Teil VII

Die Christ­lich-Deut­sche Tisch­ge­sell­schaft – Die frü­he Form ei­ner in­tel­lek­tu­ell-po­li­tisch ver­bräm­ten Ver­ei­ni­gung mit ju­den­feind­li­chen Facetten.

Über den Jah­res­wech­sel 1809 zu 1810 kehr­te der Preu­ßi­sche Hof wie­der nach Ber­lin zu­rück. Mit im Ge­fol­ge Ca­pi­taine und Bü­ro­chef Scharn­horsts, Carl von Clau­se­witz. Die Chan­cen für sein mi­li­tä­ri­sches Avance­ment wa­ren aus­sichts­reich, und so­mit stand auch der Ver­bin­dung mit Ma­rie nichts mehr im We­ge. Die Grä­fin Brühl-Mut­ter war dem Clau­se­witz nicht zu­ge­neigt, hat­te mit vom Stein an­de­re Plä­ne für Toch­ter Ma­rie ver­folgt. Clau­se­witz war nun­mehr auch durch die Ver­bin­dung mit dem Hau­se Brühl in Ber­lin nicht mehr un­be­kannt und ge­wann an Bedeutung.

Clau­se­witz kehr­te in ein Ber­lin zu­rück, das zu­neh­mend von ei­ner deut­lich spür­ba­ren Ro­man­tik, auf den Flü­geln Schlei­er­ma­chers, durch E. T. A. Hoff­mann, Jo­seph von Ei­chen­dorff, Lud­wig Tieck, Bet­ti­na von Ar­nim, die Ge­brü­der Grimm, No­va­lis (ei­gent­lich Ge­org Phil­ipp Fried­rich von Har­den­berg), Cle­mens Bren­ta­no u. a., ge­prägt war. Das in­tel­lek­tu­el­le Le­ben Ber­lins hat­te sich um die Jahr­hun­dert­wen­de bis zum Jahr 1806 in Sa­lons jü­di­scher Frau­en eta­bliert, die Eman­zi­pa­ti­ons­or­te wur­den. Hen­ri­et­te Herz, Ra­hel Varn­ha­gen und Do­ro­thea Schle­gel ge­hör­ten zu den pro­mi­nen­ten Vertreterinnen.

Ra­hel Varn­ha­gen von En­se, geb. Le­vin (∗19. Mai 1771; †7. März 1833)
Quel­le: Wi­ki­pe­dia

Der­ar­ti­ge Sa­lons wur­den in die­ser Zeit Treff­punkt der Eli­ten, des Adels, des Mi­li­tärs, der Wis­sen­schaft, der Dich­ter, der Mu­si­ker und Ma­ler. Auch nach 1806, im Jahr 1810, gab es Treff­punk­te die­ser Art in ähn­li­cher Form.

Pe­ter Pa­ret ver­mu­tet über Clausewitz:

»(…) Durch die Ver­mitt­lung Ma­ries lern­te er Wil­helm von Hum­boldt, den Dich­ter Achim von Ar­nim und an­de­re ken­nen, die im Hau­se ih­rer en­gen Freun­din Lui­se von Voss ver­kehr­ten, […] Die­se wie­der­um lu­den ihn ein, dem Kreis der „Christ­lich-deut­schen Tisch­ge­sell­schaft“ bei­zu­tre­ten, des­sen Mit­glie­der und Gäs­te sich an je­dem zwei­ten Diens­tag zu­sam­men­fan­den, um über Li­te­ra­tur und Po­li­tik zu diskutieren. (…)«
(Vergl. Pe­ter Pa­ret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 261)

Clau­se­witz traf in die­ser Ge­sell­schaft Fich­te und Schlei­er­ma­cher und wahr­schein­lich auch Hein­rich von Kleist, der mit sei­nen Of­fi­ziers­ka­me­ra­den Tie­de­man, Pfuel und Rüh­le von Li­li­en­stern be­kannt war. Ne­ben Geis­tes­grö­ßen aus Li­te­ra­tur, Mu­sik und Ma­le­rei, sah man dort auch Wis­sen­schaft­ler, Hoch­schul­leh­rer und ho­he Be­am­te des preu­ßi­schen Staates.

