergl. »Brie­fe von und an Fried­rich von Gentz« Hg. F. C. Wit­ti­chen & E. Salzer, 3. Bd., 1913/Reprint, S. 305)

Bes­ser als Gentz sel­ber konn­te die At­mo­sphä­re, die auf dem Kon­gress herrsch­te, wohl kei­ner cha­rak­te­ri­sie­ren. Im­mer­hin muss­te der „Se­kre­tär Eu­ro­pas“ For­de­run­gen, Bit­ten und Vor­schlä­ge von über zwei­hun­dert Staa­ten, Fürs­ten­tü­mern und reichs­frei­en Städ­ten fil­tern, bün­deln, ver­wer­fen las­sen und am En­de zu Pa­pier brin­gen und dar­über hin­aus noch da­für sor­gen, dass Fürst Met­ter­nich den In­halt der Kor­re­spon­denz der Par­tei­en des Kon­gres­ses kann­te. Der deut­sche His­to­ri­ker und na­tio­nal­li­be­ra­le Po­li­ti­ker Ge­org Gott­fried Ger­vi­nus (∗1805; †1871), wird 1855 über die beim Kon­gress ver­sam­mel­ten Staa­ten urteilen:

»(…) Kei­ner war im Stan­de, den schad­haf­ten Stoff der deut­schen Ver­hält­nis­se für ei­ne na­tür­li­che und ge­sun­de Staats- oder Bun­des­bil­dung taug­lich zu ma­chen. Kei­ner hat aber auch nur auf dem Pa­pier ei­nen Ent­wurf nie­der­ge­legt, in dem die wun­den Stel­len die­ses Staats­we­sen mit si­che­rer Hand be­zeich­net und die Mit­tel zu ei­ner gründ­li­chen Hei­lung an­ge­ge­ben wären. (…)«
(Vergl. Ge­org Gott­fried Ger­vi­nus, »Ge­schich­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts«, Bd. 1, Leip­zig 1855, S. 305)

Gervinus´Einschätzung trifft voll in­halt­lich auf die Be­mü­hun­gen und die Wi­der­stän­de zu, die in Fra­gen der Eman­zi­pa­ti­on der Ju­den in Preu­ßen und den an­de­ren Teil­neh­mer­staa­ten 1815 herrsch­ten. Noch zu Leb­zei­ten Clau­se­witz´ wird es ei­ne »Bü­cher­ver­bren­nung« durch Bur­schen­schaf­ten auf der Wart­burg 1817, die sog. Hepp-Hepp Be­we­gung 1819, die Ju­li­re­vo­lu­ti­on in Frank­reich 1830 so­wie die bel­gi­schen und pol­ni­schen Un­ru­hen 1830 bis 1831 ge­ben. In­wie­weit Carl das re­flek­tie­ren und kom­men­tie­ren wird, wol­len wir ver­su­chen im Wei­te­ren noch darzustellen.

Zu Gentz und Clau­se­witz kön­nen wir zu­nächst schon ei­ne his­to­ri­sche Ver­bin­dung her­stel­len. In ei­nem Vor­trag von Prof. Bru­no Col­son (*1957), dem bel­gi­schen His­to­ri­ker und Ken­ner der Kriegs- und Stra­te­gie­ge­schich­te (mo­der­ne und zeit­ge­nös­si­sche Epo­chen), an­läß­lich des 240. Ge­burts­tag des Carl von Clau­se­witz, wird die­se dar­ge­stellt. Ver­öf­fent­licht im »Bur­ger Clau­se­witz Jahr­buch 2020«.

Fort­set­zung Teil XIV

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