Teil VIII

Hein­rich von Kleist, Dich­ter und ge­we­se­ner Lieu­ten­ant der preu­ßi­schen Ar­mee, schreibt:

»(…) Die Je­nen­si­sche An­fein­dung wür­de be­lang­los sein, wä­re sie nicht ei­ne Be­gleit- oder Fol­ge­er­schei­nung von Vor­gän­gen, die im Som­mer 1811 in Ber­lin sich ab­spiel­ten und al­le Welt ei­ne Zeit­lang un­ter­hiel­ten. Es han­delt sich um den tät­li­chen Über­fall Mo­ritz It­zigs auf Arnim. (…)«
(Vergl. Hein­rich von Kleists Kämp­fe, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 632)

»(…) It­zig und Ar­nim sind bei­de ge­blie­ben – je­ner bei Lüt­zen, die­ser hin­ter dem Ofen (…)«
(Vergl. Hil­de Spiel »Fan­ny von Arn­stein oder die Eman­zi­pa­ti­on«, F. a. M. 1962 S. 404)

Die­se Kurz­fas­sung ei­nes Spott-Ge­dich­tes auf Achim von Ar­nim, ver­fasst durch das li­be­ra­le Mit­glied der Tisch­ge­sell­schaft Fried­rich Au­gust von Stae­ge­mann (*1763; †1840), zeugt von der Dis­so­nanz zwi­schen den ein­zel­nen Män­nern die­ser Un­ter­neh­mung. Ei­ne pro­gram­ma­tisch ge­woll­te Ju­den­feind­schaft in­ner­halb die­ser Ge­sell­schaft, so wie sie Achim von Ar­nim, Bren­ta­no, Beuth und an­de­re dar­stell­ten, wur­de nicht durch al­le Mit­glie­der geteilt.

Die Ge­schich­te da­hin­ter ist kurz zu­sam­men­ge­fasst erzählt.

Ar­nim er­schien im Mai 1811 oh­ne per­sön­li­che Ein­la­dung im Sa­lon der deutsch-jü­di­schen Sa­ra Le­vi, ei­ner ge­bo­re­nen It­zig. Dort pfleg­te man ei­ne of­fe­ne li­be­ra­le At­mo­sphä­re. Der un­ge­be­te­ne Gast er­schien in »Pump­ho­sen«, ei­ne Art Tur­ner­an­zug, wie er auf dem Turn­platz bei Jahn ge­tra­gen wur­de und be­nahm sich nicht stan­des­ge­mäß. Ar­nim pro­vo­zier­te die Gast­ge­be­rin und de­ren Gäs­te. Die Si­tua­ti­on spitz­te sich zu, als der Nef­fe Sa­ra Le­vys sich be­mü­ßigt sah, Ar­nim zu ta­deln. Nef­fe Mo­ritz It­zig, Nach­kom­me ei­ner in zwei­ter Ge­ne­ra­ti­on in Preu­ßen na­tu­ra­li­sier­ten Ge­ne­ra­ti­on ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie, be­trach­te­te sich dem »von Ar­nim« durch­aus ebenbürtig.

Nach­dem Ar­nim kei­ne An­stal­ten mach­te, den Sa­lon zu ver­las­sen oder sich zu ent­schul­di­gen, for­der­te It­zig Ar­nim zum Du­ell. Ar­nim kon­sul­tier­te sei­ne »Tisch­ge­nos­sen« und war sich mit ih­nen ei­nig, der Ju­de It­zig sei we­der ei­ne »an­stän­di­ge Per­son« noch ein »gleich­ge­stell­ter Bür­ger«, so­mit nicht sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig. Dar­auf­hin griff It­zig von Ar­nim in ei­nem Ba­de­haus phy­sisch an. Die nach­fol­gen­de ge­richt­li­che Maß­re­ge­lung ging für It­zig glimpf­lich aus. Der Ade­li­ge von Ar­nim war am En­de der Bla­mier­te, da er sich nicht be­neh­men und sich nicht durch­set­zen konn­te. Mo­ritz It­zig je­doch er­schien als wahr­haft »rit­ter­lich«, der sei­ne »schutz­lo­se« Tan­te ver­tei­dig­te, in­dem er den Be­lei­di­ger zum Du­ell forderte.