Von be­son­de­rem In­ter­es­se sind hier in un­se­rer Be­trach­tung vor al­lem die Of­fi­zie­re, die au­ßer Clau­se­witz sich in der »Tisch­ge­sell­schaft« ver­sam­melt hat­ten. Als pro­mi­nen­tes­te er­schei­nen da Graf von Chasôt und Oberst von Hacke. Wei­ter­hin an­we­send aus dem Freun­des­kreis Clau­se­witz` der Haupt­mann Adam Ge­org Fried­rich von Horn, die Ma­jo­re Au­gust von He­de­mann, Jo­hann Carl von Moel­len­dorf und Karl Lud­wig Tie­de­mann so­wie die Haupt­leu­te (Brü­der) Rö­der I und Rö­der II. All die­se Of­fi­zie­re stan­den den preu­ßi­schen Re­for­men auf­ge­schlos­sen ge­gen­über im Ge­gen­satz zu Yorck und Mar­witz, die wir als Mit­glie­der da nicht fin­den.

»(…) Al­ler­dings en­de­te die­se star­ke Prä­senz der Re­form­mi­li­tärs schon vor den Be­frei­ungs­krie­gen 1813/14, denn be­reits 1812 ver­lie­ßen Clau­se­witz und Cha­sot wie auch Horn und Tie­de­mann aus Ent­täu­schung über das preu­ßisch-fran­zö­si­sche Bünd­nis Ber­lin, um bei der rus­sisch-deut­schen Le­gi­on in den Dienst zu tre­ten. In den kom­men­den Kriegs­jah­ren fie­len Cha­sot, Tie­de­mann und auch zwei Brü­der von Rö­der. Ob je­mand von den über­le­ben­den Of­fi­zie­ren spä­ter wie­der Kon­takt mit der Tisch­ge­sell­schaft auf­ge­nom­men hat, läßt sich nur vermuten. (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Nie­mey­er-Ver­lag 2003, S. 21/22)

Carl Phil­ipp Gott­lieb von Clau­se­witz (*1. Ju­li 1780 in Burg; †16. No­vem­ber 1831 in Breslau)
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Her­vor­ge­gan­gen ist die hier ge­nann­te »Tisch­ge­sell­schaft« aus «Zel­ters Lie­der­ta­fel«, de­ren An­fang wie­der­um durch F. W. III. in­iti­iert wur­de, der den Kom­po­nis­ten, Di­ri­gen­ten und Mu­sik­leh­rer Carl Fried­rich Zel­ter (∗1758; †1832) be­auf­trag­te, den Män­ner­ge­sang »zu heben«.

»(…) Die An­fän­ge der Ber­li­ner Lie­der­ta­fel rei­chen bis in das Jahr 1807 hin­auf. Kö­nig Fried­rich Wil­helm III., durch den Ge­sang ei­nes rus­si­schen Män­ner­chors er­freut, ließ Zel­ter in Ber­lin be­deu­ten, auf ei­ne He­bung des deut­schen Män­ner­ge­sangs zu denken. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 15)

Zum Ge­burts­tag Fried­rich II. am 24. Ja­nu­ar 1809 er­rich­tet und am 2. Mai 1809 durch 24 or­dent­li­chen Mit­glie­dern mit klin­gen­den Glä­sern und dem Ab­ge­sang Gleims  (Jo­hann Wil­helm Lud­wig Gleim (*1719; †1803) »Lied auf den Kö­nig« er­öff­net. Zel­ter kom­po­nier­te da­zu die Melodie.

Jo­hann Wil­helm Lud­wig Gleim (*1719; †1803)
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Die Lie­der­ta­fel sah die Eli­ten die­ser Zeit, die aber nicht nur den Ge­sang pfleg­ten, son­dern auch beim Wein po­li­ti­sier­ten. Es war wohl so et­was wie ein ro­man­ti­scher »Stamm­tisch« die­ser Zeit. Wil­helm von Hum­boldt (Fried­rich Wil­helm Chris­ti­an Carl Fer­di­nand von Hum­boldt (*1767; †1835), der dort auch Fried­rich Wil­helm Paul Ni­ko­laus Fürst von Rad­zi­will (*1797; †1870) traf, den spä­te­ren preu­ßi­schen Ge­ne­ral der In­fan­te­rie, schrieb am 13. März 1810 an Fried­rich Au­gust Chris­ti­an Wil­helm Wolf (*1759; †1824), der mit Hum­boldt an der Grün­dung der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät ge­ar­bei­tet hatte:

»(…) Ich war heu­te bei Zel­ter in der Lie­der­ta­fel, wo man aber für Ge­sang zu ernst­haft ist. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 17)

Prot­ago­nis­ten wie Carl Ma­ria von We­ber (*1786; †1826), der Kom­po­nist des »Frei­schütz« und Ernst Mo­ritz Arndt, Achim von Ar­nim (*1781; †1831), Cle­mens Bren­ta­no (*1778; †1842) und der un­glück­li­che Hein­rich von Kleist (*1777; †1811), die an der Ta­fel sa­ßen, wa­ren si­cher­lich die In­spi­ra­to­ren hef­ti­ger po­li­ti­scher Kon­tro­ver­sen, die Hum­boldt »zu ernst­haft« waren.

Der ro­man­ti­sche Schrift­stel­ler (»Des Kna­ben Wun­der­horn«) Achim von Ar­nim wird von der Lie­der­ta­fel aus der »Spíritus Réctor« der »Christ­lich-Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«. Er schrieb am Jah­res­aus­gang 1810 an die Ge­brü­der Grimm (Ja­kob Grimm (1785 bis 1863) und Wil­helm Grimm (1786 bis 1859) nach Kassel,

»(…) er sei da­mit be­schäf­tigt, ei­ne deut­sche Tisch­ge­sell­schaft zum 18. Ja­nu­ar, dem Krö­nungs­ta­ge der preu­ßi­schen Mon­ar­chie, zu er­rich­ten: „Adam Mül­ler ist Mit­un­ter­neh­mer, ich bin Ge­setz­ge­ber. Das Wei­ses­te der Ge­set­ze be­stimmt, daß je­der le­der­ne Phi­lis­ter aus­ge­schlos­sen ist.“ (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 21)

Hier be­ginnt das »ar­nim­sche Aus­schluss­ver­fah­ren«, das »Phi­lis­ter« (Spieß­bür­ger), Frau­en und letzt­end­lich auch Ju­den be­traf. In ei­nem »Cir­cu­lar« (Rund­schrei­ben A. Ar­nim), das durch die Grün­dungs­mit­glie­der ei­gen­hän­dig zu un­ter­schrei­ben war, heißt es u. a.:

»(…) Wer von zehn Mit­glie­dern als der Ge­sell­schaft wohl­an­stän­dig und an­ge­mes­sen ein­ge­führt wird, ist da­durch or­dent­li­ches Mit­glied. Die Ge­sell­schaft ver­steht un­ter die­ser Wohl­an­stän­dig­keit, daß es ein Mann von Eh­re und gu­ten Sit­ten und in christ­li­cher Re­li­gi­on ge­bo­ren sei, un­ter die­ser An­ge­mes­sen­heit, daß es kein le­der­ner Phi­lis­ter sei, als wel­che auf ewi­ge Zei­ten dar­aus ver­bannt sind. […] Ge­sang ist will­kom­men, Frau­en kön­nen nicht zu­ge­las­sen werden. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 22) 

Un­ter den 46 Erst­un­ter­zeich­nern des Cir­cu­lars war auch Carl von Clau­se­witz. (Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 22/23) War die Ab­leh­nung der »Phi­lis­ter«, die man zu die­ser Zeit als eng­stir­ni­ge, klein­geis­ti­ge Spieß­bür­ger oh­ne be­son­de­re geis­ti­ge Be­dürf­nis­se dar­stell­te, noch ver­ständ­lich, so war der Ver­weis auf die Re­li­gio­nen ju­den­feind­lich. Ar­nim wird dann spä­ter mit Bren­ta­no und Beuth in den Tref­fen der Tisch­ge­sell­schaft Feind­se­lig­kei­ten ge­gen Ju­den ras­sis­tisch darstellen. 

