Teil VII

Die Christlich-​Deutsche Tisch­ge­sell­schaft – Die frü­he Form einer intellektuell-​politisch ver­bräm­ten Ver­ei­ni­gung mit juden­feind­li­chen Facetten.

Über den Jah­res­wech­sel 1809 zu 1810 kehr­te der Preu­ßi­sche Hof wie­der nach Ber­lin zurück. Mit im Gefol­ge Capi­taine und Büro­chef Scharn­horsts, Carl von Clau­se­witz. Die Chan­cen für sein mili­tä­ri­sches Avance­ment waren aus­sichts­reich, und somit stand auch der Ver­bin­dung mit Marie nichts mehr im Wege. Die Grä­fin Brühl-​Mutter war dem Clau­se­witz nicht zuge­neigt, hat­te mit vom Stein ande­re Plä­ne für Toch­ter Marie ver­folgt. Clau­se­witz war nun­mehr auch durch die Ver­bin­dung mit dem Hau­se Brühl in Ber­lin nicht mehr unbe­kannt und gewann an Bedeutung.

Clau­se­witz kehr­te in ein Ber­lin zurück, das zuneh­mend von einer deut­lich spür­ba­ren Roman­tik, auf den Flü­geln Schlei­er­ma­chers, durch E. T. A. Hoff­mann, Joseph von Eichen­dorff, Lud­wig Tieck, Bet­ti­na von Arnim, die Gebrü­der Grimm, Nova­lis (eigent­lich Georg Phil­ipp Fried­rich von Har­den­berg), Cle­mens Bren­ta­no u. a., geprägt war. Das intel­lek­tu­el­le Leben Ber­lins hat­te sich um die Jahr­hun­dert­wen­de bis zum Jahr 1806 in Salons jüdi­scher Frau­en eta­bliert, die Eman­zi­pa­ti­ons­or­te wur­den. Hen­ri­et­te Herz, Rahel Varn­ha­gen und Doro­thea Schle­gel gehör­ten zu den pro­mi­nen­ten Vertreterinnen.

Rahel Varn­ha­gen von Ense, geb. Levin (∗19. Mai 1771; †7. März 1833) Quel­le: Wikipedia

Der­ar­ti­ge Salons wur­den in die­ser Zeit Treff­punkt der Eli­ten, des Adels, des Mili­tärs, der Wis­sen­schaft, der Dich­ter, der Musi­ker und Maler. Auch nach 1806, im Jahr 1810, gab es Treff­punk­te die­ser Art in ähn­li­cher Form.

Peter Paret ver­mu­tet über Clausewitz:

»(…) Durch die Ver­mitt­lung Maries lern­te er Wil­helm von Hum­boldt, den Dich­ter Achim von Arnim und ande­re ken­nen, die im Hau­se ihrer engen Freun­din Lui­se von Voss ver­kehr­ten, […] Die­se wie­der­um luden ihn ein, dem Kreis der „Christlich-​deutschen Tisch­ge­sell­schaft“ bei­zu­tre­ten, des­sen Mit­glie­der und Gäs­te sich an jedem zwei­ten Diens­tag zusam­men­fan­den, um über Lite­ra­tur und Poli­tik zu diskutieren. (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 261)

Clau­se­witz traf in die­ser Gesell­schaft Fich­te und Schlei­er­ma­cher und wahr­schein­lich auch Hein­rich von Kleist, der mit sei­nen Offi­ziers­ka­me­ra­den Tie­de­man, Pfuel und Rüh­le von Lili­en­stern bekannt war. Neben Geis­tes­grö­ßen aus Lite­ra­tur, Musik und Male­rei, sah man dort auch Wis­sen­schaft­ler, Hoch­schul­leh­rer und hohe Beam­te des preu­ßi­schen Staates.

