Teil I

Aus­zug der ost­preu­ßi­schen Land­wehr nach der Ein­seg­nung in ei­ner Kir­che in Kö­nigs­berg 1813

Wir se­hen hier ein Ge­mäl­de des deut­schen Ma­lers Gus­tav Graf (∗14. De­zem­ber 1821 in Kö­nigs­berg; †6. Ja­nu­ar 1895 in Ber­lin) aus dem Jah­re 1860 mit dem Ti­tel »Aus­zug der ost­preu­ßi­schen Land­wehr nach der Ein­seg­nung in ei­ner Kir­che in Kö­nigs­berg 1813«.

Hin­ter die­sem Mo­tiv ver­birgt sich ei­ne au­ßer­or­dent­lich in­ter­es­san­te Ge­schich­te, mit der wir uns hier be­schäf­ti­gen wol­len. Da­bei wä­re auch zu un­ter­su­chen, wel­chen Be­zug wir zum The­ma fin­den können.

Zu­nächst je­doch zum Bild selbst.

Wir se­hen Of­fi­zie­re und Land­wehr­män­ner un­ter dem Ju­bel der Bür­ger Kö­nigs­bergs aus der Kir­che schrei­ten, in der sie ge­ra­de für den Kampf ein­ge­seg­net wur­den, be­vor sie ins Feld zie­hen. Da die Män­ner aus ei­ner Kir­che kom­men, kön­nen wir da­von aus­ge­hen, dass es sich um Chris­ten han­delt, die so­eben durch ei­nen Pfar­rer ein­ge­schwo­ren wur­den. Auf dem Vor­platz und in den um­lie­gen­den Häu­sern ju­beln die Men­schen den Land­wehr­män­nern zu und tei­len so die da­ma­li­ge of­fen­sicht­li­che pa­trio­ti­sche Eu­pho­rie, die im Früh­jahr 1813 in Preu­ßen über­wie­gend herrschte.

Wir se­hen aber auch fra­gen­de Bli­cke, die gro­ße Sor­ge um Ge­sund­heit und Le­ben der vor Stolz und Kraft strot­zen­den Män­ner aus­drü­cken. So man­cher wird nicht wie­der in die Hei­mat zu­rück­keh­ren, ah­nen die drei Per­so­nen links im Vor­der­grund des Bil­des. Leid und Trau­er ste­hen der Be­geis­te­rung schon gegenüber.

Wäh­rend das Gros der Be­waff­ne­ten die Trep­pe der Kir­che ziel­ge­rich­tet her­ab­schrei­tet, se­hen wir am rech­ten Rand ei­nen jun­gen jü­di­schen Land­wehr­mann, der sei­nen fei­nen Geh­rock in ei­ne Li­tew­ka ver­wan­delt hat, ei­ne Mus­ke­te schul­tert und den Brot­beu­tel an der Sei­te trägt. Er strebt den Ka­me­ra­den zu. Die Müt­ze mit dem ost­preu­ßi­schen ro­ten Müt­zen­band und dem Land­wehr­kreuz trägt er auf dem Kopf. Auch sein Kreuz zeigt si­cher­lich die Inschrift

»Mit Gott für Kö­nig und Va­ter­land«!?

Quel­le: Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­mein­de Lengerich

Aber er hat­te sei­nen Gott, an den er glaubte!

Wir nen­nen ihn »Aa­ron«, um ihn an­spre­chen zu kön­nen. Aa­ron be­tritt die Sze­ne von der rech­ten Sei­te her, aus dem Dunk­len ins Licht. Die Ge­be­te sei­nes Va­ters und das Weh­kla­gen der Mut­ter be­glei­ten ihn. Der Va­ter Aa­rons in tra­di­tio­nel­ler jü­di­scher Klei­dung mit Bart. Bei­de, Va­ter und Mut­ter, möch­ten den Sohn zu­rück­hal­ten, denn bis zum Jahr 1813 war es nicht üb­lich, dass jun­ge jü­di­sche Men­schen den Staat, in dem sie leb­ten, mit der Waf­fe ver­tei­di­gen sollten.

