Teil XII


Die Natio­nal­be­we­gung,
gerich­tet gegen die napo­leo­ni­sche Hege­mo­ni­al­macht, hat­te wei­te Tei­le Euro­pas, hier vor allem Preu­ßen, poli­tisch, mili­tä­risch, öko­no­misch, reli­gi­ös und natür­lich auch geis­tig in eine nie zuvor gese­he­ne Bewe­gung gebracht. Der Kampf der Ele­men­te des for­mel­len Fort­schrit­tes, gebracht durch die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on, mit den Erschei­nun­gen des Des­po­tis­mus Napo­le­ons, schlug sich unmit­tel­bar in den Befrei­ungs­krie­gen nie­der. Eines der Ele­men­te die­ser Bewe­gung war die ein­ge­lei­te­te Eman­zi­pa­ti­on der preu­ßi­schen Juden, die ein­her ging mit ana­lo­gen Bemü­hun­gen in nahe­zu allen deut­schen Teil­staa­ten und Österreich.

Unse­re Bemü­hun­gen bis­her waren dar­auf gerich­tet, den Anteil Carl von Clau­se­witz´ bzw. sei­ne per­sön­li­che Sicht zu Fra­gen der Juden in Preu­ßens dar­zu­stel­len. Wie wir bis­her gese­hen haben, bie­tet die Quel­len­la­ge nicht viel, außer die damals berech­tigt geäu­ßer­te Feind­schaft, den Kai­ser der Fran­zo­sen betref­fend, und eine Rei­se­schil­de­rung, die über­wie­gend xeno­phob for­mu­liert war. Für bei­de Fak­ten hat­ten wir eine mög­li­che Erklä­rung des­sen ange­bo­ten, ohne For­mu­lie­run­gen in Inhalt und Form zu entschuldigen.

An die­ser Stel­le ver­su­chen wir einen Zugang Clausewitz´zu der o. g. Natio­nal­be­we­gung zu fin­den. Zum Zeit­punkt der Krie­ge in den Jah­ren 1813/​14/​15 stand für den ange­hen­den Mili­tär­phi­lo­so­phen das Ele­ment der Volks­be­waff­nung im Vor­der­grund sei­ner gedank­li­chen Arbeit.

Clau­se­witz erkann­te die Kraft, die einer natio­na­len »Kampf­ge­mein­schaft« inne­wohnt, wenn die­se geweckt und geführt wird. Sei­ne Inten­ti­on und die der füh­ren­den Refor­mer des dama­li­gen preu­ßi­schen Mili­tär­we­sens war es, eine gene­rel­le militär-​politische Ver­än­de­rung in Preu­ßen her­bei­zu­füh­ren. Das spie­gel­te sich in der »Ver­ord­nung über den Land­sturm« vom 21. April 1813 wider, die Scharn­horst und Gnei­se­nau vor­an­ge­trie­ben haben und an der Clau­se­witz kei­nen gerin­gen ideel­len Anteil hat­te. Die­se Ver­ord­nung folg­te unmit­tel­bar auf die »Ver­ord­nung über die Land­wehr« vom 17.03.1813, in der die Bil­dung eines »Land­sturms« gefor­dert und durch F. W. III gezeich­net wurde:

»(…) Preu­ßen! zu die­sem Zwe­cke ist es not­wen­dig, dass eine all­ge­mei­ne Land­wehr aufs Schleu­nigs­te errich­tet und ein Land­sturm ein­ge­lei­tet werde. (…)«
(Vergl. epo­che napo​le​on​.net/​q​u​e​l​l​e​n​/​1​813)

Gezeich­net durch F. W. III.

In der »Ver­ord­nung über den Land­sturm« heißt es:

»(…) Ver­ord­nung über den Land­sturm. Vom 21sten April 1813. Ich habe Mei­nem getreu­en Vol­ke die Voll­endung der Lan­des­be­waff­nung durch den Land­sturm ver­hei­ßen. Die Land­wehr ist, wie Ich mit dank­ba­rer Aner­ken­nung sol­ches Eifers und sol­cher Anstren­gun­gen erfah­re, in allen Pro­vin­zen für errich­tet anzu­neh­men. Es soll daher über­all sofort zur Ein­rich­tung des Land­sturms mit der bis­he­ri­gen Thä­tig­keit geschrit­ten wer­den, damit der Feind, wie auch die Erfol­ge Unse­rer Waf­fen, die in Got­tes Hand lie­gen, seyn mögen, gewahr wer­de, daß ein Volk nicht besiegt wer­den kann, wel­ches eins mit sei­nem Köni­ge ist. (…)«
(Vergl. www.5‑preussische-brigade.de/wb/media/PDF/VerordnungLandsturm.pdf)