Von beson­de­rem Inter­es­se sind hier in unse­rer Betrach­tung vor allem die Offi­zie­re, die außer Clau­se­witz sich in der »Tisch­ge­sell­schaft« ver­sam­melt hat­ten. Als pro­mi­nen­tes­te erschei­nen da Graf von Chasôt und Oberst von Hacke. Wei­ter­hin anwe­send aus dem Freun­des­kreis Clau­se­witz‘ der Haupt­mann Adam Georg Fried­rich von Horn, die Majo­re August von Hede­mann, Johann Carl von Moel­len­dorf und Karl Lud­wig Tie­de­mann sowie die Haupt­leu­te (Brü­der) Röder I und Röder II. All die­se Offi­zie­re stan­den den preu­ßi­schen Refor­men auf­ge­schlos­sen gegen­über im Gegen­satz zu Yorck und Mar­witz, die wir als Mit­glie­der da nicht fin­den.

»(…) Aller­dings ende­te die­se star­ke Prä­senz der Reform­mi­li­tärs schon vor den Befrei­ungs­krie­gen 1813/​14, denn bereits 1812 ver­lie­ßen Clau­se­witz und Cha­sot wie auch Horn und Tie­de­mann aus Ent­täu­schung über das preußisch-​französische Bünd­nis Ber­lin, um bei der russisch-​deutschen Legi­on in den Dienst zu tre­ten. In den kom­men­den Kriegs­jah­ren fie­len Cha­sot, Tie­de­mann und auch zwei Brü­der von Röder. Ob jemand von den über­le­ben­den Offi­zie­ren spä­ter wie­der Kon­takt mit der Tisch­ge­sell­schaft auf­ge­nom­men hat, läßt sich nur vermuten. (…)«
(Vergl. »Geschich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Niemeyer-​Verlag 2003, S. 21/​22)

Carl Phil­ipp Gott­lieb von Clau­se­witz (*1. Juli 1780 in Burg; †16. Novem­ber 1831 in Bres­lau) Quel­le: Wikipedia

Her­vor­ge­gan­gen ist die hier genann­te »Tisch­ge­sell­schaft« aus «Zel­ters Lie­der­ta­fel«, deren Anfang wie­der­um durch F. W. III. initi­iert wur­de, der den Kom­po­nis­ten, Diri­gen­ten und Musik­leh­rer Carl Fried­rich Zel­ter (*1758; †1832) beauf­trag­te, den Män­ner­ge­sang »zu heben«.

»(…) Die Anfän­ge der Ber­li­ner Lie­der­ta­fel rei­chen bis in das Jahr 1807 hin­auf. König Fried­rich Wil­helm III., durch den Gesang eines rus­si­schen Män­ner­chors erfreut, ließ Zel­ter in Ber­lin bedeu­ten, auf eine Hebung des deut­schen Män­ner­ge­sangs zu denken. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 15)

Zum Geburts­tag Fried­rich II. am 24. Janu­ar 1809 errich­tet und am 2. Mai 1809 durch 24 ordent­li­chen Mit­glie­dern mit klin­gen­den Glä­sern und dem Abge­sang Gleims  (Johann Wil­helm Lud­wig Gleim *1719; †1803) »Lied auf den König« eröff­net. Zel­ter kom­po­nier­te dazu die Melodie.

Johann Wil­helm Lud­wig Gleim (*1719; †1803) Quel­le: Wikipedia

Die Lie­der­ta­fel sah die Eli­ten die­ser Zeit, die aber nicht nur den Gesang pfleg­ten, son­dern auch beim Wein poli­ti­sier­ten. Es war wohl so etwas wie ein roman­ti­scher »Stamm­tisch« die­ser Zeit. Wil­helm von Hum­boldt (Fried­rich Wil­helm Chris­ti­an Carl Fer­di­nand von Hum­boldt *1767; †1835), der dort auch Fried­rich Wil­helm Paul Niko­laus Fürst von Rad­zi­will (*1797; †1870) traf, den spä­te­ren preu­ßi­schen Gene­ral der Infan­te­rie, schrieb am 13. März 1810 an Fried­rich August Chris­ti­an Wil­helm Wolf (*1759; †1824), der mit Hum­boldt an der Grün­dung der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät gear­bei­tet hatte:

»(…) Ich war heu­te bei Zel­ter in der Lie­der­ta­fel, wo man aber für Gesang zu ernst­haft ist. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 17)

Prot­ago­nis­ten wie Carl Maria von Weber (*1786; †1826), der Kom­po­nist des »Frei­schütz« und Ernst Moritz Arndt, Achim von Arnim (*1781; †1831), Cle­mens Bren­ta­no (*1778; †1842) und der unglück­li­che Hein­rich von Kleist (*1777; †1811), die an der Tafel saßen, waren sicher­lich die Inspi­ra­to­ren hef­ti­ger poli­ti­scher Kon­tro­ver­sen, die Hum­boldt »zu ernst­haft« waren.

Der roman­ti­sche Schrift­stel­ler (»Des Kna­ben Wun­der­horn«) Achim von Arnim wird von der Lie­der­ta­fel aus der »Spíritus Réctor« der »Christlich-​Deutschen Tisch­ge­sell­schaft«. Er schrieb am Jah­res­aus­gang 1810 an die Gebrü­der Grimm (Jakob Grimm (1785 bis 1863) und Wil­helm Grimm (1786 bis 1859) nach Kassel,

»(…) er sei damit beschäf­tigt, eine deut­sche Tisch­ge­sell­schaft zum 18. Janu­ar, dem Krö­nungs­ta­ge der preu­ßi­schen Mon­ar­chie, zu errich­ten: „Adam Mül­ler ist Mit­un­ter­neh­mer, ich bin Gesetz­ge­ber. Das Wei­ses­te der Geset­ze bestimmt, daß jeder leder­ne Phi­lis­ter aus­ge­schlos­sen ist.“ (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 21)

Hier beginnt das »arnim­sche Aus­schluss­ver­fah­ren«, das »Phi­lis­ter« (Spieß­bür­ger), Frau­en und letzt­end­lich auch Juden betraf. In einem »Cir­cu­lar« (Rund­schrei­ben A. Arnim), das durch die Grün­dungs­mit­glie­der eigen­hän­dig zu unter­schrei­ben war, heißt es u. a.:

»(…) Wer von zehn Mit­glie­dern als der Gesell­schaft wohl­an­stän­dig und ange­mes­sen ein­ge­führt wird, ist dadurch ordent­li­ches Mit­glied. Die Gesell­schaft ver­steht unter die­ser Wohl­an­stän­dig­keit, daß es ein Mann von Ehre und guten Sit­ten und in christ­li­cher Reli­gi­on gebo­ren sei, unter die­ser Ange­mes­sen­heit, daß es kein leder­ner Phi­lis­ter sei, als wel­che auf ewi­ge Zei­ten dar­aus ver­bannt sind. […] Gesang ist will­kom­men, Frau­en kön­nen nicht zuge­las­sen werden. (…)«
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 22) 

Unter den 46 Erst­un­ter­zeich­nern des Cir­cu­lars war auch Carl von Clau­se­witz.
(Vergl. »Hein­rich von Kleists Ber­li­ner Kämp­fe«, Rein­hold Steig, Ver­lag von W. Spe­mann 1901, S. 22/​23)

War die Ableh­nung der »Phi­lis­ter«, die man zu die­ser Zeit als eng­stir­ni­ge, klein­geis­ti­ge Spieß­bür­ger ohne beson­de­re geis­ti­ge Bedürf­nis­se dar­stell­te, noch ver­ständ­lich, so war der Ver­weis auf die Reli­gio­nen juden­feind­lich. Arnim wird dann spä­ter mit Bren­ta­no und Beuth in den Tref­fen der Tisch­ge­sell­schaft Feind­se­lig­kei­ten gegen Juden ras­sis­tisch darstellen. 