Aa­ron mel­de­te sich frei­wil­lig zum Dienst in der Land­wehr, denn im Jahr 1813 gab es noch kei­ne Wehr­pflicht für Ju­den in Preu­ßen. »Frei­wil­li­ger«, das wur­de mög­lich mit dem »Edikt be­tref­fend die bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Ju­den in dem Preu­ßi­schen Staa­te« vom 11. März 1812. In der Prä­am­bel hieß es:

»(…) Wir Fried­rich Wil­helm von Got­tes Gna­den Kö­nig von Preu­ßen ect.ect.ect. Ha­ben be­schlos­sen, den jü­di­schen Glau­bens­ge­nos­sen in un­se­rer Mon­ar­chie ei­ne neue, der all­ge­mei­nen Wohl­fahrt an­ge­mes­se­ne Ver­fas­sung zu er­tei­len, er­klä­ren […] wie folgt:

§1. Die in un­sern Staa­ten jetzt wohn­haf­ten, mit Ge­ne­ral­pri­vi­le­gi­en, Na­tu­ra­li­sa­ti­ons­pa­ten­ten, Schutz­brie­fen und Kon­ces­sio­nen ver­se­he­nen Ju­den und de­ren Fa­mi­li­en sind für Ein­län­der und preu­ßi­sche Staats­bür­ger zu achten.

§16. Der Mi­li­tär­kon­scrip­ti­on oder Kan­tons­pflich­tig­keit, und den da­mit in Ver­bin­dung ste­hen­den be­son­de­ren ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten sind die ein­län­di­schen Ju­den gleich­falls unterworfen. (…)«
(Vergl. histox.de/wp-content/files/1812-03-11N_Edikt_bürgerliche_Verhältnisse_der_Juden.pdf)

In 39 Ar­ti­keln ver­sus Pa­ra­gra­phen wur­den das jü­di­sche Le­ben so­wie die Rech­te und Pflich­ten in Preu­ßen neu ge­re­gelt. Da­mit wur­de das al­te, noch von Fried­rich II. er­las­se­ne »Re­vi­dier­te Ge­ne­ral-Pri­vi­leg« von 1750 abgelöst.

Erst im Jah­re 1814 wur­den dann jü­di­sche Män­ner als Mi­li­tär­pflich­ti­ge aus­ge­ho­ben. Die Grund­la­ge da­für bil­de­te das »Ge­setz über die Ver­pflich­tung zum Kriegs­diens­te« vom 3. Sep­tem­ber 1814. Dem­nach soll­ten al­le jun­gen Män­ner Preu­ßens, ein­schließ­lich der jü­di­schen, im Al­ter von 17 bis 24 Jah­ren zur Re­kru­tie­rung ge­zo­gen werden.
(Vergl. Phil­lip­son Mar­tin: »Die jü­di­schen Frei­wil­li­gen im preu­ßi­schen Hee­re wäh­rend der Be­frei­ungs­krie­ge 1813/1814« in »Dem deut­schen Reich«, Juli/August 1906)

In der Prä­am­bel die­ses Ge­set­zes hieß es:

»(…) Die all­ge­mei­nen An­stren­gun­gen Un­sers treu­en Vol­kes oh­ne Aus­nah­me und Un­ter­schied, hat in dem so eben glück­lich be­en­de­ten Krie­ge 〈Kam­pa­gne 1813 an­ge­merkt durch Au­tor〉, die Be­frei­ung des Va­ter­lan­des bewirkt, (…)«

Der Hin­ter­grund war auch, dass sich jü­di­sche Frei­wil­li­ge im Jahr 1813 ent­ge­gen vie­ler Be­den­ken der Mi­li­tär-Gou­ver­ne­ments be­währt hat­ten. Es la­gen Be­rich­te über »mann­haf­tes und aus­ge­zeich­ne­tes« Ver­hal­ten vor. So spra­chen sich der Ge­ne­ral L´Estocq und der Staats­rat Sack da­für aus:

»(…) ob nicht die Jüng­lin­ge des jü­di­schen Glau­bens von 17 bis 24 Jah­ren mit zur Re­kru­tie­rung ge­zo­gen wer­den können (…)«
(Vergl. »Ju­den­tum, Staat und Heer in Preu­ßen« im frü­hen 19. Jahr­hun­dert, Hg. H. Fi­scher, J. C. B. Mohr Tü­bin­gen, 1968, S. 33 )

Die An­zahl der jü­di­schen Sol­da­ten, die in den Be­frei­ungs­krie­gen im Feld wa­ren, ist in den Quel­len un­ter­schied­lich dar­ge­stellt. Bis 1815, so Fi­scher, dien­ten 731 jü­di­sche Sol­da­ten in der Land­wehr, der Ka­val­le­rie, in den Jä­ger­ba­tail­lo­nen und der Ar­til­le­rie. Im Ver­lau­fe der Dar­le­gun­gen wer­den wir noch ein­mal auf die­se Zah­len und be­mer­kens­wer­te Per­so­na­li­en zurückkommen.