In 85 § leg­te F. W. III. dezi­diert Rol­le und Auf­ga­be eines Land­stur­mes fest. Bemer­kens­wert wie­der­um der § 1 des Erlas­ses, der auf die Ein­heit von Bür­ger und Staat ver­wies, wie wei­ter oben schon dargelegt:

»(…) Hat auch der Angrei­fer die Wahl des Angriffs-​Punktes für sich, Vater­lands­lie­be, Aus­dau­er, Erbit­te­rung, nähe­re Hülfs­quel­len geben, auf die Län­ge dem Vert­hei­di­ger das Ueber­ge­wicht. […] § 1 Jeder Staats­bür­ger ist ver­pflich­tet, sich dem andrin­gen­den Fein­de mit Waf­fen aller Art zu wider­set­zen, sei­nen Befeh­len und Aus­schrei­bun­gen nicht zu gehor­chen, und wenn der Feind sol­che mit Gewalt bei­trei­ben will, ihm durch alle nur auf­zu­bie­ten­de Mit­tel zu scha­den. […] Ein sol­ches Volk und sol­che Anstren­gun­gen seg­net Gott! Gege­ben Bres­lau, den 21. April 1813. (…)«
(Vergl. www.5‑preussische-brigade.de/wb/media/PDF/VerordnungLandsturm.pdf)

In der Peri­ode der Befrei­ungs­krie­ge spiel­ten natür­lich die Ideen des Tiro­ler Auf­stan­des im Jah­re 1908, der spa­ni­schen Gue­ril­la seit 1807 sowie der Auf­stand in der Ven­deé 1793 bis 1796 eine ent­schei­den­de Rol­le in den Gedan­ken der Refor­mer. In Clau­se­witz´ Denk­schrift »Bekennt­nis­schrift« von 1812 – wir ver­wie­sen bereits dar­auf – spürt man förm­lich den patrio­ti­schen Wider­stands­geist. Auch der Phi­lo­soph J. G. Fich­te war von der Not­wen­dig­keit die­ses Krie­ges über­zeugt. Im Som­mer des Jah­res 1813 sprach er in einer Vor­le­sung »über den Begriff des wahr­haf­ten Krie­ges«. Fich­te stell­te die Fra­ge nach dem wahr­haf­ten Krieg in drei öffent­li­chen Vor­le­sun­gen dar. Dar­in for­mu­liert er, dass die­ser Krieg – gemeint der jet­zi­ge von 1813 – kein Krieg der »Herr­scher­fa­mi­lie«, son­dern ein Krieg des Vol­kes sei. Nach den ver­schie­de­nen Edik­ten und Ver­ord­nun­gen des Königs von Preu­ßen im Zuge der Regie­rungs­re­for­men der Jah­re zuvor for­mu­liert Fich­te, dass die Frei­heit »eines jeden« bedroht sei:

»(…) Alle sind frei, jeder für sei­nen Theil: alle müs­sen drum ihre Frei­heit selbst für ihren Theil vert­hei­di­gen. Kei­ne Stell­ver­tre­tung, wie in jenem Systeme. (…)«
(Vergl. Fich­te, Johann Gott­lieb »Über den Begriff des wahr­haf­ten Krie­ges im Bezug auf den Krieg im Jah­re 1813«, Reprint, Tübin­gen 1815 in Histo­ry, S. 32)

Fich­te kommt zur Erkenntnis:

»(…) Nur wenn der Krieg die­se Frei­heit erbringt und nur wenn er zu die­sem Zwe­cke auch geführt wird, erst dann kann man von einem wahr­haf­ten Krieg sprechen. (…)«
(Vergl. Fich­te »Die Staats­leh­re oder das Ver­hält­nis des Urstaa­tes zum Ver­nunft­rei­che«“, Vor­le­sun­gen 1813)

Fich­tes For­mu­lie­run­gen stel­len eine der sel­te­nen, nicht oft erleb­ten Fäl­le dar, wo Wis­sen­schaft und Regie­rung über­ein­kom­men, da der Staat und die Behör­den mit ihren Edik­ten und Ver­ord­nun­gen den Krieg im Jahr 1813 als einen »wahr­haf­ti­gen« erklärt hatte.
(Vergl. Nati­on und Iden­ti­tät: die poli­ti­schen Theo­lo­gien von Ema­nu­el Hirsch, A. Holz­bau­er, Mohr Sie­beck, Tübin­gen 2012, S. 76)

Fich­te trat sel­ber als Land­sturm­mann auf – Kari­ka­tur – Quel­le de​.wik​is​our​ce​.org

Fich­te mel­de­te sich zur Land­wehr, er woll­te als Pre­di­ger fun­gie­ren, was jedoch abschlä­gig beschie­den wur­de. Trotz­dem bot Fich­te mit dem Kol­le­gi­um der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät ein his­to­risch anmu­ti­ges und patrio­ti­sches Bild die­ser Zeit.