Dass die Her­ren Gesell­schaf­ter Frau­en ablehn­ten, ist unver­ständ­lich. Cle­mens Bren­ta­no zum Bei­spiel ver­kehr­te in den geist­rei­chen jüdi­schen Salons der preu­ßi­schen Haupt­stadt. Arnims Auf­tritt in einem sol­chen Salon soll­te die »Affai­re Itzig« aus­lö­sen, die wir noch betrach­ten wer­den. In Arnims »Cir­cu­lar« war »wohl­an­stän­dig« der­je­ni­ge, der den drei christ­li­chen Kir­chen Preu­ßens ange­hör­te. Wir müs­sen also davon aus­ge­hen, wer sei­ne Mit­glied­schaft in der Tisch­ge­sell­schaft mit sei­ner Unter­schrift para­phiert hat­te, lehn­te Juden in der »Crè­me de la Crè­me« ab.

Peter Paret for­mu­liert in sei­nem Buch »Clau­se­witz und der Staat«:

»(…) „Phi­lis­ter“, Frau­en und Juden waren aus­ge­schlos­sen. Die anti-​jüdische Klau­sel der Sat­zung war kein zen­tra­les Anlie­gen der Gesell­schaft; in ihr kam viel­mehr eine wach­sen­de Ver­bin­dung des kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Patrio­tis­mus der deut­schen Roman­tik mit einem mehr oder min­der star­kem Anti­se­mi­tis­mus zum Aus­druck – eine Ent­wick­lung, die nach dem „Wie­ner Kon­gress“ ihre deut­lichs­te Äuße­rung in der libe­ra­len Stu­den­ten­be­we­gung der Bur­schen­schaf­ten fin­den sollte. (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 262)

Dass die »anti­jü­di­sche Klau­sel« der Sat­zung, wie Peter Paret es for­mu­liert, kein zen­tra­les Anlie­gen der Gesell­schaft gewe­sen sein soll, ruft hier unse­ren Wider­spruch her­vor. Wei­ter oben hat­ten wir dar­ge­stellt, dass ein Mit­glied nur mit zehn Bürgschaften

»(…) der Gesell­schaft wohl­an­stän­dig und ange­mes­sen ein­ge­führt wird. (…)« 

und die ent­spre­chen­de Sat­zung (Cir­cu­lar) mit den drei Aus­schluss­kri­te­ri­en zu unter­zeich­nen hat­te. Der Aus­schluss von »Phi­lis­tern«, Frau­en und »Nicht­chris­ten« war hier eine Grund­be­din­gung der Mit­glied­schaft, ergo auch zen­tra­les Anlie­gen der Gesell­schaft. Der Begriff »Anti­se­mi­tis­mus« bei Clau­se­witz greift hier nicht, da die­se Bezeich­nung erst lan­ge nach Clau­se­witz´ Tod (1831) im Jahr 1879 in der deut­schen Pres­se in Erschei­nung trat. Wir hat­ten wei­ter oben dar­auf verwiesen.

Gleich­wohl leb­te Clau­se­witz in einer Zeit, in der man begann, Juden zuneh­mend nicht mehr über ihren reli­giö­sen Hin­ter­grund zu cha­rak­te­ri­sie­ren, son­dern als ein eige­nes Volk, als »Staat im Staat«, als eine eige­ne frem­de Ras­se. Die Ver­bin­dung von Nati­on und Ras­se in der Trans­for­ma­ti­on zu Natio­na­lis­mus und Ras­sis­mus, war vor­ge­zeich­net. Auf das Clausewitz‘sche Bild über die Juden und sein per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu die­sen wer­den wir im Wei­te­ren noch ein­mal zurück kommen.