Das, was sich in Preu­ßen in den Jah­ren nach der ka­ta­stro­pha­len Nie­der­la­ge von 1806 ge­gen Na­po­lé­on bis zu den Jah­ren 1813 bis 1815 er­eig­ne­te, war ein kom­pli­zier­ter ge­sell­schafts­po­li­ti­scher Pro­zess. Die Grund­la­ge da­für fin­den wir in den Preu­ßi­schen Re­for­men von 1807 bis 1811. Die da­ma­li­gen füh­ren­den Re­for­mer – Frei­herr vom und zum Stein, von Har­den­berg, von Scharn­horst, von Gnei­se­nau und Wil­helm von Hum­boldt – trie­ben ge­gen vie­le Wi­der­stän­de ei­nen gan­zen Kom­plex von Re­for­men vor­an. Ei­ne da­von war »Die Ju­den­eman­zi­pa­ti­on«, mit der wir uns hier in un­se­rem Text be­fas­sen wol­len. Be­son­ders je­doch wol­len wir un­ter­su­chen, wel­che Rol­le da­bei preu­ßi­sche Of­fi­zie­re spiel­ten und ob ei­ne Be­zug zu Carl von Clau­se­witz her­ge­stellt wer­den kann.

Was war in Preu­ßen wäh­rend des Über­gangs vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert un­ter Eman­zi­pa­ti­on all­ge­mein zu verstehen?

For­mal ent­springt der Be­griff »Eman­zi­pa­ti­on« der rö­mi­schen Rechts­ge­schich­te (lat. eman­ci­pa­tio) und be­deu­te­te so viel wie »Ent­las­sung des Soh­nes aus der vä­ter­li­chen Ge­walt«. Stellt al­so ei­nen Rechts­akt dar, der »Frei­las­sung oder Be­frei­ung« be­deu­ten konn­te. Wenn wir so wol­len, war un­ter der Ju­den­eman­zi­pa­ti­on die Be­frei­ung der jü­di­schen Bür­ger Preu­ßens von den al­ten fri­de­ri­zia­ni­schen Ju­den­edik­ten zu ver­ste­hen. Die Edik­te Fried­rich des II. schränk­ten bür­ger­li­che, vor al­lem aber öko­no­mi­sche Rech­te jü­di­scher Bür­ger ein. Gleich­zei­tig sorg­te die­ses Re­gu­la­ri­um aber da­für, dass die­se Bür­ger zu ho­hen Ab­ga­ben an den Staat ver­pflich­tet wur­den. Der Ein­tritt in die preu­ßi­sche Stän­de­wirt­schaft war ih­nen ver­wehrt, und sie wur­den durch das Bür­ger­tum als wirt­schaft­li­che Kon­kur­ren­ten ge­se­hen. Das war ne­ben den Glau­bens­fra­gen ei­ner der Grund­kon­flik­te, die zu be­frie­den waren.

An­ge­sichts der epo­cha­len Er­eig­nis­se des Jah­res 1798, als der Atem der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on durch Eu­ro­pa feg­te, konn­te auch in Preu­ßen nichts mehr so blei­ben, wie es war. Das Ban­ner »Li­ber­té, Ega­li­té, Fra­ter­ni­té« wirk­te auch in Preu­ßen auf das Be­wusst­sein, für glei­che Rech­te und Pflich­ten al­ler Bür­ger des Lan­des ein­zu­tre­ten. Die Ero­si­on fri­de­ri­zia­ni­scher Geis­tes­hal­tung hat­te al­lent­hal­ben vor al­lem in den ge­bil­de­ten Krei­sen be­gon­nen. Die fran­zö­si­schen Er­eig­nis­se wa­ren hier »Brand­be­schleu­ni­ger«, ge­gen die sich kon­ser­va­ti­ve Ver­tre­ter des Ho­fes und des Adels vor­erst noch weh­ren konnten.