Dass die Her­ren Ge­sell­schaf­ter Frau­en ab­lehn­ten, ist un­ver­ständ­lich. Cle­mens Bren­ta­no zum Bei­spiel ver­kehr­te in den geist­rei­chen jü­di­schen Sa­lons der preu­ßi­schen Haupt­stadt. Ar­nims Auf­tritt in ei­nem sol­chen Sa­lon soll­te die »Af­fai­re It­zig« aus­lö­sen, die wir noch be­trach­ten wer­den. In Ar­nims »Cir­cu­lar« war »wohl­an­stän­dig« der­je­ni­ge, der den drei christ­li­chen Kir­chen Preu­ßens an­ge­hör­te. Wir müs­sen al­so da­von aus­ge­hen, wer sei­ne Mit­glied­schaft in der Tisch­ge­sell­schaft mit sei­ner Un­ter­schrift pa­ra­phiert hat­te, lehn­te Ju­den in der »Crè­me de la Crè­me« ab.

Pe­ter Pa­ret for­mu­liert in sei­nem Buch »Clau­se­witz und der Staat«:

»(…) „Phi­lis­ter“, Frau­en und Ju­den wa­ren aus­ge­schlos­sen. Die an­ti-jü­di­sche Klau­sel der Sat­zung war kein zen­tra­les An­lie­gen der Ge­sell­schaft; in ihr kam viel­mehr ei­ne wach­sen­de Ver­bin­dung des kul­tu­rel­len und po­li­ti­schen Pa­trio­tis­mus der deut­schen Ro­man­tik mit ei­nem mehr oder min­der star­kem An­ti­se­mi­tis­mus zum Aus­druck – ei­ne Ent­wick­lung, die nach dem „Wie­ner Kon­gress“ ih­re deut­lichs­te Äu­ße­rung in der li­be­ra­len Stu­den­ten­be­we­gung der Bur­schen­schaf­ten fin­den sollte. (…)«
(Vergl. Pe­ter Pa­ret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 262)

Dass die »an­ti­jü­di­sche Klau­sel« der Sat­zung, wie Pe­ter Pa­ret es for­mu­liert, kein zen­tra­les An­lie­gen der Ge­sell­schaft ge­we­sen sein soll, ruft hier un­se­ren Wi­der­spruch her­vor. Wei­ter oben hat­ten wir dar­ge­stellt, dass ein Mit­glied nur mit zehn Bürgschaften

»(…) der Ge­sell­schaft wohl­an­stän­dig und an­ge­mes­sen ein­ge­führt wird. (…)« 

und die ent­spre­chen­de Sat­zung (Cir­cu­lar) mit den drei Aus­schluss­kri­te­ri­en zu un­ter­zeich­nen hat­te. Der Aus­schluss von »Phi­lis­tern«, Frau­en und »Nicht­chris­ten« war hier ei­ne Grund­be­din­gung der Mit­glied­schaft, er­go auch zen­tra­les An­lie­gen der Ge­sell­schaft. Der Be­griff »An­ti­se­mi­tis­mus« bei Clau­se­witz greift hier nicht, da die­se Be­zeich­nung erst lan­ge nach Clau­se­witz´ Tod (1831) im Jahr 1879 in der deut­schen Pres­se in Er­schei­nung trat. Wir hat­ten wei­ter oben dar­auf verwiesen.

Gleich­wohl leb­te Clau­se­witz in ei­ner Zeit, in der man be­gann, Ju­den zu­neh­mend nicht mehr über ih­ren re­li­giö­sen Hin­ter­grund zu cha­rak­te­ri­sie­ren, son­dern als ein ei­ge­nes Volk, als »Staat im Staat«, als ei­ne ei­ge­ne frem­de Ras­se. Die Ver­bin­dung von Na­ti­on und Ras­se in der Trans­for­ma­ti­on zu Na­tio­na­lis­mus und Ras­sis­mus, war vor­ge­zeich­net. Auf das Clausewitz`sche Bild über die Ju­den und sein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu die­sen wer­den wir im Wei­te­ren noch ein­mal zu­rück kommen.