»(…) Da er im Fel­de kei­ne Ver­wen­dung fand, so wur­de er ein eif­ri­ges Mit­glied des sich bil­den­den Land­sturms, dem der Schutz des hei­mi­schen Her­des anver­traut war. Mit Fich­te tra­ten fast alle Leh­rer der Ber­li­ner Hoch­schu­le in den Land­sturm ein, dar­un­ter Män­ner wie Butt­mann, Boekh, Sol­ger, Nean­der, Savi­gny, Lich­ten­stein, Erman, Zeu­ne und vor Allen der berühm­te Schlei­er­machr. Fei­er­lich ver­ban­den sie sich zum Schut­ze für das Vater­land, und daß sie selbst den Tod nicht scheu­ten, beweist das fol­gen­de inter­es­san­te Acten­stück: „Da unter den gegen­wär­ti­gen Kriegs­ver­hält­nis­sen jeder tüch­ti­ge Mann der Gefahr aus­ge­setzt ist, bei Vert­hei­di­gung des Vater­lan­des sein Leben zu ver­lie­ren und sei­ne Fami­lie hül­f­los zu hin­ter­las­sen, so ver­pflich­ten sich die Unter­zeich­ne­ten auf ihr Gewis­sen und ihre Ehre, falls einer oder meh­re­re im Krie­ge umkom­men soll­ten, für deren Hin­ter­blie­be­ne Wei­ber und Kin­der theils durch eige­ne Bei­trä­ge, theils durch alle mög­li­che Ver­wen­dung beim Staa­te, oder wo irgend Bei­hül­fe zu erwar­ten sein könn­te, der­ge­stalt zu sor­gen, daß die Sub­sis­tenz der­sel­ben gesi­chert sei, es mag nun der Fami­li­en­va­ter im Kamp­fe selbst oder als Opfer des Krie­ges ver­stor­ben sein. Auf die Wei­se den ehren­vol­len Dienst für das Vater­land ein­an­der wech­sel­sei­tig zu erleich­tern, ver­spre­chen die Unter­zeich­ne­ten fei­er­lich durch ihre Unterschrift“. (…)«
(Vergl. »Fich­te und der Ber­li­ner Land­sturm«, Die Gar­ten­lau­be, Heft 25, S. 395 bis 397)

Für die Jah­re 1813/​15 errech­ne­te Mar­tin Phil­ipp­son 1906, dass – bezo­gen auf die damals rund 30.000 Juden, die in Preu­ßen leb­ten – allei­ne 444 Frei­wil­li­ge zur Fah­ne gin­gen, was einem rela­ti­ven Anteil von 1,43% ent­sprach. Hier­bei nicht gerech­net die­je­ni­gen Juden, die offi­zi­ell kon­skri­biert wur­den. Die vor­han­de­nen Gesamt­zah­len sind sehr unter­schied­lich und wur­den spä­ter nach den Krie­gen immer wie­der ange­zwei­felt. Die Zah­len der Frei­wil­li­gen dürf­ten ins­ge­samt nicht genau sein, weil vie­le jun­ge Män­ner bei der Aus­he­bung ihre jüdi­sche Her­kunft ver­schwie­gen hat­ten. Zumal die Stamm­rol­len 1813 bis 1814 nicht sehr aus­sa­ge­kräf­tig waren oder gar fehl­ten. Erst 1815 trat dann eine Bes­se­rung ein.