Auch in dem durch Karl Fried­rich Frie­sen (*1784; †1814) und Fried­rich Lud­wig Jahn (*1778; †1852) 1810 gegrün­de­ten »Deut­schen Bund« waren Juden nicht erwünscht:

»(…) 1810 grün­de­te er [Jahn Bem. Autor] zusam­men mit Fried­rich Frie­sen den „Deut­schen Bund“, eine Geheim­or­ga­ni­sa­ti­on, deren poli­ti­sche Zie­le die Befrei­ung Deutsch­lands von der fran­zö­si­schen Herr­schaft und die natio­na­le Ein­heit bil­de­ten. Nur Män­ner „deut­scher Abstam­mung“ waren zuge­las­sen, was auch getauf­te Juden von der Mit­glied­schaft ausschloss. (…)«
(Vergl. »Hand­buch des Anti­se­mi­tis­mus«, her­aus­ge­ge­ben von Wolf­gang Benz, Bri­git­te Mihok, S. 4o4)

Somit waren bei den drei bedeu­tends­ten Unter­neh­mun­gen der deut­schen Natio­nal­be­we­gung am Vor­abend der Befrei­ungs­krie­ge, dem »Tugend-​Bund«, der »Christlich-​deutschen Tisch­ge­sell­schaft« und dem »Deut­schen Bund«, Juden für eine Mit­glied­schaft aus­ge­schlos­sen. Damit war offen­bar eine Juden­feind­lich­keit sowohl bei den hier dar­ge­stell­ten Ver­ei­nen als auch bei deren Mit­glie­dern konsistent.

Denk­mal für Frie­sen in Mag­de­burg Quel­le: Autor

Die in der Tisch­ge­sell­schaft ver­sam­mel­ten Prot­ago­nis­ten waren in ihren Ansich­ten über die not­wen­di­gen Refor­men in Preu­ßen all­ge­mein und in der Fra­ge der Gleich­be­rech­ti­gung der Juden durch­aus eine hete­ro­ge­ne Ver­samm­lung. Im Gegen­satz zu der libe­ra­len Salon­kul­tur vor und nach 1806 war die­se Gesell­schaft als geschlos­se­ne Männer-​Runde zu betrach­ten, die ein fes­tes Regu­la­ri­um mit kla­ren »Füh­rungs­struk­tu­ren« hat­te, die durch einen »Spre­cher« reprä­sen­tiert wur­de. Zeit­wei­se waren 86 Mit­glie­der ver­zeich­net, die sich in der Regel jeden zwei­ten Diens­tag bei »Speis und Trank« tra­fen, um über Lite­ra­tur und Poli­tik zu reden.

»(…) Von den 86 bekann­ten Mit­glie­dern gehör­ten jeweils genau eine Hälf­te dem Adels­stand und die ande­re dem Bür­ger­tum an. Auf­ge­glie­dert nach Beru­fen über­wie­gen deut­lich Beam­te [37] und Mili­tärs [19], wäh­rend die eigent­li­chen „Jun­ker“, die Guts­her­ren, nur spär­lich ver­tre­ten waren [3 mit A. v. Arnim]. Mit Prinz Rad­zi­vill und Graf Ingen­heim fin­den sich Mit­glie­der aus dem höchs­ten Hof­adel, bei den Beam­ten hohe Staats­be­am­te wie Staegemann. (…)«
(Vergl. »Geschich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S.Niehaus, Niemeyer-​Verlag 2003, S. 16/​17)

Dar­über hin­aus stell­ten die Pro­fes­so­ren der 1810 frisch gegrün­de­ten »Ber­li­ner Uni­ver­si­tät«, die mit Kabi­netts­be­fehl Fried­rich Wil­helm III. vom 16. Okto­ber 1809 auf den Weg gebracht wur­de, die zah­len­mä­ßig größ­te Grup­pe unter den Beam­ten dar.

In der Anfangs­zeit präg­te die lite­ra­ri­sche Form der Sati­re die Stil­mit­tel der Kri­tik an den Hardenberg´schen Refor­men. Bewusst gewählt, um die durch­aus vor­han­de­ne preu­ßi­sche Zen­sur zu unter­lau­fen. Das galt vor allem auch der Zei­tung »Ber­li­ner Abend­blät­ter« (1. Okto­ber 1810 bis 30. März 1811), her­aus­ge­ge­ben von Hein­rich von Kleist, wel­che am Ende auch gera­de wegen Über­wa­chung und Zen­sur unter­ging. Kleist plan­te, die Abend­blät­ter als »Zen­tral­or­gan« der Tisch­ge­sell­schaft zu etablieren.