Auch in dem durch Karl Fried­rich Frie­sen (*1784; †1814) und Fried­rich Lud­wig Jahn (*1778; †1852) 1810 ge­grün­de­ten »Deut­schen Bund« wa­ren Ju­den nicht erwünscht:

»(…) 1810 grün­de­te er [Jahn Bem. Au­tor] zu­sam­men mit Fried­rich Frie­sen den „Deut­schen Bund“, ei­ne Ge­heim­or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren po­li­ti­sche Zie­le die Be­frei­ung Deutsch­lands von der fran­zö­si­schen Herr­schaft und die na­tio­na­le Ein­heit bil­de­ten. Nur Män­ner „deut­scher Ab­stam­mung“ wa­ren zu­ge­las­sen, was auch ge­tauf­te Ju­den von der Mit­glied­schaft ausschloss. (…)«
(Vergl. »Hand­buch des An­ti­se­mi­tis­mus«, her­aus­ge­ge­ben von Wolf­gang Benz, Bri­git­te Mi­hok, S. 4o4)

So­mit wa­ren bei den drei be­deu­tends­ten Un­ter­neh­mun­gen der deut­schen Na­tio­nal­be­we­gung am Vor­abend der Be­frei­ungs­krie­ge, dem »Tu­gend-Bund«, der »Christ­lich-deut­schen Tisch­ge­sell­schaft« und dem »Deut­schen Bund«, Ju­den für ei­ne Mit­glied­schaft aus­ge­schlos­sen. Da­mit war of­fen­bar ei­ne Ju­den­feind­lich­keit so­wohl bei den hier dar­ge­stell­ten Ver­ei­nen als auch bei de­ren Mit­glie­dern konsistent.

Denk­mal für Frie­sen in Magdeburg
Quel­le: Autor

Die in der Tisch­ge­sell­schaft ver­sam­mel­ten Prot­ago­nis­ten wa­ren in ih­ren An­sich­ten über die not­wen­di­gen Re­for­men in Preu­ßen all­ge­mein und in der Fra­ge der Gleich­be­rech­ti­gung der Ju­den durch­aus ei­ne he­te­ro­ge­ne Ver­samm­lung. Im Ge­gen­satz zu der li­be­ra­len Sa­lon­kul­tur vor und nach 1806 war die­se Ge­sell­schaft als ge­schlos­se­ne Män­ner-Run­de zu be­trach­ten, die ein fes­tes Re­gu­la­ri­um mit kla­ren »Füh­rungs­struk­tu­ren« hat­te, die durch ei­nen »Spre­cher« re­prä­sen­tiert wur­de. Zeit­wei­se wa­ren 86 Mit­glie­der ver­zeich­net, die sich in der Re­gel je­den zwei­ten Diens­tag bei »Speis und Trank« tra­fen, um über Li­te­ra­tur und Po­li­tik zu reden.

»(…) Von den 86 be­kann­ten Mit­glie­dern ge­hör­ten je­weils ge­nau ei­ne Hälf­te dem Adels­stand und die an­de­re dem Bür­ger­tum an. Auf­ge­glie­dert nach Be­ru­fen über­wie­gen deut­lich Be­am­te [37] und Mi­li­tärs [19], wäh­rend die ei­gent­li­chen „Jun­ker“, die Guts­her­ren, nur spär­lich ver­tre­ten wa­ren [3 mit A. v. Ar­nim]. Mit Prinz Rad­zi­vill und Graf In­gen­heim fin­den sich Mit­glie­der aus dem höchs­ten Hof­adel, bei den Be­am­ten ho­he Staats­be­am­te wie Staegemann. (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S.Niehaus, Nie­mey­er-Ver­lag 2003, S. 16/17)

Dar­über hin­aus stell­ten die Pro­fes­so­ren der 1810 frisch ge­grün­de­ten »Ber­li­ner Uni­ver­si­tät«, die mit Ka­bi­netts­be­fehl Fried­rich Wil­helm III. vom 16. Ok­to­ber 1809 auf den Weg ge­bracht wur­de, die zah­len­mä­ßig größ­te Grup­pe un­ter den Be­am­ten dar.

In der An­fangs­zeit präg­te die li­te­ra­ri­sche Form der Sa­ti­re die Stil­mit­tel der Kri­tik an den Hardenberg´schen Re­for­men. Be­wusst ge­wählt, um die durch­aus vor­han­de­ne preu­ßi­sche Zen­sur zu un­ter­lau­fen. Das galt vor al­lem auch der Zei­tung »Ber­li­ner Abend­blät­ter« (1. Ok­to­ber 1810 bis 30. März 1811), her­aus­ge­ge­ben von Hein­rich von Kleist, wel­che am En­de auch ge­ra­de we­gen Über­wa­chung und Zen­sur un­ter­ging. Kleist plan­te, die Abend­blät­ter als »Zen­tral­or­gan« der Tisch­ge­sell­schaft zu etablieren.