Ein frü­he­rer jüdi­scher Kriegs­frei­wil­li­ger pro­tes­tier­te am 19. Novem­ber 1843 in der »Vos­si­schen Zei­tung« gegen fal­sche Anga­ben, die jüdi­schen Frei­wil­li­gen betreffend:

»(…) Vie­le jüdi­sche Frei­wil­li­ge hät­ten sich über­haupt nicht als Juden zu erken­nen gege­ben. Der Ein­sen­der habe in dem Detache­ment frei­wil­li­ger Jäger des 3. Ost­preu­ßi­schen Land­wehr­re­gi­ments gedient und dort wären allein gegen 30 Juden gewe­sen. […] vie­le Juden zogen es aus leicht begreif­li­chen Grün­den vor, sich als „evan­ge­lisch“ zu bezeichnen. (…)«
〈Vergl. »Die jüdi­schen Frei­wil­li­gen im preu­ßi­schen Hee­re wäh­rend der Befrei­ungs­krie­ge 1813/​1814«, Prof. Dr. Mar­tin Phil­ipp­son, Zeit­schrift im deut­schen Reich, 1906, Ber­lin, Nr. 7/​8)

Wo sehen wir nun den wei­te­ren Ein­fluss Clau­se­witz´ auf die Pro­ble­ma­tik der Eman­zi­pa­ti­on der Juden in Preu­ßen? Wir gehen in unse­rer Betrach­tung davon aus, dass der Offi­zier im Dienst der rus­si­schen und dann wie­der in der preu­ßi­schen Armee die Kriegs­er­eig­nis­se der Kam­pa­gnen 1813 bis 1815 genau beob­ach­te­te und begann, die­se für sei­ne spä­te­re geis­ti­ge Arbeit zu verarbeiten.

Als gesi­chert soll­ten wir anneh­men, dass Clau­se­witz nicht gegen den Dienst jüdi­scher Bür­ger im preu­ßi­schen Heer unter den Bedin­gun­gen des Krie­ges gestan­den hat. Eher schloss er sich Scharn­horst, Gnei­se­nau, Boy­en, Grol­mann, Har­den­berg und Stein an, die jeden ein­zel­nen Bür­ger Preu­ßens an der Waf­fe sehen woll­ten wenn­gleich wohl vor­erst doch wohl nur tem­po­rär für die Dau­er der Gefahr­ab­wen­dung bis zum fina­len Sieg über Napo­le­on. Nach 1815 hat­ten die Refor­mer so gut wie kei­nen Ein­fluss mehr auf die­se wich­ti­ge Fra­ge und den Ver­lauf des begon­nen Weges. Das Ziel, die Land­wehr als stän­di­ges selbst­stän­di­ges Ele­ment neben den Lini­en­trup­pen zu hal­ten, scheiterte.

In sei­nem Haupt­werk »Vom Krie­ge« wird Clau­se­witz die Erfah­run­gen der Krie­ge 1813 bis 1815 ver­ar­bei­tet haben und die Ele­men­te des Krie­ges, wie erlebt, beschrei­ben. So for­mu­liert er, der Krieg, wäre:

»(…) nicht nur ein wah­res Cha­mä­le­on, weil er in jedem kon­kre­ten Fal­le sei­ne Natur etwas ändert, son­dern er ist auch sei­nen Gesamt­erschei­nun­gen nach in Bezie­hung auf die in ihm herr­schen­den Ten­den­zen eine wun­der­li­che Drei­fal­tig­keit, zusam­men­ge­setzt aus der ursprüng­li­chen Gewalt­sam­keit sei­nes Ele­ments, dem Haß und der Feind­schaft, die wie ein blin­der Natur­trieb anzu­se­hen sind, aus dem Spiel der Wahr­schein­lich­kei­ten und des Zufalls, die ihn zu einer frei­en See­len­tä­tig­keit machen, und aus der unter­ge­ord­ne­ten Natur eines poli­ti­schen Werk­zeu­ges, wodurch er dem blo­ßen Ver­stan­de anheimfällt. (…)«
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Kap.I, 28. Resul­tat für die Theo­rie, Ver­lag MFNV, Ber­lin 1957, S. 36)

Wie wir Clau­se­witz ver­ste­hen kön­nen, han­del­ten in den Krie­gen 1813/​14/​15 das Volk, die Feld­her­ren und das Heer, der Staat und die Regie­rung for­mal zusam­men. Dem­nach waren die Befrei­ungs­krie­ge eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Erschei­nung von ganz beson­de­rer Bedeu­tung. Eine Stern­stun­de in der deut­schen Geschich­te, mit Leucht­kraft bis in die Gegen­wart. Das Spiel der Kräf­te des Krie­ges, Hass und Feind­schaft als blin­der Natur­trieb, im Spiel der frei­en See­len­tä­tig­keit und der nicht bere­chen­ba­ren Frik­tio­nen, der die Trup­pen mit ihren Heer­füh­rern ver­band, war nicht nur eine (militär)politische Frage.