Quel­le: le tró­ne et lónel-blogger

Ei­ner der ers­ten Ver­tre­ter der da­ma­li­gen Ge­sell­schaft, Staats­rat Jo­hann Hein­rich Schmed­ding (∗1774; †1846), ließ den Be­griff der Eman­zi­pa­ti­on in die Er­ör­te­run­gen über die Auf­he­bung des fri­de­ri­zia­ni­schen Ju­den­edikts ein­flie­ßen, als er sich über den Schröt­ter­schen Ent­wurf »Über die bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Ju­den in Preu­ßen« (1808) äußerte.

Fried­rich Leo­pold Reichs­frei­herr von Schröt­ter (∗ 1743; 1815)
Quel­le: Wikipedia

Reichs­frei­herr von Schröt­ter ent­stamm­te dem ost­preu­ßi­schen Adel, war Of­fi­zier und spä­ter Mi­nis­ter in der Im­me­diat­kom­mis­si­on 1807/08 und zu­sam­men mit von und zum Stein (∗1757; †1831) Weg­be­rei­ter der Preu­ßi­schen Reformen.

Im o. g. schröt­ter­schen Ent­wurf war zu dem Zeit­punkt um 1808 je­doch noch die Skep­sis zu er­ken­nen, die in der Ge­sell­schaft vor­herrsch­te, und be­son­ders auf das Wirt­schafts­le­ben be­zo­gen war. Viel­fach wur­de ei­ne an­ge­dach­te Eman­zi­pa­ti­on als »sich un­ge­bühr­li­che Frei­heit an­ma­ßen« be­trach­tet. Haupt­geg­ner ist die al­te Stän­de­ge­sell­schaft, wel­che die Kon­kur­renz durch jü­di­scher Kauf­leu­te fürch­te­te. Be­grif­fe wie Ju­den und Nicht­ju­den, jü­disch und christ­lich wur­den in der po­li­ti­schen Po­le­mik gebraucht.
(Vergl. Freund, Eman­zi­pa­ti­on Bd. 2, S. 228 bis 244)

Es­sen­zi­ell je­doch stan­den in den theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Glau­bens­fra­gen zur De­bat­te, be­vor das be­reits er­wähn­te »Eman­zi­pa­ti­ons­edikt« vom 11.03.1812 in Kraft tre­ten konn­te. Mit die­sem Ge­setz wur­den die Ju­den Preu­ßens mehr oder we­ni­ger gleich­be­rech­tig­te Staats­bür­ger. Das Edikt konn­te nur im Rah­men der an­de­ren Re­for­men wirk­sam werden.

Die Agrar­re­form (Ok­to­ber­edikt 09.10.1807), auch so­ge­nann­te »Bau­ern­be­frei­ung«.
Die Städ­te­re­form (19.11.1808) ge­währt das Recht auf Selbstverwaltung.
Die Ka­bi­netts­re­form  (24.11.1808) führ­te fünf Mi­nis­ter (In­ne­res, Äu­ße­res, Fi­nan­zen, Jus­tiz und Krieg) ein.
Die Ge­wer­be­re­form hob in Preu­ßen den Zunft­zwang auf.
Die Bil­dungs­re­form 
(1808) ver­folg­te das Ziel ei­ner hu­ma­nis­ti­schen Bil­dung und Er­zie­hung al­ler Preu­ßen oh­ne Un­ter­schied der Klas­sen und Religionen.
Die
Hee­res­re­form ver­folg­te ne­ben not­wen­di­gen struk­tu­rel­len und tak­ti­schen Ver­än­de­run­gen das Ziel, ei­ne na­tio­na­le Ar­mee zu schaf­fen, in der das Bür­ger­tum vor al­lem über die »Land­wehr« zur Gel­tung kom­men sollte.
Die Ju­den­eman­zi­pa­ti­on (1812), in der Ju­den for­mal die Staats­bür­ger­schaft zu­er­kannt wurde.

An die­ser Stel­le schon ein Wort zu Carl von Clau­se­witz (∗ 1. Ju­li 1780; †16. No­vem­ber 1831).