Vor al­lem die »Tisch­re­den« des Achim von Ar­nim spie­geln die Ver­su­che Ar­nims und Gleich­ge­sinn­ter wi­der, Ju­den­feind­lich­keit in Sa­ti­re und Witz zu ver­klau­su­lie­ren. Wir se­hen das an fol­gen­dem Bei­spiel. Ar­nim hat­te sich als Stu­dent in Hal­le und Göt­tin­gen (1798 bis 1801) mit che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Ver­su­chen be­schäf­tigt. Die­ser Bil­dungs­stand ver­lei­te­te den Dich­ter zu ei­nem »Che­mie – Ex­pe­ri­ment«:

»(…) Man zer­rei­be ihn 〈den Ju­den, Anm. Au­tor〉 im Feu­er­mör­sel, er­wär­me ihn mit Aetz­lau­ge im Pla­tin­tie­gel, all­mä­lig bis zum Durchglühen. (…)«

Die Ana­ly­se der Asche des Ju­den er­gab nach Ar­nim die Be­stand­tei­le des Ju­den wie folgt: 50% Bos­heit, 2% Gold, 10% ein­ge­at­me­tes Sil­ber, 20% al­tes Kup­fer, 5% fal­sche Wech­sel und 4% Chris­ten­blut, wel­ches durch sünd­li­che Ver­mi­schung ge­won­nen sei.
(Vergl. »Lud­wig Achim von Ar­nim«, Wer­ke und Brief­wech­sel, S. 125)

Saul Ascher (∗1767; †1822), ein deutsch-jü­di­scher Schrift­stel­ler, des­sen Schrift »Die Ger­ma­no­ma­nie« am 18. Ok­to­ber 1817 auf dem Wart­burg­fest ver­brannt wur­de, kri­ti­sier­te die Re­den auf der Ge­sell­schaft scharf.

»(…) Die sa­ti­ri­schen Be­schimp­fun­gen der Ju­den hält Ascher als Aus­ge­bur­ten ei­ner krank­haf­ten Phantasie (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Nie­mey­er-Ver­lag 2003, S. 184)

Und … es wur­de viel ge­lacht an der Ta­fel wie bei Bren­ta­nos ver­gleichs­wei­se harm­lo­ser Sa­ti­re über die »Phi­lis­ter«:

»(…) Als Bren­ta­no sei­nen Phi­lis­ter vor­trug, mit al­ler Kraft sei­nes Ta­lents, ge­riet die Ge­sell­schaft au­ßer sich, ju­bel­te und schrie vor Ver­gnü­gen, be­merk­te Varn­ha­gen, der Bren­ta­no ei­gent­lich nicht moch­te, und auch der von Bren­ta­nos Sa­ti­re ge­trof­fe­ne Hit­zig är­ger­te sich be­son­ders, weil Ber­lins Schöb­ge­is­ter und Vor­neh­me mit of­fe­nem Mund da­ge­ses­sen und sei­ne Vor­le­sun­gen an­ge­hört hätten. (…)«
(Vergl. Hit­zig an Fou­qué, 15. April 1811, Dorch, 1994, S. 219)

Quel­len be­rich­ten, dass an­de­re Re­den eben­so mit Bei­fall auf­ge­nom­men wurden.

Quel­le: Ro­man­ti­sche Schu­le – Word​Press​.com

Erst als Fich­te die Lei­tung der Ge­sell­schaft über­nahm, wur­den Ton und In­halt der Re­den auf der Ge­sell­schaft moderat.

«(…) Un­ter der Lei­tung Fich­tes hat­te die Tisch­ge­sell­schaft be­gon­nen, sich von ih­rer Fi­xie­rung auf das Ju­den­tum zu verabschieden (…)«
(Vergl. »Ge­schich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Nie­mey­er-Ver­lag, 2003, S. 261)

Wor­in la­gen Ar­nims per­sön­li­che Mo­ti­ve für sei­ne Judenfeindlichkeit?