Anders als in den Krie­gen der Anci­en Régime spiel­ten Geist, Kul­tur und Moral der Trup­pen und des Vol­kes eine ent­schei­den­de Rol­le. Die neue Stra­te­gie und Tak­tik der Mili­tärs, die poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung durch Regie­rung und die geis­tig kul­tu­rel­le Ebe­ne in Preu­ßen kenn­zeich­ne­te die erbit­ter­ten mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen die­ser Zeit. Es gelang die Bil­dung eines Kampf­bun­des unter Ein­schluss der jüdi­schen Staats­bür­ger, der letzt­end­lich auch zum Erfolg des Jah­res 1815 ent­schei­dend beitrug.

Das Jahr 1814 sah Clau­se­witz abseits der gro­ßen krie­ge­ri­schen Ereig­nis­se. Schon die Völ­ker­schlacht bei Leip­zig 1813 ver­lief ohne sei­ne Betei­li­gung. Sein Kampf­platz war mit der Russisch-​Deutschen Legi­on unter Wall­mo­den, spä­ter Deut­schen Legi­on, das nörd­li­che Kriegs­thea­ter. Auch im fol­gen­den Jahr war er nicht in der Nähe von Blü­cher und Gnei­se­nau. Zu sei­nem Bedau­ern waren ihm mili­tä­ri­sche Lor­bee­ren wie­der­um versagt.

Erst die Ereig­nis­se des Jah­res 1815 sahen Clau­se­witz in einer her­vor­ge­ho­be­nen mili­tä­ri­schen Posi­ti­on. Unter Gene­ral von Thiel­mann (*1765; †1824) als Gene­ral­stabs­chef des III. Korps führ­te Clau­se­witz die Trup­pen erfolg­reich im hin­hal­ten­den Kampf gegen das 30.000 Mann star­ke Korps des fran­zö­si­schen Mar­schalls Grouchy (*1766; †1847) und trug damit zum Erfolg Wel­ling­tons und Blü­chers bei Water­loo bei. Korps­chef Thiel­mann stell­te sei­nem Stabs­chef zunächst unter dem 31.08.1815 ein gutes Zeug­nis aus:

»(…) Er füllt sei­nen Pos­ten mit gro­ßer Aus­zeich­nung, ist ein Mann von eben­so­viel Geist als mora­li­schem Wert und steht im Gene­ral­stab ganz an sei­nem Platze. (…)«
(Vergl. Pries­dorff, Füh­rer­tum, Bd. 5, S. 68)

Aller­dings wider­spricht sich Thiel­mann spä­ter, als er Clau­se­witz für den mehr oder weni­ger unglück­li­chen Rück­zug des III. Armee­korps am 19. Juni 1815 ver­ant­wort­lich machte.
(Vergl. Clausewitz´eigene Dar­stel­lung: Feld­zug von 1815, 1835, S .130 ff.)

Thiel­manns Nach­tre­ten ist so unsach­lich wie unfair und eines Kom­man­die­ren­den unwür­dig. Jeder höher aus­ge­bil­de­te Mili­tär wird bestä­ti­gen, dass die Ver­ant­wor­tung für einen Ent­schluss immer beim Kom­man­die­ren­den liegt, der die Ent­schluss­vor­la­gen sei­nes Stabs­chefs ent­we­der annimmt, gege­be­nen­falls kor­ri­gie­ren oder – wenn not­wen­dig – ver­wer­fen muss.

Davon konn­te Thiel­mann sich nicht im Nach­hin­ein los­sa­gen. Jedoch muss­te die­se Mei­nung Thiel­manns, dem König zu Ohre kom­mend, ein neu­er Bau­stein des Miss­trau­ens wer­den. Ein erneu­ter Ver­such, ein Kom­man­do über eine Trup­pe zu bekom­men, wur­de könig­lich abge­wie­sen. So hieß es in einer Ableh­nung des Königs:

»(…) Ich kann Ihr Gesuch vom 1. die­ses, Sie in der Lini­en­in­fan­te­rie wie­der anzu­stel­len, jetzt nicht erfül­len, bin aber über­zeugt, daß Sie jeden Pos­ten, wel­chen ich ihnen über­tra­ge, zu mei­ner Zufrie­den­heit aus­fül­len wer­den, und ermah­ne Sie daher, der Ihnen gege­be­nen Bestim­mung mit Zuver­sicht auf ihren Eifer für den Dienst ent­ge­gen zu gehen. (…)«
(Vergl. Pries­dorf, Füh­rer­tum, Bd.5, S. 68)

Ableh­nung, Lob und vor­aus­ei­len­de miss­traui­sche Mah­nung, … der Preu­ßen­kö­nig war ein selt­sa­mer Päd­ago­ge. Clau­se­witz wird bis zu sei­nem Tode damit leben müssen.