Das Mo­tiv un­se­res Ge­mäl­des und das Auf­tau­chen un­se­res neu­en Be­kann­ten Aa­ron ist die di­rek­te Fol­ge der Mi­li­tär­re­form, für die sich ne­ben v. Scharn­horst (∗1755; 1813) v. Gnei­se­nau (∗1760; †1831), von Grol­man (∗1777; †1843), von Boy­en (∗1771; †1848) auch Carl von Clau­se­witz einsetzte.

Clau­se­witz er­leb­te als Ge­frei­ten­kor­po­ral und Fah­nen­jun­ker durch sei­ne Teil­nah­me am Rhein­feld­zug 1793 ge­gen das re­vo­lu­tio­nä­re Frank­reich die sich ver­än­der­te Fecht­art der frei­en Fran­zo­sen. Er wur­de Zeu­ge der schwe­ren Nie­der­la­ge der Preu­ßi­schen Ar­mee 1806 bei Je­na und Au­er­stedt. Die­se Schlüs­sel­er­leb­nis­se leg­ten den Grund­stein für sein spä­te­res mi­li­tär­theo­re­ti­sches und phi­lo­so­phi­sches Schaf­fen. So­wohl in sei­nen Schrif­ten als auch im Haupt­werk »Vom Krie­ge« be­fass­te er sich mit der Rol­le der »Volks­mas­sen« in ei­nem zu­künf­ti­gen Krieg ge­gen Na­po­lé­on, den er für un­aus­weich­lich an­sah. Clau­se­witz be­trach­te­te die schwe­re Nie­der­la­ge des Preu­ßi­schen Staa­tes auch als ei­ne po­li­ti­sche. Er­schüt­tert schrieb Clau­se­witz am 9. Ja­nu­ar 1807 – auf dem Weg in fran­zö­si­sche Ge­fan­gen­schaft – aus Frank­furt am Main an sei­ne Braut Marie:

»(…) Ver­waist ir­ren wir Kin­der ei­nes ver­lo­re­nen Va­ter­lan­des um­her und der Glanz des Staa­tes, den wir bil­den hal­fen, ist erloschen (…)«.
(Vergl. »Karl und Ma­rie von Clau­se­witz – Ein Le­bens­bild in Brie­fen und Ta­ge­buch­blät­tern« von Karl Lin­ne­bach, S. 79)

Clau­se­witz be­griff an­ge­sichts die­ses his­to­ri­schen Dra­mas, dass es auf die Er­he­bung der Na­ti­on an­kom­men würde.

Im Nord­park Mag­de­burgs, ei­nem lan­ge schon auf­ge­las­se­nen städ­ti­schen Fried­hof, steht ein be­mer­kens­wer­tes Denk­mal für Graf La­za­re Ni­co­las Mar­gue­ri­te Car­not (∗1753; †1823), der aus der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on her­vor­ge­gan­gen, als re­pu­bli­ka­ni­scher fran­zö­si­scher Pa­tri­ot, Mi­nis­ter und Ge­ne­ral, Ma­the­ma­ti­ker so­wie Fes­tungs­bau­er nach dem Sturz Na­po­lé­ons nach Mag­de­burg emi­grier­te und hier auch be­gra­ben wurde.

Quel­le: Mag­de­burg Kom­pakt 01.09.2018

Graf Car­not brach­te die De­kla­ra­ti­on der »Le­vée en mas­se«  (frz. für »Mas­sen­aus­he­bung«) un­ter dem Ein­druck schwe­rer Nie­der­la­gen der jun­gen fran­zö­si­schen Ar­mee ge­gen die Ko­ali­ti­ons­trup­pen in den Wohl­fahrts­aus­schuss Frank­reichs ein, die dann am 23. Au­gust 1793 im Na­tio­nal­kon­vent ver­ab­schie­det wurde.