»(…) Ar­nim wie auch sein Bru­der wa­ren in den Jah­ren nach 1807 na­he an den wirt­schaft­li­chen Ru­in ge­ra­ten. Sei­ne Ge­samt­schul­den be­lie­fen sich da­mals auf die as­tro­no­mi­sche Sum­me von über 43.000 Reichs­ta­ler. Die Fa­mi­lie sei, da die Mehr­zahl der Gläu­bi­ger jü­di­sche Fi­nan­ziers ge­we­sen sei­nen, „in der Ju­den Hän­de“ ge­bracht worden. (…)«
(Vergl. »Ju­den­tum und Na­tio­nal­ge­dan­ke in Fich­tes Le­ben und Werk«, H.-J. Be­cker, Edi­ti­ons Rod­o­pi B. V., Ams­ter­dam 2001, S. 184)

Hier kom­men wir zu­rück auf zwei der Ur­sa­chen für die Ju­den­feind­lich­keit ei­ni­ger Eli­ten Preu­ßens in der Zeit vor dem Eman­zi­pa­ti­ons­edikt F. W. III. Öko­no­mi­sche, in der Re­gel selbst­ver­schul­de­te Pro­ble­me mu­tier­ten zur schein­ba­ren Selbst­ver­tei­di­gung in ras­sis­ti­sche An­fein­dun­gen ge­gen Ju­den. Ar­nim ver­mied al­ler­dings, das in sei­nen Re­den und Tex­ten zu the­ma­ti­sie­ren. Ar­nim wird spä­ter nach 1812 sei­nen Ton dies­be­züg­lich mä­ßi­gen und sei­ne gu­ten Ver­bin­dun­gen in der Ge­sell­schaft z. B. auch zu Gnei­se­nau pflegen.

Ob Carl von Clau­se­witz Ar­nims und Bren­ta­nos Re­den ge­hört und be­ju­belt hat, wis­sen wir nicht. Da­zu sa­gen Quel­len nichts aus. Be­trach­ten wir je­doch den Cha­rak­ter Clau­se­witz‘, so ist es un­wahr­schein­lich, dass er sich da­zu hat hin­rei­ßen lassen.

»(…) Doch Clau­se­witz hat­te sich nie et­was aus dem hö­fi­schen Le­ben ge­macht und über­dies jed­we­de Ei­gen­schaft ei­nes Höf­lings, die er je be­ses­sen ha­ben moch­te, nach sei­ner Rück­kehr aus Frank­reich völ­lig ab­ge­legt. Er gab sich mitt­ler­wei­le we­nig Mü­he, den Ein­druck ei­nes ge­dan­ken­ver­lo­re­nen und ver­drieß­li­chen Men­schen, den er auf an­de­re mach­te, zu korrigieren. (…)«
(Vergl. Pe­ter Pa­ret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 259)

Vor al­lem als Of­fi­zier und Ge­ne­ral trat Clau­se­witz eher in­tro­ver­tiert als ex­tro­ver­tiert auf.

»(…) Jün­ge­re Of­fi­zie­re, die nach den Be­frei­ungs­krie­gen un­ter ihm dien­ten, mo­kier­ten sich über sei­ne Un­be­hol­fen­heit und sein selbst in ver­trau­ter mi­li­tä­ri­scher Um­ge­bung hart­nä­cki­ges bzw. ver­le­ge­nes Schwei­gen. „Es ging ihm die Kunst ab d´enlever les trou­pes“, so schrieb ein ihm un­ter­stell­ter Offizier. (…)«
(Vergl. Pe­ter Pa­ret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 260)

Un­ter dem Be­griff Kunst  »d´enlever les trou­pes« ver­stan­den und ver­ste­hen Sol­da­ten auch heu­te noch »die Trup­pen ab­zie­hen«, was so­viel be­deu­tet wie »forsch auf­tre­ten«, »Dampf ma­chen«. Nein, ge­hen wir da­von aus, dass Clau­se­witz, wenn er Ar­nim, Bren­ta­no und Beuth ge­hört ha­ben soll­te, ge­schwie­gen hat!? Ob er in per­sön­li­che Ge­gen­re­de ge­gan­gen ist, ent­zieht sich un­se­rer Kenntnis.

1811 je­doch sorg­te der Jun­ker Achim von Ar­nim noch für ei­nen Skan­dal, der die Ber­li­ner Ge­sell­schaft hef­tig be­weg­te. Da­zu gibt es we­nigs­tens Re­ak­tio­nen ei­ni­ger Mi­li­tärs, auf die wir hier noch ein­ge­hen werden.

Fort­set­zung Teil VIII

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