Vor allem die »Tisch­re­den« des Achim von Arnim spie­geln die Ver­su­che Arnims und Gleich­ge­sinn­ter wider, Juden­feind­lich­keit in Sati­re und Witz zu ver­klau­su­lie­ren. Wir sehen das an fol­gen­dem Bei­spiel. Arnim hat­te sich als Stu­dent in Hal­le und Göt­tin­gen (1798 bis 1801) mit che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Ver­su­chen beschäf­tigt. Die­ser Bil­dungs­stand ver­lei­te­te den Dich­ter zu einem »Che­mie – Expe­ri­ment«:

»(…) Man zer­rei­be ihn 〈den Juden, Anm. Autor〉 im Feu­er­mör­sel, erwär­me ihn mit Aetz­lau­ge im Pla­tin­tie­gel, all­mä­lig bis zum Durchglühen. (…)«

Die Ana­ly­se der Asche des Juden ergab nach Arnim die Bestand­tei­le des Juden wie folgt: 50% Bos­heit, 2% Gold, 10% ein­ge­at­me­tes Sil­ber, 20% altes Kup­fer, 5% fal­sche Wech­sel und 4% Chris­ten­blut, wel­ches durch sünd­li­che Ver­mi­schung gewon­nen sei.
(Vergl. »Lud­wig Achim von Arnim«, Wer­ke und Brief­wech­sel, S. 125)

Saul Ascher (*1767; †1822), ein deutsch-​jüdischer Schrift­stel­ler, des­sen Schrift »Die Ger­ma­no­ma­nie« am 18. Okto­ber 1817 auf dem Wart­burg­fest ver­brannt wur­de, kri­ti­sier­te die Reden auf der Gesell­schaft scharf.

»(…) Die sati­ri­schen Beschimp­fun­gen der Juden hält Ascher als Aus­ge­bur­ten einer krank­haf­ten Phantasie (…)«
(Vergl. »Geschich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Niemeyer-​Verlag 2003, S. 184)

Und … es wur­de viel gelacht an der Tafel wie bei Bren­ta­nos ver­gleichs­wei­se harm­lo­ser Sati­re über die »Phi­lis­ter«:

»(…) Als Bren­ta­no sei­nen Phi­lis­ter vor­trug, mit aller Kraft sei­nes Talents, geriet die Gesell­schaft außer sich, jubel­te und schrie vor Ver­gnü­gen, bemerk­te Varn­ha­gen, der Bren­ta­no eigent­lich nicht moch­te, und auch der von Bren­ta­nos Sati­re getrof­fe­ne Hit­zig ärger­te sich beson­ders, weil Ber­lins Schöb­ge­is­ter und Vor­neh­me mit offe­nem Mund dage­ses­sen und sei­ne Vor­le­sun­gen ange­hört hätten. (…)«
(Vergl. Hit­zig an Fou­qué, 15. April 1811, Dorch, 1994, S. 219)

Quel­len berich­ten, dass ande­re Reden eben­so mit Bei­fall auf­ge­nom­men wurden.

Quel­le: Roman­ti­sche Schu­le – Word​Press​.com

Erst als Fich­te die Lei­tung der Gesell­schaft über­nahm, wur­den Ton und Inhalt der Reden auf der Gesell­schaft moderat.

«(…) Unter der Lei­tung Fich­tes hat­te die Tisch­ge­sell­schaft begon­nen, sich von ihrer Fixie­rung auf das Juden­tum zu verabschieden (…)«
(Vergl. »Geschich­te der Deut­schen Tisch­ge­sell­schaft«, S. Nie­haus, Niemeyer-​Verlag, 2003, S. 261)

Wor­in lagen Arnims per­sön­li­che Moti­ve für sei­ne Judenfeindlichkeit?