Da­nach sollten

»(…) von die­sem Mo­ment an und bis al­le Fein­de vom Ter­ri­to­ri­um der Fran­zö­si­schen Re­pu­blik ver­trie­ben sind, al­le fran­zö­si­schen Per­so­nen in stän­di­ge Be­reit­schaft für den Dienst in der Ar­mee ver­setzt wer­den. Die jun­gen Män­ner wer­den in den Kampf zie­hen, ver­hei­ra­te­te Män­ner wer­den Waf­fen schmie­den und Vor­rä­te trans­por­tie­ren; Frau­en wer­den Zel­te und Klei­dung nä­hen und in den Hos­pi­tä­lern die­nen; Kin­der wer­den al­te Wä­sche auf­tren­nen; al­te Män­ner wer­den an öf­fent­li­che Plät­ze ver­bracht, um den Mut der Krie­ger zu er­we­cken und den Hass auf die Kö­ni­ge zu pre­di­gen und an­de­rer­seits die Ein­heit der Republik (…)«
(Vergl. leg-ego.eu/…/ambrogio-a-caiani-levée-en-masse)

Die Idee, die For­de­rung Car­not´ war sinn­ge­mäß: »Agir tou­jours en mas­se«» in Mas­sen han­deln, kei­ne Ma­nö­ver mehr, kei­ne Kriegs­kunst, son­dern Feu­er, Stahl und Vaterlandsliebe«
(Vergl. M. Ho­ward »Krieg in der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te: vom Mit­tel­al­ter bis …«, S. 114)

Clau­se­witz er­kann­te un­ter dem Ein­fluss Scharn­horsts die ge­wal­ti­ge Kraft ei­ner zu den Waf­fen ge­ru­fe­nen Na­ti­on und kam fol­ge­rich­tig zu dem Schluss, dass das Ziel al­ler Re­for­men der »sol­dat ci­toy­en«, der »Bür­ger­sol­dat«, ver­sus der Staats­bür­ger in Uni­form sein müs­se. Für Preu­ßen sah er hier die »Land­wehr und den Land­sturm« als po­li­ti­sches und mi­li­tä­ri­sches Mit­tel ei­ner Volks­be­waff­nung im In­ter­es­se der Landesverteidigung.

In der Fol­ge der »Kon­ven­ti­on von Tau­rog­gen« (30. De­zem­ber 1812), an de­ren Ab­schluss Clau­se­witz maß­geb­lich be­tei­ligt war, for­cier­te Ge­ne­ral Yorck (∗1759; †1830) auf Ver­an­las­sung Steins nach dem 22. Ja­nu­ar 1813 die Auf­stel­lung ei­ner Ost­preu­ßi­schen Land­wehr. Die von Clau­se­witz, Graf Doh­na und Frei­herr von Dörn­berg aus­ge­ar­bei­te­ten Ent­wür­fe ei­ner »Land­sturm- und Land­wehr­ord­nung« wur­den un­ter dem 5. Fe­bru­ar 1813 im Land­tag in Kö­nigs­berg durch Yorck vor­ge­tra­gen und dar­auf fol­gend ge­neh­migt. In den Ta­gen nach die­sem denk­wür­di­gen Da­tum tra­ten rund 13.000 Mann als Re­ser­ve, 20.000 Mann Land­wehr und 750 Mann zu Pfer­de frei­wil­lig un­ter Ge­wehr. Sie bil­de­ten die Re­ser­ve Yorcks.
(Vergl. Karl Lam­precht »Deut­sche Ge­schich­te Neu­es­te Zeit« – Zwei­ter Band; Re­print 1907; S. 407)

Na­he­zu zeit­gleich er­schien Ernst Mo­ritz Arndts Flug­schrift, »Was be­deu­tet Land­wehr und Land­sturm«, wel­che sich schnell größ­ter Re­so­nanz er­freu­te. Da­bei pro­pa­gier­te je­ner Arndt Zeit sei­nes Le­bens ein deut­lich ab­leh­nen­des Ver­hält­nis zum Ju­den­tum an sich. In der Flug­schrift je­doch wen­det er sich an »Teut­sche Lands­leu­te!« und ruft:

»(…) Ihr habt das Bei­spiel. Spa­ni­en und Russ­land gin­gen euch im Volks­krie­ge vor­an, sie brauch­ten al­le Kräf­te ge­gen die tü­cki­schen Fein­de […] Auf denn al­le! Auf in Einmütigkeit, (…)«
(Quel­le: »Flug­schrif­ten« Re­print aus dem VDN)

Ge­ne­ral Yorck vor dem Ost­preu­ßi­schen Landtag
Quel­le Wikipedia

Der Leh­rer und Freund Clau­se­witz´, Ger­hard Da­vid von Scharn­horst (∗1755; †1813) for­mu­lier­te in zwei Schrif­ten, »Vor­läu­fi­ger Ent­wurf der Ver­fas­sung der Re­ser­ve­ar­mee vom Au­gust 1807« und »Vor­läu­fi­ger Ent­wurf zur Ver­fas­sung der Pro­vin­zi­al­trup­pen vom 15. März 1808«, je­weils im § 1 der Entwürfe:

»§ 1 Al­le Be­woh­ner des Staa­tes sind ge­bo­re­ne Ver­tei­di­ger desselben.«

Bei­de Ent­wür­fe for­der­ten prak­tisch »die all­ge­mei­ne Wehr­pflicht«, was Gleich­heit al­ler vor dem Ge­setz be­deu­tet hätte.
(Vergl. Scharn­horst, »Aus­ge­wähl­te mi­li­tä­ri­sche Schrif­ten«, Mi­li­tär­ver­lag DDR, Uscek/Gudzent, S. 236 ff. und S. 243 ff.)

Hier schließt sich zu­nächst der Kreis um un­se­ren Land­wehr­mann Aa­ron, der sich in Kö­nigs­berg frei­wil­lig der Ost­preu­ßi­schen Land­wehr an­schloss. Wie es ihm er­gan­gen ist, wir wis­sen es nicht, aber ge­gen En­de un­se­rer Ré­d­ac­tion se­hen wir ihn wie­der. Aus den Quel­len über die­se Zeit kön­nen wir vie­les er­fah­ren. Wir le­sen zum Bei­spiel, dass die jü­di­schen Män­ner in Ein­satz und Tap­fer­keit ih­ren christ­li­chen Ka­me­ra­den nicht nach stan­den. Al­lein in der Schlacht von Bel­le-Ali­ance fie­len 55 jü­di­sche Artilleristen.
(Vergl. »Ei­ser­nes Kreuz und Da­vid­stern«, M. Ber­ger, S. 36)

»(…) Im Gan­zen ha­ben wäh­rend der Feld­zü­ge 1813, 1814, und 1815 nicht we­ni­ger als 71 Ju­den das Ei­ser­ne Kreuz für Kom­bat­tan­ten, vier den rus­si­schen St. Ge­orgs­or­den, vier das Mi­li­tär­ab­zei­chen erhalten (…)«
(»Im Deut­schen Reich«, »Zeit­schrift des Zen­tral­ver­eins deut­scher Staats­bür­ger jü­di­schen Glau­bens«, XII. Jahrg. Ber­lin, Prof. Dr. Mar­tin Phil­ipp­son, Juli/August 1906, Nr.7/8, S. 412)

»(…) Zu Un­ter­of­fi­zie­ren bez. Ober­jä­gern und Tam­bur­ma­jors wur­den 21 Ju­den, zum Por­te­peefähn­rich 1, zu Se­kon­de­leut­nants 19, zu Pre­mier­leut­nants 3 be­för­dert – […] Ein jü­di­scher Arzt wur­de Regimentsarzt (…)«.
(eben­da S. 413) 

Auf wei­te­re be­mer­kens­wer­te Bei­spie­le wer­den wir spä­ter noch zu­rück­kom­men. Da­bei wi­der­spre­chen sich in ver­schie­de­nen Quel­len die Zahlenangaben.

Ei­ser­nes Kreuz von 1813
Quel­le: LWL​.org. Stiftungsurkunde

Un­ser Carl von Clau­se­witz be­fand sich da­mals im Span­nungs­feld ei­ner not­wen­di­gen Re­form »von oben«: Dem Wil­len, al­les zu tun, um Na­po­lé­on aus Preu­ßen und den deut­schen Lan­den zu ver­trei­ben. Der Not­wen­dig­keit, al­le Be­woh­ner des Staa­tes, wie Scharn­horst es for­mu­lier­te, zu ge­bo­re­nen Ver­tei­di­gern zu ma­chen. So­mit ei­ne Ar­mee zu schaf­fen, die ei­ne mo­der­ne Fecht­art be­herrsch­te und den »neu­en Sol­da­ten« ein­set­zen konn­te. So­wie ei­ne Po­si­ti­on über den künf­ti­gen Sta­tus der in Preu­ßen le­ben­den Ju­den ein­zu­neh­men. Die­ser zu­letzt ge­nann­ten Fra­ge wol­len wir uns im wei­te­ren Text nähern.

Fort­set­zung Teil II

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