Wäh­rend Mo­ses Jo­na­than Mo­ritz It­zig (∗1787; 1813) für Preu­ßen zur Fah­ne ging, in der Schlacht bei Groß­gör­schen am 2. Mai 1813 schwer ver­wun­det wur­de und am 13. Mai in Leip­zig sei­nen Ver­let­zun­gen er­lag, ver­brach­te der »preu­ßisch-pa­trio­ti­sche« Schrift­stel­ler den Be­frei­ungs­krieg auf sei­nem Bran­den­bur­ger Schloss Wie­pers­dorf. Mög­li­cher­wei­se groll­te der Dich­ter dort, weil er le­dig­lich beim eher in­ak­ti­ven Land­sturm ge­braucht wur­de. Sei­ne Avan­cen, Of­fi­zier der Land­wehr zu wer­den und da­mit im Brenn­punkt der Ge­schich­te zu ste­hen, wa­ren aus­sichts­los, wie er am 29. April 1813 in ei­nem Brief an Gnei­se­nau klagte:

»(…) es thut mir Leid, daß ich nichts vom Krie­ge ver­ste­he und nicht an den Krieg ge­wohnt bin. Ich hat­te mich als Frei­wil­li­ger ge­mel­det bei der Land­wehr und mein­te, daß man mich zum Haupt­mann wäh­len wür­de; der Aus­schuß hat­te aber mehr Zu­traun zu An­de­ren, was ich ihm nicht übel neh­me; denn Poe­ten ha­ben über­all viel ge­gen sich. (…)«
(Ver­glei­che Wal­ter Pa­pe »Der Kö­nig er­klärt das gan­ze Volk ad­lig …«, Hei­del­ber­ger Jahr­bü­cher, S. 532)

Schlacht bei Groß­gör­schen 2. Mai 1813
Quel­le: Fi­gu­ren Gestalten

Ar­nim und Ge­nos­sen hat­ten Mo­ritz It­zig mit Spott und Hä­me über­häuft und ihn der Kol­la­bo­ra­ti­on mit den Fran­zo­sen be­zich­tigt. (Ver­glei­che da­zu »Ge­schich­te der deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, Ste­fan Nien­haus, Niem­mey­er Ver­lag, S. 259 bis 271) Mög­li­cher­wei­se hat­te sich das bis in die Land­krei­se her­um­ge­spro­chen, in de­nen die Land­wehr ge­bil­det wur­de. Vie­le an­de­re Poe­ten sei­ner Zeit schlu­gen sich für Preu­ßen und ver­gos­sen ihr Blut für das »Teut­sche Land«. Wie Carl Theo­dor Kör­ner (*23. Sep­tem­ber 1791 in Dres­den; †26. Au­gust 1813 ge­fal­len im Forst Ro­se­now bei Lüt­zow), ein deut­scher Dich­ter, Dra­ma­ti­ker und Frei­heits­kämp­fer, durch sei­ne Lie­der in den an­ti­na­po­leo­ni­schen Be­frei­ungs­krie­gen un­sterb­lich geworden.

An dem denk­wür­di­gen Kampf­tag, dem 02. Mai 1813, wur­den 8.500 tap­fe­re Preu­ßen ver­wun­det, blie­ben auf dem Feld oder star­ben in den La­za­ret­ten. Der füh­ren­de Mi­li­tär­re­fo­mer und Leh­rer Clau­se­witz´, Ger­hard Da­vid von Scharn­horst, wur­de dort ver­wun­det und starb dar­auf am 28. Ju­ni 1813 in Prag.

Wie war nun die Re­ak­ti­on der Mi­li­tärs am Tisch der Ge­sell­schaft zur Cau­sa It­zig? Die Her­ren Of­fi­zie­re wa­ren sich ei­nig, dass der Ju­de It­zig in un­ver­schäm­ter Art und Wei­se ge­gen alt­her­ge­brach­te Stan­des­re­geln ver­sto­ßen hat­te, in­dem er als sa­tis­fak­ti­ons­un­fä­hi­ger Frech­ling zu­erst den ad­li­gen Ar­nim for­der­te und ihn dann nach der ge­büh­ren­den Ab­fuhr phy­sisch an­ge­gan­gen war.

Graf von Cha­sot, der eben­so wie Clau­se­witz 1812 in rus­si­sche Diens­te trat, äußerte:

»(…) Nach mei­ner vol­len Über­zeu­gung kann der Herr Ar­nim ei­nem so na­se­wei­sen und un­ver­schäm­ten Bu­ben als der mir un­be­kann­te Ver­faßer der ver­schie­de­nen Brie­fe N°I und N°III. nicht an­ders als mit dem Sto­cke die ver­dien­te Ant­wort ertheilen. (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, Ste­fan Nien­haus, Ver­lag Nie­mey­er, S. 251)

Der Haupt­mann von Bar­de­le­ben (∗1777; †1858) spricht die all­ge­mein vor­herr­schen­de Mei­nung der ad­li­gen Her­ren deut­lich aus:

»(…) daß der Mann von Eh­re wie der Herr von Ar­nim , so ei­nen lau­si­gen Ju­den­jun­gen nicht ver­ächt­lich ge­nug be­han­deln kann, um den­sel­ben sei­ne gan­ze Jäm­mer­lich­keit an­schau­lich zu machen. (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, Ste­fan Nien­haus, Ver­lag Nie­mey­er, S. 251 bis 252)

Für die Her­ren von Adel war es ei­ne Fra­ge des Prin­zips, die His­to­rie des Du­ells und des Rech­tes auf Sa­tis­fak­ti­on dort zu las­sen, wo sie schon Jahr­hun­der­te ver­an­kert wa­ren. De­gen und Stock, hei­li­ge Sym­bo­le des Adels, soll­ten da blei­ben, wo sie wa­ren und de­nen die­nen, die die­se Sym­bo­le der Macht für sich in An­spruch nahmen.

Carl Joa­chim Fried­rich Lud­wig »Achim« von Ar­nim (*1781; †1831 )
Quel­le: Wikipedia

Die Cau­sa It­zig ist ei­ne der vie­len be­dau­er­li­chen Be­ge­ben­hei­ten, die in un­se­rer Ge­schich­te vor­ge­kom­men sind. Die be­gna­de­ten Dich­ter Achim von Ar­nim und Cle­mens Bren­ta­no, die uns Deut­schen die ein­zig­ar­ti­ge Samm­lung von Volks­lied­tex­ten »Des Kna­ben Wun­der­horn« hin­ter­las­sen ha­ben, wa­ren in ei­ner be­weg­ten Zeit be­fan­gen in vor­ge­fass­ter Judenfeindlichkeit.

Was hilft mir alles Denken, 
Was hilft mir alles Sprechen, 
Was hilft mir alles Tun! 
Mein Liebchen will mich kränken 
Und will das Herz mir brechen, 
Ich darf nicht bei ihr ruhn.

(Achim von Arnin)

Das frü­he 19. Jahr­hun­dert wies deut­li­che Zei­chen ei­ner Ak­kul­tu­ra­ti­ons­be­stre­bung wei­ter Tei­le der jü­di­schen Be­völ­ke­rung Preu­ßens auf. Die Eman­zi­pa­ti­ons­ge­setz­ge­bung des Kö­nigs Fried­rich Wil­helm III. kam die­sem Stre­ben ent­ge­gen. Das stieß je­doch wie­der­um auf alt­her­ge­brach­te Ju­den­feind­lich­keit, Ab­leh­nung und Aus­gren­zung al­les Frem­den. Die­se Er­schei­nun­gen, die wir an­hand der hier ge­schil­der­ten Un­ter­neh­men ge­se­hen ha­ben, wirk­ten den Re­form­be­stre­bun­gen Har­den­bergs und da­mit auch der Mi­li­tär­re­form dia­me­tral ent­ge­gen. Der Ver­such, jü­di­sche Men­schen ra­di­kal aus dem ge­sell­schaft­li­chen Le­ben aus­zu­schlie­ßen, ent­hält be­reits da­mals al­le Ele­men­te des uns heu­te be­kann­ten Antisemitismus.

Die hier dar­ge­stell­te Tisch­ge­sell­schaft stell­te aus un­se­rer Sicht ein be­deu­ten­des Hin­der­nis auf dem Weg ei­nes ge­sun­den Na­tio­nal­be­wusst­seins der Deut­schen dar. Die Pa­ra­dig­men der Jah­re 1806 bis 1812 wie re­li­giö­se Ab­leh­nung, öko­no­mi­sche Schuld­zu­wei­sun­gen und ras­sis­ti­sche Ver­leum­dun­gen des Ju­den­tums wa­ren nur kurz­zei­tig von 1813 bis 1815 ver­blasst. Der Preu­ßi­sche Staat, nach 1806 in ei­ner kom­pli­zier­ten La­ge, war mit dem Eman­zi­pa­ti­ons­edikt be­strebt, jü­di­sche Men­schen zu ge­win­nen, aber vor al­lem die im Ju­den­tum zwei­fels­oh­ne vor­han­de­nen fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten wie zu Fried­rich II. Zei­ten für Staats­in­ter­es­sen zu nutzen.

Im Span­nungs­feld die­ser Er­eig­nis­se er­schei­nen preu­ßi­sche Mi­li­tärs die­ser Zeit im Licht und im Schat­ten des Be­stre­bens, ei­ne wahr­haf­ti­ge Eman­zi­pa­ti­on der Ju­den in Preu­ßen zu verwirklichen.

Fort­set­zung Teil IX

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