Water­loo 1815, Erstür­mung Plan­cenoits durch die Preu­ßen Quel­le: wiki­me­dia commons)

Water­loo am 18. Juni 1815 – Napo­le­on ist besiegt und end­gül­tig geschla­gen. An die­sem denk­wür­di­gen Tag in der Schlacht von Water­loo kämpf­ten rund 68.000 Bri­ten und ver­bün­de­te Kon­tin­gen­te gemein­sam mit etwa 45.000 Preu­ßen gegen die Trup­pen des napo­leo­ni­schen Frank­reichs mit einer Stär­ke von 72.000 Mann und besieg­ten die­se. Am Abend die­ses Tages lagen rund 50.000 Män­ner tot oder ver­wun­det auf der nur 2,5 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Wal­statt. Dar­un­ter auch 10.000 Pfer­de. Die Preu­ßen hat­ten wie­der­um etwa 7.000 Mann ver­lo­ren. Die Zahl der betei­lig­ten preu­ßi­schen Juden an die­ser Schlacht ist heu­te nicht mehr annä­hernd zu veri­fi­zie­ren. Am Anfang unse­rer Betrach­tung ver­wie­sen wir auf Fol­gen­des: »Allein in der Schlacht von Belle-​Aliance fie­len 55 jüdi­sche Artilleristen«. 

Die Tra­gik die­ser Geschich­te ist: Schon die jüdi­schen Sol­da­ten der Krie­ge 1813 bis 1815, so wie ihre Kame­ra­den in den spä­te­ren Krie­gen, wur­den nach und nach ver­ges­sen. Nur in ganz weni­gen Aus­nah­me­fäl­len wur­de ihr Ein­satz gebüh­rend gewür­digt. Von Anbe­ginn der Eman­zi­pa­ti­on waren jüdi­sche Sol­da­ten »Kame­ra­den zwei­ter Klas­se«. Die von König und Staat ver­spro­che­nen Erleich­te­run­gen wur­den nicht gewähr­leis­tet und bereits in Kraft getre­te­ne teil­wei­se zurück­ge­nom­men. Ihre Teil­ha­be an der Befrei­ung Preu­ßens wur­de bereits nach dem Kriegs­en­de bezwei­felt. Nicht sel­ten wur­de ihnen vor­ge­wor­fen, sie sei­en »Drü­cke­ber­ger«.

Den geblie­be­nen jüdi­schen Sol­da­ten der Krie­ge von 1813 bis 1815 sei an die­ser Stel­le noch ein­mal das Toten­ge­bet »El male racha­mim« (Gott vol­ler Erbar­men) gewidmet.

El Male Rachamim
Gott vol­ler Erbarmen

»Gott vol­ler Erbarmen,in den Him­mels­hö­hen thronend,
es sol­len fin­den die ver­dien­te Ruhestätte
unter den Flü­geln Dei­ner Gegenwart,
in den Rän­gen der Hei­li­gen, der Rei­nen und der Helden
strah­lend wie der Glanz des Himmels,
die See­len der Gefallenen …..«

Es ist Zeit, noch ein­mal auf unse­ren Frei­wil­li­gen, Land­wehr­mann Aaron, zurück­zu­kom­men. Viel­leicht sah sei­ne Heim­kehr nach den Krie­gen so aus wie auf dem nach­fol­gen­den Bild des Malers Moritz Dani­el Oppen­heim (*1880; †1882) dargestellt.
(Moritz Dani­el Oppen­heim war ein deut­scher Porträt- und His­to­ri­en­ma­ler, der neben Por­träts auch häu­fig Milieu­stu­di­en in Öl mal­te. Er gilt als ers­ter jüdi­scher Maler, der eine welt­wei­te Bekannt­heit erreichte.)

Heim­kehr des jüdi­schen Frei­wil­li­gen Quel­le: Wikipedia

In den abschlie­ßen­den Betrach­tun­gen wer­den wir noch ein­mal ver­su­chen, Clau­se­witz im Ver­lauf der wei­te­ren Geschich­te der »Eman­zi­pa­ti­on« der Juden in Preu­ßen zu folgen.

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Fort­set­zung Teil XIII