»(…) Arnim wie auch sein Bru­der waren in den Jah­ren nach 1807 nahe an den wirt­schaft­li­chen Ruin gera­ten. Sei­ne Gesamt­schul­den belie­fen sich damals auf die astro­no­mi­sche Sum­me von über 43.000 Reichs­ta­ler. Die Fami­lie sei, da die Mehr­zahl der Gläu­bi­ger jüdi­sche Finan­ziers gewe­sen sei­nen, „in der Juden Hän­de“ gebracht worden. (…)«
(Vergl. »Juden­tum und Natio­nal­ge­dan­ke in Fich­tes Leben und Werk«, H.-J. Becker, Edi­ti­ons Rod­o­pi B. V., Ams­ter­dam 2001, S. 184)

Hier kom­men wir zurück auf zwei der Ursa­chen für die Juden­feind­lich­keit eini­ger Eli­ten Preu­ßens in der Zeit vor dem Eman­zi­pa­ti­ons­edikt F. W. III. Öko­no­mi­sche, in der Regel selbst­ver­schul­de­te Pro­ble­me mutier­ten zur schein­ba­ren Selbst­ver­tei­di­gung in ras­sis­ti­sche Anfein­dun­gen gegen Juden. Arnim ver­mied aller­dings, das in sei­nen Reden und Tex­ten zu the­ma­ti­sie­ren. Arnim wird spä­ter nach 1812 sei­nen Ton dies­be­züg­lich mäßi­gen und sei­ne guten Ver­bin­dun­gen in der Gesell­schaft z. B. auch zu Gnei­se­nau pflegen.

Ob Carl von Clau­se­witz Arnims und Bren­ta­nos Reden gehört und beju­belt hat, wis­sen wir nicht. Dazu sagen Quel­len nichts aus. Betrach­ten wir jedoch den Cha­rak­ter Clau­se­witz‘, so ist es unwahr­schein­lich, dass er sich dazu hat hin­rei­ßen lassen.

»(…) Doch Clau­se­witz hat­te sich nie etwas aus dem höfi­schen Leben gemacht und über­dies jed­we­de Eigen­schaft eines Höf­lings, die er je beses­sen haben moch­te, nach sei­ner Rück­kehr aus Frank­reich völ­lig abge­legt. Er gab sich mitt­ler­wei­le wenig Mühe, den Ein­druck eines gedan­ken­ver­lo­re­nen und ver­drieß­li­chen Men­schen, den er auf ande­re mach­te, zu korrigieren. (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 259)

Vor allem als Offi­zier und Gene­ral trat Clau­se­witz eher intro­ver­tiert als extro­ver­tiert auf.

»(…) Jün­ge­re Offi­zie­re, die nach den Befrei­ungs­krie­gen unter ihm dien­ten, mokier­ten sich über sei­ne Unbe­hol­fen­heit und sein selbst in ver­trau­ter mili­tä­ri­scher Umge­bung hart­nä­cki­ges bzw. ver­le­ge­nes Schwei­gen. „Es ging ihm die Kunst ab d´enlever les trou­pes“, so schrieb ein ihm unter­stell­ter Offizier. (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, 1993, S. 260)

Unter dem Begriff Kunst  »d´enlever les trou­pes« ver­stan­den und ver­ste­hen Sol­da­ten auch heu­te noch »die Trup­pen abzie­hen«, was soviel bedeu­tet wie »forsch auf­tre­ten«, »Dampf machen«. Nein, gehen wir davon aus, dass Clau­se­witz, wenn er Arnim, Bren­ta­no und Beuth gehört haben soll­te, geschwie­gen hat!? Ob er in per­sön­li­che Gegen­re­de gegan­gen ist, ent­zieht sich unse­rer Kenntnis.

1811 jedoch sorg­te der Jun­ker Achim von Arnim noch für einen Skan­dal, der die Ber­li­ner Gesell­schaft hef­tig beweg­te. Dazu gibt es wenigs­tens Reak­tio­nen eini­ger Mili­tärs, auf die wir hier noch ein­ge­hen werden.

< Zurück

Fort­set­zung Teil VIII